JudikaturVfGH

V388/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Februar 2009

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. 1. Der Antragsteller ist in einer näher bezeichneten, im Jahr

2007 bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg anhängig gewesenen Strafsache als Anzeiger und Privatbeteiligter aufgetreten. Die diesbezügliche Anzeige wurde seitens der Staatsanwaltschaft gemäß §90 Abs1 Strafprozessordnung 1975 idF vor In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I 19/2004, (im Folgenden: StPO alt) zurückgelegt; hievon ist der Einschreiter - seinen Angaben zufolge - am 3. Oktober 2007 mittels vorgesehenen Formulars mit der Bekanntgabe verständigt worden, dass er berechtigt sei, als Subsidiarankläger gemäß §48 Abs1 StPO alt die Einleitung der Voruntersuchung zu verlangen.

2. Mit 1. Jänner 2008 trat das Strafprozessreformgesetz, BGBl. I 19/2004, mit dem die Strafprozessordnung 1975 neu gestaltet wurde (im Folgenden: StPO neu), in Kraft. Das dem Privatbeteiligten nach der bisherigen Rechtslage in §48 Abs1 Z1 StPO alt nach Zurücklegung einer Anzeige durch den öffentlichen Ankläger (grundsätzlich unbefristet) eingeräumte Subsidiaranklagerecht fand in das Strafprozessreformgesetz nicht Eingang. Allerdings wurde mit der Vorschrift des §195 StPO neu eine Regelung geschaffen, nach der dem Opfer und anderen an der Strafverfolgung rechtlich interessierten Personen unter bestimmten Voraussetzungen das Recht eingeräumt wird, bei der Staatsanwaltschaft die Fortführung eines von der Staatsanwaltschaft (gemäß §§190 ff. StPO neu) beendeten Ermittlungsverfahrens zu erwirken. Ein solcher Antrag ist innerhalb von 14 Tagen nach Verständigung von der Einstellung, spätestens innerhalb von sechs Monaten ab der Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft einzubringen (§195 Abs2 StPO neu); sofern die Staatsanwaltschaft nicht selbst eine Verfahrensfortführung anordnet, ist das Oberlandesgericht zur Entscheidung über derartige Anträge berufen (§§195 Abs3, 196 leg.cit.).

Die Übergangsvorschriften des §516 StPO neu enthalten keine Regelung darüber, welche Frist in jenen Fällen einzuhalten ist, in denen - wie hier - die Anzeigenzurücklegung (nach §90 StPO alt) zu einem Zeitpunkt vor In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes (also vor dem 1. Jänner 2008) erfolgte, ein darauf bezogener Fortführungsantrag aber nach In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes (also nach dem 1. Jänner 2008) eingebracht wurde.

3. Im vorliegenden Fall begehrte der Antragsteller mit seiner am 10. März 2008 bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg eingelangten Eingabe als Privatbeteiligter die "Fortführung des Ermittlungsverfahrens" hinsichtlich des von der Staatsanwaltschaft (durch Zurücklegung der Anzeige gemäß §90 Abs1 StPO alt) beendeten Strafverfahrens. Das Oberlandesgericht Wien (dem diese Eingabe des Einschreiters von der Staatsanwaltschaft übermittelt wurde) wies den Antrag mit Beschluss vom 17. April 2008 gemäß §196 Abs2 StPO neu als verspätet zurück: Das mit 1. Jänner 2008 in Kraft getretene Strafprozessreformgesetz habe die frühere Regelung hinsichtlich eines nur durch die allgemeinen Verjährungsvorschriften begrenzten, im Übrigen aber nicht befristeten Subsidiarantrages (§48 Abs1 Z1 StPO alt) nicht übernommen; das "ähnliche" Rechtsinstitut der Fortführung nach §§195 ff. StPO neu ermögliche bestimmten Personen die Antragstellung auf Verfahrensfortführung innerhalb einer Frist von maximal sechs Monaten. Auf Fälle wie den vorliegenden sei jedoch die neue Rechtslage anzuwenden, die das Institut des (vormaligen) Subsidiarantrages - auf das sich die vor dem 1. Jänner 2008 erfolgte Benachrichtigung des Antragstellers bezogen habe - nicht mehr kenne. Auch nach dem Erlass der Bundesministerin für Justiz vom 19. Februar 2008, BMJ-L590.000/0012-II 3/2008, sei ein nach dem 1. Jänner 2008 eingebrachter, auf eine frühere Verfahrenseinstellung bezogener "Subsidiarantrag" als Antrag auf Fortführung gemäß §195 StPO neu zu behandeln. Hier liege kein Subsidiarantrag, sondern ein auf §195 Abs1 StPO neu gestützter Fortsetzungsantrag nach Benachrichtigung von der Anzeigenzurücklegung vor, für den die (bei erfolgter Verständigung Platz greifende) vierzehntägige Frist des §195 Abs1 StPO neu zum Tragen komme; der Beginn des Laufes dieser Frist sei im vorliegenden Fall mit 1. Jänner 2008 - dem Tag des In-Kraft-Tretens der Reform - anzusetzen. Der (erst) am 10. März 2008 bei der Staatsanwaltschaft Korneuburg eingelangte Antrag vom 6. März 2008 sei daher verspätet.

