JudikaturVfGH

B1091/06 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
05. März 2007

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, weil die Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft nicht binnen einer Woche erging.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Bosnien-Herzegowina, lebt nach eigenen Angaben seit rund 15 Jahren in Österreich. Bis zum 10. November 2006 war er mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. Juni 2005 wurde der Beschwerdeführer wegen der (versuchten) Begehung von Suchtmitteldelikten zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer befand sich vom 3. Juni 2004 bis zu seiner bedingten Entlassung gemäß §46 Abs2 StGB am 2. Februar 2006 in Strafhaft.

Mit Bescheid vom 26. September 2005 verhängte die Bundespolizeidirektion Wien ein Aufenthaltsverbot über den Beschwerdeführer. Am 27. Jänner 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden die Verhängung der Schubhaft gemäß §76 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) zur Sicherung der Abschiebung des Beschwerdeführers an. Ab 2. Februar 2006 befand sich der Beschwerdeführer in Schubhaft.

Am 11. Februar 2006 stellte der Beschwerdeführer im Zuge seiner Anhaltung einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 16. Februar 2006 wurde er beim Bundesasylamt einvernommen. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. März 2006 wurde der Asylantrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bosnien-Herzegowina wurde ihm nicht zuerkannt; weiters wurde der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen und einer Berufung gegen diesen Bescheid gemäß §38 Abs1 Z6 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 31. März 2006 wurde der Bescheid des Bundesasylamtes in Spruchpunkt IV. iSd §38 Abs2 AsylG 2005 ersatzlos behoben und ausgesprochen, dass der Berufung des Beschwerdeführers iSd §36 Abs2 AsylG 2005 die aufschiebende Wirkung zukommt.

2. Am 29. März 2006 erhob der Beschwerdeführer erstmals eine Schubhaftbeschwerde, die vom Unabhängigen Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt (im Folgenden: UVS), mit Bescheid vom 6. April 2006 gemäß §67c Abs3 iVm Abs2 AVG als unzulässig zurückgewiesen wurde. Begründend wurde ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer gestellten Anträge (u.a. Antrag auf ersatzlose Behebung des Schubhaftbescheides) weder in §67c AVG noch in §82 FPG vorgesehen seien.

Am 6. April 2006 um 16.42 Uhr brachte der Beschwerdeführer neuerlich eine Schubhaftbeschwerde bei der Bezirkshauptmannschaft Baden ein (sie gilt nach Auffassung des UVS aufgrund der Einbringung außerhalb der Amtsstunden am 7. April 2006 als eingebracht). Mit Bescheid des UVS vom 14. April 2006 wurde der Beschwerde keine Folge gegeben und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Am 28. April 2006 um 16.34 Uhr brachte der Beschwerdeführer eine weitere Schubhaftbeschwerde gemäß §82 FPG bei der Bezirkshauptmannschaft Baden ein. Sie gilt nach Auffassung des UVS aufgrund der Einbringung außerhalb der Amtsstunden am 2. Mai 2006 als eingebracht. Aufgrund eines "Protokollierungsfehlers" wurde die Beschwerde dem UVS jedoch erst am 10. Mai 2006 zur Entscheidung vorgelegt.

3.1. Der UVS erledigte die Beschwerde mit Bescheid vom 11. Mai 2006 wie folgt:

"Gemäß §83 Abs2 und 4 FPG i.V.m. §67c Abs3 AVG wird der Beschwerde Folge gegeben und festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen im Zeitpunkt dieser Entscheidung nicht vorliegen.

Zum Zeitpunkt der Verhängung der Schubhaft am 02.02.2006 war die Anhaltung in Schubhaft rechtmäßig.

..."

3.2. Begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass die Fortsetzung der Schubhaft unzulässig sei, da der Sicherungszweck der Schubhaft aufgrund der geänderten Sachlage nun auch durch die Anwendung gelinderer Mittel iSd §77 Abs1 FPG erreicht werden könne:

Die nunmehrige Lebensgefährtin des Beschwerdeführers, die über eine Wohnung und ein geregeltes Einkommen verfüge, habe sich dazu verpflichtet, für den Unterhalt des Beschwerdeführers aufzukommen.

Der Umstand, dass die Schubhaft vor dem Entscheidungszeitpunkt rechtmäßig war, sei hingegen bereits mit Bescheid vom 14. April 2006 festgestellt worden.

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters am 11. Mai 2006 mittels Telefax zugestellt.

4. Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im Folgenden: PersFrSchG 1988), behauptet und beantragt wird, der Verfassungsgerichtshof möge (kostenpflichtig) feststellen, "dass der Beschwerdeführer in seinem ... verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde".

Der Beschwerdeführer bringt im Wesentlichen vor, dass er im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt wurde, weil die Entscheidung des UVS über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 nicht binnen einer Woche ergangen sei.

5. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen. Im Zuge der Aktenvorlage wurde lediglich mitgeteilt, "dass die verfahrensgegenständliche Schubhaftbeschwerde am 10.05.2006 seitens der erstinstanzlichen Behörde ... vorgelegt wurde, der angefochtene Bescheid am 11.05.2006 erlassen wurde."

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Art6 Abs1 PersFrSchG 1988 lautet:

"Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet.

(2) ..."

