G4/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes
Oberösterreich (im Folgenden: UVS) sind zwei Berufungen gegen Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, jeweils vom 26. November 2007, anhängig.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, ZVerkR22-17-51-2007, wurde der Berufungswerberin aufgetragen, sich binnen vier Monaten einer Nachschulung gemäß §30b Abs1 und 3 Führerscheingesetz (im Folgenden: FSG) zu unterziehen.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, ZVerkR21-906-2007/LL, wurde dem Berufungswerber für drei Monate die Lenkberechtigung entzogen.
1.2. Gegen beide Berufungswerber liegen je zwei rechtskräftige Bestrafungen sowie darauf gründende Vormerkungen im Führerscheinregister wegen der Beförderung von Kindern in einem PKW ohne Verwendung der erforderlichen Rückhalteeinrichtung gemäß des zum Zeitpunkt der Tat geltenden §106 Abs1b Kraftfahrgesetz 1967 (im Folgenden: KFG 1967) - damals idF BGBl. I 60/2003 - vor. Im zweiten Fall liegt zusätzlich ein drittes Vormerkdelikt nach §102 Abs1 KFG 1967 vor.
2. Aus Anlass dieser Berufungsverfahren entstanden beim UVS Zweifel ob der Verfassungsmäßigkeit des §30a Abs2 Z13 FSG, BGBl. I 120/1997, idF BGBl. I 152/2005, weshalb er gemäß Art129a Abs3 iVm Art89 Abs2 B-VG den Antrag stellte, der Verfassungsgerichtshof möge diese Bestimmung "wegen Verletzung des aus dem Gleichheitssatz (Art7 B-VG, Art2 StGG) abzuleitenden Sachlichkeitsgebots als verfassungswidrig aufheben". Begründend führt der UVS aus, dass die Anordnung einer Eintragung im Führerscheinregister zwingend vorgesehen sei. Ein zweimaliger bzw. mit einem anderen Vormerkdelikt verbundener dreimaliger Verstoß gegen Vorschriften des KFG 1967 binnen zwei Jahren dürfe nicht in jedem Fall als "vormerkwürdiges Ereignis" qualifiziert werden.
3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der dem Antrag des UVS entgegengetreten und dessen Zurück- bzw. Abweisung beantragt wird.
II. Zur Rechtslage:
1. §30a FSG, BGBl. I 120/1997, idF BGBl. I 152/2005, lautete:
"Vormerksystem - Maßnahmen gegen Risikolenker
Vormerksystem
§30a. (1) Hat ein Kraftfahrzeuglenker eines der in Abs2 angeführten Delikte begangen, so ist unabhängig von einer verhängten Verwaltungsstrafe, einer etwaigen Entziehung der Lenkberechtigung oder sonstiger angeordneter Maßnahmen eine Vormerkung im Örtlichen Führerscheinregister einzutragen. Die Vormerkung ist auch dann einzutragen, wenn das in Abs2 genannte Delikt den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht. Für die Vornahme der Eintragung ist die Rechtskraft des gerichtlichen oder des Verwaltungsstrafverfahrens abzuwarten. Die Eintragung der Vormerkung ist von der das Verwaltungsstrafverfahren führenden Behörde, im Fall einer gerichtlichen Verurteilung von der Behörde des Hauptwohnsitzes vorzunehmen und gilt ab dem Zeitpunkt der Delikt- setzung. Der Lenker ist über die Eintragung und den sich daraus möglicherweise ergebenden Folgen durch einen Hinweis im erstinstanzlichen Strafbescheid zu informieren.
(2) Folgende Delikte sind gemäß Abs1 vorzumerken:
1. Übertretungen des §14 Abs8;
2. Übertretungen des §20 Abs5;
3. Übertretungen des §21 Abs3;
(3) Werden zwei oder mehrere der in Abs2 angeführten Delikte in Tateinheit begangen, so zählt die Eintragung in das Örtliche Führerscheinregister als eine Vormerkung.
