U626/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der minderjährige Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger
des Kosovo, der am 6. Juli 2008 geboren wurde, stellte am 18. Juli 2008 durch seine gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 21. August 2008 gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100 (im Folgenden: AsylG 2005) ab; gleichzeitig wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kosovo gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo ausgewiesen.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 2. Februar 2009 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18. September 2008 durch einen Einzelrichter abgewiesen, der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und der Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo ausgewiesen.
2. Die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes in Bezug auf die Einzelrichterzuständigkeit lauten wie folgt:
"i. Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden 'AsylG 2005'), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung.
ii. ... Gemäß §61 Abs3 AsylG 2005 entscheidet der
Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§4 und 5 AsylG 2005 und nach §68 AVG durch Einzelrichter; ebenso entscheidet der Asylgerichtshof gemäß §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 durch Einzelrichter, wenn im vor dem 1.7.2008 anhängigen Verfahren bereits vor diesem Zeitpunkt eine Verhandlung vor dem unabhängigen Bundesasylsenat stattgefunden hatte; dies ist im vorliegenden Verfahren der Fall, sodass der erkennende Richter als Einzelrichter zur Entscheidung zuständig war. Da die Beweisaufnahme und die Schilderung der vorgebrachten Fluchtgründe vor dem 1.7.2008 erfolgte und nach Einrichtung des Asylgerichtshofes nur mehr Parteiengehör gewährt wurde und festgestellt wurde, dass der Beschwerdeführer kosovarischer Staatsangehöriger ist - das relevante kosovarische Gesetz wurde erst im Juni 2008 erlassen - ist der Asylgerichtshof im Hinblick auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der Ansicht, dass der entscheidende Einzelrichter nach den genannten Übergangsbestimmungen weiterhin zu Entscheidung zuständig ist."
3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art3 und 8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.
4. Der Asylgerichtshof erstattete eine Gegenschrift, in der er darauf hinweist, dass die Behandlung der gleichzeitig erhobenen Beschwerden der Eltern und des älteren Bruders des Beschwerdeführers vom Verfassungsgerichtshof abgelehnt worden sei, und dass die Zustellung des Erkenntnisses des Beschwerdeführers mit der Polizei erfolgt sei, weil sein Antrag nach dem Regime des AsylG 2005 zu erledigen gewesen sei. Außerdem legte der Asylgerichtshof auch die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Die für das Verfahren maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1.1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008 (im Folgenden: AsylGHG) lautet:
"Senate und Kammersenate
§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.
(2) ...
(3) ...
(4) ...
(5) ..."
1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten:
"Familienverfahren im Inland
§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger (§2 Abs1 Z22) von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) ...
(3) ...
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof.
...
Asylgerichtshof
§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
(2) ...
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
a) wegen Drittstaatssicherheit gemäß §4;
b) wegen Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß §5;
c) wegen entschiedener Sache gemäß §68 Abs1 AVG, und
2. die mit diesen Entscheidungen verbundene Ausweisung.
(4) ...
...
Übergangsbestimmungen
§75. (1) ...
(2) ...
(3) ...
(4) ...
(5) ...
(6) ...
(7) Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
1. Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
2. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
3. ..."
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und VfGH vom 9.12.2008, B1110/08). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt einem Senat ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.
3. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:
3.1. Neben der Einzelrichterzuständigkeit in den Fällen des §61 Abs3 AsylG 2005 sieht die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 vor, dass am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach der Maßgabe weiterzuführen sind, dass die Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen haben. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. November 2008, U97/08, ausgesprochen hat, soll §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. Diese Übergangsfälle stellen eine überschaubare Zahl dar und es wird durch die genannte gesetzliche Bestimmung exakt festgelegt, wann der Asylgerichtshof durch Einzelrichter zu entscheiden hat, weshalb der Verfassungsgerichtshof diese Übergangsbestimmung für verfassungsrechtlich noch unbedenklich erachtet hat.
3.2. Im vorliegenden Fall hat der am 6. Juli 2008 geborene Beschwerdeführer am 18. Juli 2008 durch seine gesetzlichen Vertreter einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die Verfahren der Eltern (und des älteren Bruders) waren zwar am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängig und in diesen Fällen hat auch eine mündliche Verhandlung stattgefunden, dies trifft jedoch nicht auf das Verfahren des Beschwerdeführers zu. Demnach ist für die Entscheidung über die Beschwerde des Beschwerdeführers ein Senat zuständig, da - wie oben dargestellt - weder §61 noch §75 AsylG 2005 zur Anwendung gelangen.
An diesem Ergebnis ändert auch §34 leg.cit., wonach Verfahren von Familienangehörigen unter einem zu führen sind, alle Familienangehörigen denselben Schutzumfang erhalten müssen und jeder Asylwerber einen gesonderten Bescheid erhält, nichts, weil dieser lediglich der Verfahrensbeschleunigung und somit der Verfahrensökonomie dient, aus ihm jedoch keine Zuständigkeit eines bestimmten Organs (Einzelrichter oder Senat) zur Entscheidung abgeleitet werden kann. Bei der Beurteilung von Fragen über die Zuständigkeit haben Zweckmäßigkeitsüberlegungen nämlich außer Betracht zu bleiben.
Der belangte Asylgerichtshof hat demnach durch die Entscheidung durch einen Einzelrichter den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
4. Die Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie Eingabengebühr in der Höhe von € 220,-- enthalten.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.