B950/08 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Der Antrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird abgewiesen.
Begründung:
I. 1. Der Beschwerdeführer, dessen Vater vom 26. November 2007
bis 3. April 2008 im Rahmen der "Hilfe für pflegebedürftige Personen" auf einem Pflegeplatz im Altersheim der Stadt Landeck untergebracht war, wendet sich mit einer auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde gegen zwei Schreiben der Tiroler Landesregierung, mit denen zum einen auf die nach §11 Abs1 Tiroler Grundsicherungsgesetz bestehende Verpflichtung zum Kostenersatz durch unterhaltsverpflichtete Personen hingewiesen und der monatliche Kostenersatz "festgesetzt" wurde, zum anderen gegenüber der Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers die näheren Berechnungsmodalitäten dieses Kostenersatzes übermittelt wurden.
In eventu stellt der Beschwerdeführer einen Individualantrag auf Prüfung einiger Bestimmungen des Tiroler Grundsicherungsgesetzes gemäß Art140 Abs1 B-VG und der Tiroler Grundsicherungsverordnung gemäß Art139 Abs1 B-VG. Im Hinblick auf die Beschwerde nach Art144 B-VG stellt der Beschwerdeführer den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung.
2. Die entsprechenden Bestimmungen des Tiroler Grundsicherungsgesetzes - TGSG, LGBl. 20/2006, lauten:
"§5
Arten der Grundsicherung
Die Grundsicherung umfasst:
a) die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes,
b) die Hilfe in besonderen Lebenslagen,
c) die Übernahme der Bestattungskosten und
d) die Hilfe zur Arbeit.
...
§7
Hilfe in besonderen Lebenslagen
(1) Die Hilfe in besonderen Lebenslagen umfasst Maßnahmen zur Beseitigung der im §1 Abs3 litb genannten außergewöhnlichen Schwierigkeiten. Hierzu gehören insbesondere:
...
d) die Hilfe für pflegebedürftige Personen,
...
(2) - (4) ...
(5) Die Hilfe für pflegebedürftige Personen umfasst Maßnahmen, die aufgrund der Pflegebedürftigkeit des Hilfesuchenden notwendig sind. Als pflegebedürftig ist anzusehen, wer infolge einer Krankheit oder eines Gebrechens der Betreuung und Hilfe bedarf.
(6) - (11) ...
(12) Über die Gewährung der Krankenhilfe, der Hilfe für werdende Mütter und Wöchnerinnen und der Hilfe zur Erziehung und Erwerbsbefähigung ist im Verwaltungsweg zu entscheiden, soweit im §4 Abs3 nichts anderes bestimmt ist. Die Gewährung der Hilfe für pflegebedürftige Personen, der vorbeugenden Gesundheitshilfe und der persönlichen Hilfe sowie die Erstellung eines Hilfeplans obliegen dem Land Tirol als Träger von Privatrechten. Die Gewährung der Hilfe zur Überbrückung außergewöhnlicher Notstände obliegt dem Grundsicherungsfonds (§31).
(13) - (14) ...
...
§11
Kostenersatz durch Unterhaltspflichtige
(1) Personen, die gesetzlich zum Unterhalt des Empfängers der Grundsicherung verpflichtet sind, haben die Kosten der Grundsicherung in dem durch Verordnung der Landesregierung festzusetzenden Ausmaß zu ersetzen. Dieses Ausmaß darf höchstens bis zur Höhe der Unterhaltspflicht festgesetzt werden.
(2) Bei der Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegenüber Unterhaltspflichtigen ist auf deren wirtschaftliche Verhältnisse und ihre sonstigen Sorgepflichten Bedacht zu nehmen.
(3) Großeltern und Enkel sind nicht zum Kostenersatz verpflichtet.
§12
Geltendmachung von Ersatzansprüchen
(1) Ersatzansprüche nach den §§10 und 11 können, soweit sie nicht grundbücherlich sichergestellt sind, nicht mehr geltend gemacht werden, wenn seit dem Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Grundsicherung gewährt worden ist, mehr als drei Jahre vergangen sind.
(2) Über den Ersatz der Kosten für Leistungen nach §6, §7 Abs1 lita, b und c und §8 Abs1, mit Ausnahme des Ersatzes der Kosten für Leistungen an Fremde nach §4 Abs3, ist im Verwaltungsweg zu entscheiden. Im Übrigen sind zur Entscheidung über den Kostenersatz die ordentlichen Gerichte zuständig.
...
§15
Kostentragungspflicht im Allgemeinen
(1) Die Kosten der Grundsicherung sind nach Maßgabe der folgenden Absätze vom Land Tirol, von den Gemeinden und vom Grundsicherungsfonds zu tragen.
(2) - (8) ...
§16
Zuständigkeit
(1) Die Zuerkennung der vom Land Tirol zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung, über die im Verwaltungsweg zu entscheiden ist, obliegt den Bezirksverwaltungsbehörden.