4. Mit dem vorliegenden, auf Art139 Abs1 B-VG gestützten Individualantrag bekämpft der Antragsteller ausdrücklich (nur) den nachstehenden Satz in Punkt B.1. des erwähnten, von ihm als Verordnung qualifizierten Erlasses der Bundesministerin für Justiz vom 19. Februar 2008, Z BMJ-L590.000/0012-II 3/2008, als gesetz- und verfassungswidrig:

"Der Beginn des Fristenlaufs ist bei Einstellungen vor dem In-Kraft-Treten der Strafprozessreform wohl generell mit 1.1.2008 anzusetzen."

5. Die in Rede stehende - von der Bundesministerin für Justiz den Präsidenten der Oberlandesgerichte und den Oberstaatsanwaltschaften übermittelte (sowie im Amtsblatt der österreichischen Justizverwaltung und im Rechtsinformationssystem des Bundes veröffentlichte) - Enunziation, Z BMJ-L590.000/0012-II 3/2008, hat - soweit hier von Bedeutung - folgenden Wortlaut (der angefochtene Satz ist durch Fettdruck hervorgehoben):

"Betrifft: Erlass zu einzelnen in der Praxis aufgetretenen Fragen und Problemkreisen seit In-Kraft-Treten der Strafprozessreform

Mit In-Kraft-Treten des Strafprozessreformgesetzes, BGBl. I Nr. 19/2004, der beiden Strafprozessreformbegleitgesetze, BGBl. I Nr. 93/2007 und BGBl. I. Nr. 112/2007, des Strafrechtsänderungsgesetzes 2008, BGBl. I Nr. 109/2007 sowie der Änderung der DV-StAG, BGBl. II Nr. 396/2007, wurde die inhalts- und umfangreichste Novellierung des Strafverfahrens seit dem In-Kraft-Treten der Strafprozessordnung 1873 vollzogen.

Die Staatsanwaltschaften und Gerichte waren und sind nicht nur durch die Umsetzung der neuen rechtlichen Grundlagen zur Abwicklung des Ermittlungsverfahrens, sondern auch durch die Konfrontation mit einem adaptierten Organisationsrecht, das von der Aktenbildung über den Aktenlauf bis zur Registerführung reicht, vor neue und veränderte Herausforderungen gestellt.

Die Abteilung II 3 des Bundesministeriums für Justiz hat in der seit In-Kraft-Treten der Reform vergangenen Zeit zahlreiche Rückmeldungen aus der täglichen Praxis der RechtsanwenderInnen im Bereich des Strafrechts erhalten, die sämtliche Organisationseinheiten bei den Staatsanwaltschaften und Gerichten betreffen. Den Kolleginnen und Kollegen sei an dieser Stelle für ihr Engagement gedankt.

In Anknüpfung an den Erlass vom 14. Dezember 2007, der einen Katalog ausgewählter Fragen, die im Rahmen der Reformvorbereitung am häufigsten gestellt wurden, behandelt und die organisatorische Umsetzung und Anwendung der neuen Bestimmungen vorbereiten sollte, werden nun aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz - unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - mehrere in der Praxis aufgetretene Fragen und Problemkreise erörtert und konkrete Lösungsvorschläge vorgestellt. Es handelt sich dabei um folgende Themen, die in die Bereiche Staatsanwaltschaft - Staatsanwaltschaft und Gericht - Gericht untergliedert sind:

A) Staatsanwaltschaft:

...