(4) Die in den §7 Abs3 Z14 oder 15, §25 Abs3 zweiter Satz oder §30b genannten Rechtsfolgen treten nur dann ein, wenn die die jeweiligen Rechtsfolgen auslösenden Delikte innerhalb von zwei Jahren begangen wurden. Wurde eine Entziehung gemäß §7 Abs3 Z14 oder 15 ausgesprochen oder die Entziehungsdauer gemäß §25 Abs3 zweiter Satz verlängert, so sind die dieser Entziehung zugrunde liegenden Vormerkungen künftig nicht mehr zu berücksichtigen. Wurde die Entziehung der Lenkberechtigung wegen einer der in §7 Abs3 genannten bestimmten Tatsache ausgesprochen, so sind später eingetragene Vormerkungen aufgrund von Delikten, die vor dem Zeitpunkt der Entziehung der Lenkberechtigung begangen wurden, hinsichtlich der Rechtsfolgen des §25 Abs3 zweiter Satz oder hinsichtlich der sonstigen Entziehungsdauer nicht mehr zu berücksichtigen.
(5) Wenn sich ergibt, dass eine Vormerkung gemäß Abs1 zu Unrecht erfolgte, so ist diese Eintragung unverzüglich zu löschen."
Die hier angefochtene Z13 blieb von der Novelle BGBl. I 31/2008 unberührt.
2.1. §30b FSG, BGBl. I 120/1997, idF BGBl. I 15/2005, lautet auszugsweise:
"Besondere Maßnahmen
§30b. (1) Unbeschadet einer etwaigen Entziehung der Lenkberechtigung ist eine besondere Maßnahme gemäß Abs3 anzuordnen:
(2) Von der Anordnung einer besonderen Maßnahme ist jedoch Abstand zu nehmen, wenn
1. die Voraussetzungen des §7 Abs3 Z14 oder 15 vorliegen oder
(3) Als besondere Maßnahmen kommen die Teilnahme an
in Betracht. Die zu absolvierende Maßnahme ist von der Behörde festzusetzen, wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, dass die Maßnahme geeignet ist, im Wesentlichen den Unrechtsgehalt der gesetzten Delikte aufzuarbeiten. Es ist jene Maßnahme zu wählen, die für den Betroffenen am besten geeignet ist, sich mit seinem Fehlverhalten auseinanderzusetzen, sich die Gefahren im Straßenverkehr bewusst zu machen und durch entsprechende Bewusstseinsbildung, auch im Hinblick auf die Notwendigkeit einer unfallvermeidenden defensiven Fahrweise und die fahrphysikalischen Grenzen beim Betrieb eines Kraftfahrzeuges, einen Rückfall in weitere Verkehrsverstöße zu vermeiden.
(4) - (6) (...)"
2.2. §106 Abs5 und 6 KFG 1967, BGBl. 267/1967, idF BGBl. I 6/2008, lautet:
"Personenbeförderung
§106. (1) - (4) (...)
(5) Der Lenker hat dafür zu sorgen, dass Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, die
Ist das Fahrzeug, ausgenommen Beförderung in Fahrzeugen der Klassen M2 und M3, nicht mit Sicherheitssystemen (Sicherheitsgurten oder Rückhalteeinrichtung) ausgerüstet, so dürfen Kinder, die das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht befördert werden und müssen Kinder ab vollendetem dritten Lebensjahr auf anderen als den Vordersitzen befördert werden. Kinder dürfen auf einem mit einem Front-Airbag geschützten Sitz nicht in einem nach hinten gerichteten Rückhaltesystem befördert werden, es sei denn, der Airbag wurde außer Betrieb gesetzt oder schaltet sich in solchen Fällen automatisch selbst ab.
(6) Abs5 gilt nicht
In den Fällen der Z2 bis Z5 dürfen die Kinder aber nicht auf den Vordersitzen befördert werden, wenn keine geeigneten Rückhalteeinrichtungen verwendet werden.
(7) - (15) (...)"
III. Zur Zulässigkeit:
1. Der UVS vertritt im Wesentlichen die Ansicht, dass die die Vormerkung im Führerscheinregister "auslösenden" Delikte innerhalb von zwei Jahren begangen worden seien (§30a Abs4 FSG), sodass die Anordnung einer Nachschulung zwingend und §30a
Abs2 Z13 FSG präjudiziell sei.
2. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung den antragstellenden UVS an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieser Behörde in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 14.464/1996, 15.293/1998, 16.632/2002, 16.925/2003).