(2) Die Zuerkennung der vom Land Tirol als Träger von Privatrechten zu gewährenden Leistungen der Grundsicherung obliegt den Bezirksverwaltungsbehörden, soweit im Abs3 nichts anderes bestimmt ist.
(3) Die Gewährung der Hilfe für pflegebedürftige Personen (§7 Abs5) obliegt der Landesregierung.
(4) Die im Verwaltungsweg zu treffenden Entscheidungen nach §12 Abs2, §14 Abs4 und §23 Abs3 obliegen den Bezirksverwaltungsbehörden.
(5) ..."
Die einschlägigen Bestimmungen der Tiroler Grundsicherungsverordnung - TGSV, LGBl. 28/2006 idF LGBl. 96/2007, lauten:
"§2
Hilfe in besonderen Lebenslagen
(1) - (3) ...
(4) Die Hilfe für pflegebedürftige Personen kann vor allem Personen gewährt werden, die nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften ein Pflegegeld zumindest der Stufe drei beziehen. Sie umfasst insbesondere:
a) häusliche Pflege,
(5) - (10) ...
...
§11
Kostenersatz
(1) Ein hinreichendes Einkommen im Sinn des §10 Abs1 lita des Tiroler Grundsicherungsgesetzes liegt vor, wenn nach Abzug der Kosten für die Unterkunft noch mehr als das Eineinhalbfache des Richtsatzes für Alleinstehende nach §5 Abs1 lita verbleibt.
(2) Die Höhe des Kostenersatzes durch Personen, die gesetzlich zum Unterhalt des Hilfeempfängers verpflichtet sind, bemisst sich insbesondere anhand der gesetzlichen Unterhaltsverpflichtungen gemäß den §§94, 140 und 143 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB), JGS Nr. 946/1811, zuletzt geändert durch das Gesetz BGBl. I Nr. 120/2005. Kinder von Hilfeempfängern haben Kostenersatz jedoch nur im halben Ausmaß der sich aus §143 ABGB ergebenden Verpflichtung zu leisten, wobei sie zudem zum Kostenersatz lediglich hinsichtlich eines Elternteils heranzuziehen sind.
(3) ..."
II. Die Beschwerde ist nicht zulässig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist unter Bescheid iSd Art144 B-VG jede Erledigung einer Verwaltungsbehörde zu verstehen, womit ein individuelles Rechtsverhältnis gestaltet oder festgestellt wird, ob sie nun in Form eines Bescheides nach §56 AVG ergeht oder nicht (VfSlg. 4986/1965, 11.590/1987, 11.932/1988, 13.723/1994, 15.245/1998; VfGH 13.3.2008, B821/07).
Nach der eindeutigen Systematik des Tiroler Grundsicherungsgesetzes ist die "Hilfe für pflegebedürftige Personen" (§7 Abs1 litd leg.cit.) vom Land Tirol "als Träger von Privatrechten" zu erbringen (§7 Abs12 leg.cit.). Dem entspricht auch die Zuweisung der Entscheidung über den Kostenersatz an die ordentlichen Gerichte (§12 Abs2 leg.cit.). Damit sind Erledigungen der Landesregierung (vgl. dazu §16 Abs3 leg.cit.), wie sie im gegebenen Kontext vorliegen, jedenfalls keine Bescheide. Aus diesem Grund war die Beschwerde wegen Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zurückzuweisen.
III. Auch die beiden Individualanträge sind mangels Legitimation zurückzuweisen:
Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003). Dies gilt mutatis mutandis auch für die Antragslegitimation nach Art139 Abs1 (letzter Satz) B-VG (zB VfSlg. 11.684/1988, 14.297/1995, 15.349/1998, 16.345/2001 und 16.836/2003).
Dem Beschwerdeführer ist es aber jedenfalls zumutbar, sich im Hinblick auf §12 Abs2 Satz 2 Tiroler Grundsicherungsgesetz auf ein gerichtliches Verfahren einzulassen und in erster (im Hinblick auf die Verordnungsbestimmungen) bzw. in zweiter Instanz (im Hinblick auf die Gesetzesbestimmungen) ein entsprechendes Prüfungsverfahren anzuregen (dazu VfSlg. 14.832/1997), um auf diesem Weg seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Auf die Erfolgsaussichten in einem derartigen Verfahren kommt es dabei grundsätzlich nicht an (siehe etwa VfSlg. 16.060/2000). Schon aus diesem Grund waren die Individualanträge zurückzuweisen.
IV. 1. Der Antrag, die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abzutreten, ist abzuweisen, weil nach Art144 Abs3 B-VG (und §87 Abs3 VfGG) eine solche Abtretung nur für den Fall vorgesehen ist, dass der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde abweist oder ihre Behandlung ablehnt, nicht aber für den ihrer Zurückweisung.
2. Bei diesem Verfahrensergebnis konnte auch eine Entscheidung über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, entfallen.
V. Dieser Beschluss wurde gemäß §19 Abs3 Z2 lita und e VfGG
ohne weiteres Verfahren gefasst.