JudikaturVfGH

U873/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. April 2009

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. I Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der minderjährige Beschwerdeführer wurde am 23. Mai 2007 in Österreich geboren und ist kosovarischer Staatsbürger. Am 19. Juni 2007 stellte er, vertreten durch seinen Vater als gesetzlicher Vertreter, einen Antrag auf internationalen Schutz. In diesem brachte der Beschwerdeführer vor, dass er keine eigenen Fluchtgründe habe, jedoch sein Vater im Kosovo mehrfach mit dem Tode bedroht wurde.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom 18. Juli 2007 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien, Provinz Kosovo, für zulässig und wies den minderjährigen Beschwerdeführer nach Serbien, Provinz Kosovo, aus.

3. Der dagegen, vom gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers, erhobenen Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom 25. Juli 2007 gab der Unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) mit Bescheid vom 21. August 2007 Folge, hob den bekämpften Bescheid wegen mangelnder Sachverhaltsermittlung auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an das BAA zurück.

Mit Bescheid vom 16. Oktober 2007 wies das BAA den Asylantrag des minderjährigen Beschwerdeführers erneut ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung des Beschwerdeführers nach Serbien, Provinz Kosovo, für zulässig und wies den minderjährigen Beschwerdeführer nach Serbien, Provinz Kosovo, aus.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 31. Oktober 2007 durch seinen gesetzlichen Vertreter wiederum Beschwerde und brachte darin vor, dass die Asylverfahren seiner leiblichen Eltern zu den Zahlen Zl. 2007/01/0063 und Zl. 2007/01/0054 beim Verwaltungsgerichtshof anhängig wären und diesen mit Beschlüssen vom 24. Jänner 2007 und 26. Jänner 2007 aufschiebende Wirkung zuerkannt worden sei. Der Beschwerdeführer erachtete sich durch den Bescheid des BAA in seinen Rechten nach Art8 EMRK verletzt.

4. Mit dem nun bekämpften Erkenntnis vom 5. November 2008 hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) die Beschwerde gemäß §§3 Abs1 und 8 Abs1 AsylG 2005 idgF abgewiesen und den minderjährigen Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 idgF aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Kosovo ausgewiesen.

Der AsylGH begründet seine Entscheidung wie folgt:

"I. Verfahrensgang:

Mit dem o.a. Bescheid hat das Bundesasylamt den am 19. Juni 2007 im Rahmen eines Familienverfahrens (§34 AsylG) gestellten Antrag auf internationalen Schutz (Antrag auf Gewährung desselben Schutzes) des minderjährigen Beschwerdeführers unter Hinweis auf '§3 Absatz 1 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (AsylG) idgF' abgewiesen und ihm den Status des Asylberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt I), ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten 'in Bezug auf den Herkunftsstaat Serbien, Provinz Kosovo' gemäß §8 Absatz 1 Ziffer 1 AsylG ebenso nicht zuerkannt (Spruchpunkt II) und gemäß §10 Absatz Ziffer 2 AsylG den Beschwerdeführer 'aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien/Provinz Kosovo ausgewiesen' (Spruchpunkt III), wogegen mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2007 fristgerecht Beschwerde erhoben wurde.

II. Der Asylgerichtshof hat erwogen:

'1. Gemäß §75 Abs7 Z2 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG) sind Verfahren, welche am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig waren und in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, von dem nach der Geschäftsverteilung zuständigen Senat weiterzuführen.

Gemäß §73 Abs1 AsylG ist das AsylG 2005 am 1. Jänner 2006 in Kraft getreten; es ist gemäß §75 Abs1 AsylG auf alle Verfahren anzuwenden, die am 31. Dezember 2005 noch nicht anhängig waren. Das vorliegende Verfahren war am 31. Dezember 2005 nicht anhängig; das Beschwerdeverfahren ist daher nach dem AsylG 2005 zu führen.

2.1. §34 AsylG lautet:

(1) Stellt ein Familienangehöriger (§2 Z22) von

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, es sei denn, dass

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof.'

