B1021/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Landeshauptmann von Tirol untersagte dem
Beschwerdeführer mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 3. April 2008 die Ausübung des Nebengewerbes der Versicherungsvermittlung in der Form Versicherungsmakler und Berater in Versicherungsangelegenheiten mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen.
Begründend wurde ausgeführt, dass die vom Beschwerdeführer abgelegte Befähigungsprüfung für das Gewerbe des Gewerblichen Vermögensberaters nicht als ausreichender Nachweis für die Ausübung des Nebengewerbes der Versicherungsvermittlung in der Form Versicherungsmakler und Berater in Versicherungsangelegenheiten angesehen werden könne. Da der Beschwerdeführer keine der in §1 Abs1 Z1 bis 5 der Verordnung über die Zugangsvoraussetzungen für das verbundene Gewerbe Versicherungsmakler; Berater in Versicherungsangelegenheiten (Versicherungsmakler und -berater-Verordnung), BGBl. II 97/2003, angeführten Voraussetzungen erfüllt habe, sei ihm die Ausübung des Nebengewerbes zu untersagen.
Die belangte Behörde stützte sich dabei sowohl auf eine vom Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit zur Rechtslage vor der Novelle der Gewerbeordnung 1994, BGBl. I 42/2008, eingeholte Stellungnahme als auch auf die Rechtslage in der Fassung der Novelle der Gewerbeordnung 1994, BGBl. I 42/2008. Sie führte aus, dass sie "aufgrund der Novellierung des Gewerberechtes BGBl. I Nr. 42/2008 und der dadurch erfolgten Änderung der anzuwendenden Rechtsvorschriften im Rahmen des anhängigen Berufungsverfahrens verpflichtet" sei, "die Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung anzuwenden".
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der Verstöße gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen (§32 Abs6 sowie §137 Abs2a GewO 1994 idF BGBl. I 42/2008, §136a Abs1 Z2 litc GewO 1994 idF BGBl. I 131/2004) behauptet sowie die (kostenpflichtige) Aufhebung des angefochtenen Bescheides bzw., für den Fall einer Abweisung oder Ablehnung der Beschwerde, deren Abtretung an den Verwaltungsgerichtshof begehrt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie dem Beschwerdevorbringen entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
II. Der Beschwerde kommt im Ergebnis Berechtigung zu, ohne dass
auf ihr Vorbringen im Einzelnen einzugehen ist:
1. Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid auf die Rechtslage nach der Novelle der Gewerbeordnung 1994 mit BGBl. I 42/2008 gestützt. Sie begründet dies mit der "neueren" Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach - sofern keine Übergangsbestimmungen bestünden - "die Rechtsmittelbehörde im Allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung (im Mehrparteienverfahren der Zeitpunkt der Zustellung an den Erstempfänger) des Bescheides geltende Recht anzuwenden" habe. Diese Rechtsanschauung gelte grundsätzlich auch für Änderungen der Rechtslage während des Berufungsverfahrens.
2. Mit dieser Rechtsauffassung belastet die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid vor dem Hintergrund des vorliegenden Falles mit (objektiver) Willkür:
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).
Nach §66 Abs4 AVG hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist und abgesehen vom Fall des §66 Abs2 AVG, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern. Die Berufungsbehörde hat sohin in der Sache selbst zu entscheiden, ihr Bescheid tritt an die Stelle des erstinstanzlichen Bescheides.
Der belangten Behörde ist daher grundsätzlich zuzustimmen, wenn sie ausführt, dass sie als Berufungsbehörde im Allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides geltende Recht anzuwenden habe; dies gilt jedoch nur insoweit, als sich nicht aus den konkret anzuwendenden Regelungen etwas anderes ergibt. Im vorliegenden Fall ist die Regelung des §340 Abs1 GewO 1994 zu beachten, wonach die Gewerbebehörde auf Grund der Anmeldung des Gewerbes zu prüfen hat, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes durch den Anmelder in dem betreffenden Standort vorliegen. Diese Prüfung durch die Behörde hat im Hinblick auf den sich aus §5 Abs1 GewO 1994 ergebenden konstitutiven Charakter der Gewerbeanmeldung nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Gewerbeanmeldung abzustellen. Materiellrechtliche Bestimmungen, durch die nach der Gewerbeanmeldung die Voraussetzungen für die Ausübung des angemeldeten Gewerbes geändert werden, müssen daher, soweit sie selbst nichts anderes bestimmen, bei der Erlassung eines Feststellungsbescheides nach §340 Abs1 GewO 1994 außer Betracht bleiben (s. VwSlg. 14.924 A/1998 mwN auf die Vorjudikatur; VwSlg. 16.622 A/2005). Durch §340 Abs1 GewO 1994 wird hinsichtlich der anzuwendenden Rechtslage sohin auf den Zeitpunkt der Anmeldung des Gewerbes abgestellt.
Dies hat die belangte Behörde verkannt, wenn sie der Meinung anhing, maßgeblich für die Überprüfung der Entscheidung der Unterinstanz sei die Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des Berufungsbescheides, sohin die Gewerbeordnung in der Fassung der Novelle BGBl. I 42/2008. Dieses Verkennen der Rechtslage im hier entscheidenden Punkt belastet den angefochtenen Bescheid mit Gleichheitswidrigkeit (vgl. VfSlg. 13.947/1994).
3. Der angefochtene Bescheid war daher schon aus diesem Grund aufzuheben, ohne dass auf das Beschwerdevorbringen näher einzugehen war.
III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.