B) Staatsanwaltschaft und Gericht:

1. Subsidiarantrag/Antrag auf Fortführung gemäß §195 StPO (Übergangsregelung)

§195 Abs1 StPO berechtigt Opfer (§65) und andere Personen, die an der Strafverfolgung sonst ein rechtliches Interesse haben könnten, die Fortführung eines nach den §§190 bis 192 beendeten Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft zu begehren. Dieser Antrag ist binnen vierzehn Tagen nach Verständigung von der Einstellung (§194), jedenfalls aber innerhalb von sechs Monaten ab der Einstellung des Verfahrens bei der Staatsanwaltschaft einzubringen.

Auf Vorerhebungen, die vor dem 31.12.2007 gemäß §90 Abs1 StPO aF eingestellt wurden, ist die Übergangsbestimmung des §516 Abs2 erster Satz StPO nicht mehr anzuwenden, wonach Vorerhebungsanträge nach altem Recht zu erledigen sind. Allerdings ist aus dem folgenden Satz des §516 Abs2 StPO (der die Ratskammer betrifft) der Schluss zu ziehen, dass im alten Jahr eingebrachte Subsidiaranträge durch den Drei-Richter-Senat zu behandeln wären, der nach neuem Recht - d.h. anstelle des Oberlandesgerichts - nach den Bestimmungen der §§195 und 197 vorzugehen hat. Auf §48 Z2 StPO aF gestützte Subsidiaranträge wären hingegen direkt durch das Oberlandesgericht nach den §§195, 196 zu behandeln. Wenn ein 'Subsidiarantrag' erst im neuen Jahr eingebracht wurde, wäre dieser als Antrag auf Fortführung gemäß §195 StPO zunächst von der Staatsanwaltschaft und sodann durch das OLG zu behandeln, zumal ja uneingeschränkt neues Recht gilt. Der Beginn des Fristenlaufs ist bei Einstellungen vor dem In-Kraft-Treten der Strafprozessreform wohl generell mit 1.1.2008 anzusetzen.

2. ..."

6. Nach Ansicht des Antragstellers ist der genannte Erlass als Verordnung zu qualifizieren, weil er im gegenständlichen Punkt

imperativ formuliert ("ist ... anzusetzen") und somit normativen

Gehalts sei; es bestünde auch kein Anhaltspunkt für die Annahme, dass die Bundesministerin für Justiz lediglich eine unverbindliche Rechtsmeinung geäußert hat. Der Erlass gestalte der Sache nach auch die Rechtssphäre eines unbestimmten Kreises von Betroffenen; dieser wirke sich auf die Rechtsunterworfenen aus und sei daher eine Verordnung. An dieser Beurteilung ändere auch der Umstand, dass der Erlass (bloß) an die Präsidenten der Oberlandesgerichte und die Oberstaatsanwaltschaften adressiert ist, nichts.

Zur Frage der Antragslegitimation bringt der Antragsteller vor, dass der Erlass nicht ordnungsgemäß kundgemacht worden sei, weshalb dem Oberlandesgericht Wien die Herantragung allfälliger Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit bzw. Verfassungsmäßigkeit des Erlasses an den Verfassungsgerichtshof verwehrt gewesen sei. Dem Antragsteller sei daher kein Weg offen gestanden, ein Verordnungsprüfungsverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens zu erwirken. Der Erlass entfalte für ihn zufolge Unzumutbarkeit eines anderen Weges "direkte Wirksamkeit", die Einbringung eines Individualantrages stelle für ihn den "einzig möglichen Weg" dar, die Rechtswidrigkeit des Erlasses an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der bekämpfte Erlass wirke sich somit "unmittelbar in der Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig" aus. Diese Wirkung sei auch aktuell, werde ihm "doch damit rückwirkend die Möglichkeit genommen, die Fortführung des Strafverfahrens als Privatbeteiligter und Verbrechensopfer geltend zu machen".