1.2. Die §§82 und 83 FPG lauten:

"9. Hauptstück

Besonderer Rechtsschutz

Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat

§82. (1) Der Fremde hat das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

(2) Die Beschwerde kann auch bei der Behörde eingebracht werden, der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist. Erfolgt die angefochtene Anhaltung in Vollziehung eines Schubhaftbescheides, kann die Beschwerde auch bei der Behörde eingebracht werden, die den Bescheid erlassen hat.

(3) Wird die Beschwerde bei der Behörde gemäß Abs2 eingebracht, hat diese dafür zu sorgen, dass sie, sofern die Anhaltung des Beschwerdeführers nicht schon vorher geendet hat, dem unabhängigen Verwaltungssenat spätestens zwei Werktage nach dem Einlangen vorliegt. Die Behörde, die den Beschwerdeführer anhält, hat dem unabhängigen Verwaltungssenat das Ende der Anhaltung während des Beschwerdeverfahrens unverzüglich mitzuteilen.

(4) Hat die Anhaltung des Fremden hingegen schon vor Ablauf der Frist des Abs3 geendet, ist die Behörde gemäß Abs2 verpflichtet, die Beschwerde dem unabhängigen Verwaltungssenat ohne unnötigen Aufschub vorzulegen.

Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat

§83. (1) Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde.

(2) Über die Beschwerde entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

(3) Hat der unabhängige Verwaltungssenat dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist des Abs2 Z2 bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden."

1.3. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde, mit dem darüber entschieden wird, dass eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg. 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).

Ein Bescheid eines UVS über eine Beschwerde gemäß §82 FPG verletzt (u.a.) dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 nicht binnen einer Woche ergangen ist.

2.1. Im vorliegenden Fall wurde die Schubhaftbeschwerde gemäß §82 FPG vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers bereits am 28. April 2006 um 16.34 Uhr bei der Bezirkshauptmannschaft Baden eingebracht; sie wurde dem UVS - aufgrund eines "Protokollierungsfehlers" - jedoch erst am 10. Mai 2006 zur Entscheidung vorgelegt.

Aus der Anordnung in Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988, dass die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat, erfließt die Verpflichtung des UVS, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, dass im Verfahren über eine Schubhaftbeschwerde gemäß §82 FPG seine Entscheidung iSd §83 FPG möglichst bald, spätestens innerhalb einer Woche dem Beschwerdeführer (gegebenenfalls seinem Rechtsvertreter) und der vor dem UVS belangten Behörde zugeht.

2.2. Die gemäß Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 iVm §83 Abs2 Z2 FPG gebotene Frist von einer Woche ist grundsätzlich ab dem Einlangen der Beschwerde beim UVS zu berechnen (vgl. dazu VfSlg. 13.893/1994, 14.193/1995). In Ansehung der gemäß §82 Abs2 FPG vorgesehenen Möglichkeit, die Schubhaftbeschwerde bei der Behörde einzubringen, der die Festnahme oder Anhaltung zuzurechnen ist oder die den Schubhaftbescheid erlassen hat, ist jedoch auf den Zeitpunkt ihres Einlangens bei der zuständigen Behörde abzustellen (vgl. auch Kopetzki, Art6 PersFrSchG 1988, in: Korinek/Holoubek [Hrsg.], Bundesverfassungsrecht, Rz 46 ff. sowie insb. Rz 50, wonach der Fristenlauf im Falle eines antragsbedürftigen Verfahrens mit der Antragstellung bzw. mit dem Einlangen des Antrags bei der zuständigen Behörde beginnt).

Es kann dahinstehen, ob die von der belangten Behörde denkmöglich vertretene Auffassung zutrifft, dass die in Rede stehende Schubhaftbeschwerde aufgrund der Einbringung "außerhalb der Amtsstunden" erst am 2. Mai 2006 als eingelangt gilt. Gemäß §82 Abs3 FPG hat die Behörde jedenfalls dafür zu sorgen, dass die bei ihr eingebrachte Beschwerde dem UVS spätestens zwei Werktage nach dem Einlangen vorliegt, sofern die Anhaltung des Beschwerdeführers nicht schon vorher geendet hat. Unter Bedachtnahme auf Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber - unabhängig von behördeninternen Manipulationen - eine einwöchige Entscheidungsfrist als Obergrenze festgelegt hat.

2.3. Die Entscheidung des UVS hatte daher - da sich der Beschwerdeführer weiterhin in Schubhaft befand (vgl. Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 iVm §83 Abs2 Z2 FPG) - binnen einer Woche, spätestens jedoch - ginge man von der Einbringung am 2. Mai 2006 aus - am 9. Mai 2006 zu ergehen. Der angefochtene Bescheid wurde dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers (der auch schon die Beschwerde eingebracht hatte) jedoch erst am 11. Mai 2006 zugestellt. Er ist sohin erst nach Ablauf der gemäß Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 iVm §83 Abs2 Z2 FPG gebotenen Frist von einer Woche ergangen.

Der Beschwerdeführer wurde dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt, dass die Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft nicht binnen einer Woche ab Beschwerdeerhebung erging.

3. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich - antragsgemäß - auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat (vgl. dazu auch VfGH 30.11.2006, G197/06).

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 360,- sowie die gemäß §17a VfGG entrichtete Eingabengebühr in Höhe von € 180,-

enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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