2.2. Mit Bescheiden des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Dezember 2006, Zl. 303.128-C1/E1-XVII/55/06 und 303.139-C1/E1-XVII/55/06, wurden die Berufungen der Eltern (Familienangehörige i.S.d. §2 Z. 22 AsylG) des Beschwerdeführers vollinhaltlich abgewiesen. Da den minderjährigen Beschwerdeführer betreffend keine von den Familienmitgliedern losgelöste Verfolgungsgefahr hervorgekommen ist, war auch die gegenständliche Beschwerde in Anwendung des §34 Abs4 AsylG 2005 im Rahmen des Familienverfahrens abzuweisen.

2.3. Gemäß §41 Abs7 AsylG 2005 i.d.F. BGBl. I Nr. 4/2008 konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint."

5. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 26. Jänner 2009. Der Beschwerdeführer macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach Art8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

6. Der AsylGH hat als belangtes Gericht von einer Gegenschrift abgesehen, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen und die Verfahrensakten übermittelt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

2.1. In den Asylverfahren ein- und derselben Familie ermöglicht das System des §34 AsylG 2005 idgF eine beschleunigte Entscheidungsfindung:

"4. Abschnitt

Sonderbestimmungen für das Familienverfahren

Familienverfahren im Inland

§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger (§2 Z22) von

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK mit dem Familienangehörigen in einem anderen Staat nicht möglich ist.

(3) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist, mit Bescheid den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, es sei denn, dass

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.

(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof."

Den Materialien zufolge soll durch das Verfahren gewährleistet werden, dass möglichst zeitgleich über die Berechtigungen einer Familie abgesprochen wird (vgl. RV 952 BlgNR 22. GP, S 54).

§17 Abs3 AsylG 2005 idgF regelt, dass Anträge auf internationalen Schutz in Österreich nachgeborener Kinder von Asylwerbern im Familienverfahren zuzulassen sind, wenn das Verfahren des Asylwerbers selbst zugelassen und noch nicht rechtskräftig entschieden ist.

Wird in einem solchen Familienverfahren der Ankerperson nun weder internationaler Schutz noch subsidiärer Schutz gewährt, so hat das zumindest für solche Familienangehörige, die sich auf keine eigenen Fluchtgründe berufen zur Folge, dass sie gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 idgF ebenfalls keinen Schutz bekommen.

2.2. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - §23 AsylGHG idF BGBl. I 4/2008 sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof u.a. die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach §60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits ausgeführt hat, ist der AsylGH - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet (vgl. VfGH 7.11.2008, U67/08;

3.12.2008, U131/08). Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht;

anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

2.3. Wenn der Asylgerichtshof die Begründung seiner eigenen Entscheidung im gegenständlichen Fall auf einen stark verkürzten Verweis auf das Verfahren der Eltern beschränkt, so kommt er nicht nur den Anforderungen des §60 AVG nicht nach, sondern entspricht er auch den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung nicht, auch wenn es sich um ein nach §34 Abs4 AsylG 2005 begünstigtes Familienverfahren handelt.

Es widerspricht grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung von Bescheiden ergibt, die in einem anderen Verfahren ergangen sind und deren Inhalt nicht ausreichend wiedergegeben wird. So ist aus der Begründung nicht erkennbar, ob die Eltern ausgewiesen wurden, ob die Bescheide unangefochten blieben und ob im Falle der Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof allenfalls aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aber aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006; 18.000/2006).

Die Begründung ist daher mangels hinreichender Darstellung des Sachverhalts zum Asylverfahren der Eltern, insbesondere des Vaters, nicht in einer Weise nachvollziehbar, dass dem Willkürverbot des Gebotes der Gleichbehandlung von Fremden untereinander und dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen entsprochen wäre.

Auch darf die Konsequenz einer allfälligen Aufhebung der UBAS-Bescheide bezüglich der Eltern des Beschwerdeführers durch den Verwaltungsgerichtshof nicht außer Acht gelassen werden - die Ausweisung eines knapp zweijährigen Kleinkindes ohne seine Eltern. Dies würde unweigerlich eine Verletzung des Rechtes auf ein Familienleben im Sinne des Art8 EMRK darstellen.

3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben. Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Vorbringen in der Beschwerde nicht mehr einzugehen.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88 iVm 88a VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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