Die Bedenken gehen im Wesentlichen dahin, dass der Erlass mangels gehöriger Kundmachung, wegen fehlender gesetzlicher Grundlage iSd Art18 B-VG sowie zufolge unzulässiger Rückwirkung gesetz- und verfassungswidrig sei.

7. Die Bundesministerin für Justiz beantragte in ihrer dazu erstatteten Äußerung primär, den Antrag mangels Verordnungsqualität des Erlasses - und damit wegen Fehlens eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes nach Art139 B-VG - als unzulässig zurückzuweisen; darüber hinaus legte die Bundesministerin die Gründe für dessen Ausarbeitung dar und verteidigte seine Gesetzmäßigkeit.

II. Der Antrag ist nicht zulässig.

1. Gemäß Art139 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Gesetzwidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern die Verordnung ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine verbindliche Äußerung der Behörde, auch wenn sie formell nur an die unterstellten Behörden adressiert ist, als Rechtsverordnung anzusehen, wenn sie der Sache nach die Rechtssphäre eines unbestimmten Kreises von Betroffenen gestaltet (vgl. VfSlg. 13.632/1993, 17.244/2004, 17.806/2006; VfGH 21.6.2008, V332/08). Maßgebend für die Qualifikation eines Rechtsaktes als Verordnung im Sinne des Art139 B-VG ist weder der formelle Adressatenkreis noch seine äußere Bezeichnung und auch nicht die Art seiner Veröffentlichung; vielmehr kommt es auf den normativen Inhalt des Verwaltungsaktes an (vgl. VfSlg. 18.112/2007 mwN), der insbesondere dann anzunehmen ist, wenn er das Gesetz bindend auslegt (und sich nicht etwa in einer bloßen Wiederholung des Gesetzestextes erschöpft - vgl. VfSlg. 17.806/2006) und für eine allgemein bestimmte Vielzahl von Personen unmittelbar Geltung beansprucht (vgl. etwa VfSlg. 11.472/1987, 13.632/1993, 17.244/2004; VfGH 17.6.2008, V312,313/08). Eine rechtsgestaltende Außenwirkung ist gegeben, wenn zum imperativen Inhalt ein solches Maß an Publizität hinzutritt, dass der betreffende Akt Eingang in die Rechtsordnung gefunden hat (vgl. zB VfSlg. 15.694/1999, 17.244/2004).

2. Wendet man diese Kriterien auf den vorliegenden Erlass an, so zeigt sich, dass es sich hiebei nicht um eine Verordnung iSd Art139 Abs1 B-VG handelt.

2.1. Der Enunziation wohnt nämlich kein verpflichtender, die Rechtssphäre der betroffenen Personen gestaltender Charakter inne:

Schon mit der oben wiedergegebenen Formulierung des Einleitungstextes, wonach "aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz - unvorgreiflich der unabhängigen Rechtsprechung und ohne Anspruch auf Vollständigkeit - mehrere in der Praxis aufgetretene Fragen und Problemkreise erörtert und konkrete Lösungsvorschläge vorgestellt" werden, bringt die Bundesministerin klar und unmissverständlich zum Ausdruck, dass nur auf ihre unverbindliche Rechtsmeinung hingewiesen wird bzw. Handlungsmöglichkeiten für die verfahrensführenden Gerichte und staatsanwaltschaftlichen Behörden aufgezeigt werden.

Auch der Gesamtkontext des Erlasses und die in der bekämpften

Wendung gewählte Diktion ("Der Beginn des Fristenlaufs ist ... wohl

generell mit 1.1.2008 anzusetzen." - Hervorhebung nicht im Original) zeigen deutlich, dass es sich (anders als etwa im Fall VfGH 21.6.2008, V332/08) lediglich um eine Empfehlung der Bundesministerin für Justiz ohne rechtsverbindlichen Charakter, nicht hingegen um Anordnungen normativen Gehalts handelt (vgl. zB VfSlg. 14.674/1996 swN, 18.112/2007).

2.2. Beim vorliegenden Erlass handelt es sich somit um keine Verordnung iSd Art139 Abs1 B-VG. Der Antrag war daher schon mangels Vorliegens eines geeigneten Prüfungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen.

3. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.

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