Da es jedenfalls nicht denkunmöglich ist, wenn der UVS davon ausgeht, dass er §30a Abs2 Z13 FSG anzuwenden habe, und auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
IV. Der Verfassungsgerichtshof hat in der Sache erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes gemäß Art140 B-VG auf die Erörterung der aufgeworfenen Fragen zu beschränken (vgl. VfSlg. 12.691/1991, 13.471/1993, 14.895/1997, 16.824/2003). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Bestimmung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen verfassungswidrig ist (VfSlg. 15.193/1998, 16.374/2001, 16.538/2002, 16.929/2003).
2. Der UVS hegt im Wesentlichen das Bedenken, §30a Abs2 Z13 FSG verstoße gegen das Sachlichkeitsgebot gemäß Art7 B-VG bzw. Art2 StGG, weil die Anordnung einer Eintragung im Führerscheinregister zwingend vorgesehen sei. Die Normierung der unterbliebenen Verwendung von Rückhalteeinrichtungen zur Kindersicherung als "Vormerktatbestand" sei unsachlich. Die Einbeziehung der Vorschriften betreffend die Personenbeförderung widerspreche der Zielsetzung des Vormerksystems, "Hochrisikolenker" zu erfassen. Die Verwirklichung dieses "Vormerktatbestandes" könne nicht für sich auf eine "erhöhte Risikoneigung" des Lenkers hinweisen.
3. In ihrer Äußerung weist die Bundesregierung darauf hin, dass sich die Quote der ordnungsgemäßen Kindersicherung laut einer Erhebung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit von 85,9 % im Jahr 2005 auf 90,8 % im Jahr 2006 (das Vormerksystem trat mit 1. Juli 2005 in Kraft) erhöht habe.
4. Der Gleichheitsgrundsatz bindet auch den Gesetzgeber (s. etwa VfSlg. 13.327/1993, 16.407/2001). Er setzt ihm insofern inhaltliche Schranken, als er verbietet, sachlich nicht begründbare Regelungen zu treffen (vgl. zB VfSlg. 14.039/1995, 16.407/2001). Innerhalb dieser Schranken ist es dem Gesetzgeber jedoch von Verfassungs wegen durch den Gleichheitsgrundsatz nicht verwehrt, seine rechtspolitischen Zielvorstellungen auf die ihm geeignet erscheinende Art zu verfolgen (s. etwa VfSlg. 16.176/2001, 16.504/2002). Diese Schranken sind im vorliegenden Fall aus folgenden Gründen nicht überschritten:
Wie die Bundesregierung zutreffend ausführt, dient das Vormerksystem im Führerscheinregister der Erhöhung der Verkehrssicherheit. Die Kindersicherung dient dabei dem spezifischen Schutz einer Personengruppe, die - anders als etwa erwachsene Mitfahrer in einem Kfz - nicht in der Lage ist, selbst die erforderlichen Maßnahmen zur Wahrung der Verkehrssicherheit zu treffen oder einzufordern. Die Auswahl der in §30a Abs2 FSG genannten Delikte wurde unter den Gesichtspunkten der Spezialprävention ("Risikolenker" bereits im Anfangsstadium "abfangen") und der Generalprävention (Sensibilisierung der Bevölkerung) getroffen (vgl. die Erläut. zur RV der 7. FSG-Novelle, 794 BlgNR 22. GP). Der Deliktskatalog umfasst ausschließlich Übertretungen, die mit einer erhöhten Unfallgefahr verbunden sind oder bei denen andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden.
Es liegt im rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, wenn er daher vorsieht, dass auch die Unterlassung der Verwendung von Rückhalteeinrichtungen zur Kindersicherung ein Risikoverhalten iSd §30a FSG darstellt. Ob eine Regelung zweckmäßig ist und das Ergebnis in allen Fällen als befriedigend empfunden wird, kann nicht mit dem Maß des Gleichheitssatzes gemessen werden (zB VfSlg. 14.301/1995, 15.980/2000 und 16.814/2003). Damit erledigt sich auch das Vorbringen, die Einbeziehung des §106 KFG 1967 in den Deliktskatalog des §30a Abs2 FSG widerspreche der Zielsetzung des Vormerksystems.
Vor diesem Hintergrund vermag der Verfassungsgerichtshof keine Verfassungswidrigkeit des §30a Abs2 Z13 FSG zu erblicken.
Das Bedenken des UVS hat sich somit nicht als zutreffend erwiesen.
Der Antrag war daher abzuweisen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.