JudikaturVfGH

U159/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. April 2009

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 991,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer - ein 1991 geborener, unbegleiteter

minderjähriger Staatsangehöriger von Gambia - reiste illegal nach Österreich ein und stellte am 17. April 2007 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass sein Onkel Ende 2005 von der Polizei verhaftet worden sei, weil er nicht der regierenden politischen Partei angehört habe. Der Beschwerdeführer, der im Geschäft seines Onkels gearbeitet und auch bei ihm gelebt habe, befürchte, im Falle seiner Rückkehr aus denselben Gründen verhaftet zu werden.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 15. Februar 2008 wurde der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §3 Abs1 AsylG 2005 abgewiesen. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia wurde dem Beschwerdeführer gemäß §8 Abs1 Z1 AsylG 2005 nicht zuerkannt; unter einem wurde er gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia ausgewiesen.

3. Die dagegen - durch den gesetzlichen Vertreter des Beschwerdeführers - erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom 28. Februar 2008 wurde mit der angefochtenen Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom 4. August 2008 gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 Z1 und 10 Abs1 Z2 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen. Eine mündliche Verhandlung wurde nicht durchgeführt. In seinem Erkenntnis verweist der AsylGH in drei einleitenden Absätzen auf den bisherigen Verfahrensgang und fasst den Bescheid des BAA sowie die dagegen erhobene Beschwerde rudimentär zusammen.

Daran anschließend folgen die Erwägungen des AsylGH:

"1. Anzuwenden war das AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: 'AsylG 2005'), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung. Gemäß §9 Abs1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß §60 Abs3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§4 und 5 AsylG 2005 und nach §68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß §42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß §11 Abs4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

2. Das Bundesasylamt hat ein mängelfreies ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst.

Der Asylgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebt sie zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.

3. Die Beschwerde hält der substantiierten Beweiswürdigung der Erstbehörde in Bezug auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, insbesondere dem Argument, er habe keine individuelle aktuelle Verfolgungsgefahr gegen seine Person (auch unbeschadet des Schicksals des Onkels) plausibel machen können, nichts Substantiiertes entgegen.

4. Aus den unbestritten gebliebenen Feststellungen zur Lage in Gambia ergibt sich, dass es trotz Menschenrechtsproblemen keine allgemeine Sippenhaftung, ebenso wenig wie eine allgemeine politische Verfolgung aller RückkehrerInnen, gibt. In Ermangelung von Hinweisen auf eine besondere individuelle Vulnerabilität des seinen Angaben nach nunmehr siebzehnjährigen Antragstellers (zB Krankheit, keine Schulbildung), dessen enge Familienangehörige in Gambia leben (Mutter, Geschwister) war die Erstbehörde auch berechtigt, trotz des Umstandes, dass es sich bei Gambia um ein wirtschaftlich armes Land handelt, aber unter Berücksichtigung des Umstandes, dass aus den Feststellungen hervorgeht, dass eine medizinische Basisversorgung besteht, und dass sich keine Hinweise auf eine dramatische Versorgungslage (zB Hungersnöte) finden, von der Gewährung subsidiären Schutzes in diesem individuellen Fall abzusehen.

5. Auch die Entscheidung der Erstbehörde zur Ausweisung war nicht zu beanstanden, als sich der Antragsteller erst seit etwas mehr als einem Jahr in Österreich befindet und dessen ungeachtet außergewöhnliche Hinweise auf Integration (Kernfamilienangehörige in Österreich o.ä.) nicht bestehen.

6. Der Sachverhalt ist zusammengefasst, wie dargestellt, aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde, geklärt (entspricht der bisherigen Judikatur zu §67d AVG) und sind somit schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des §41 Abs7 AsylG verwirklicht, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen. In diesem Sinne war also spruchgemäß zu entscheiden."

4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richtet sich die vorliegende, auf Art131 Abs1 Z1 B-VG (richtig: Art144a B-VG) gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.

5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht die Verfahrensakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der unter Verweis auf die Praxis in anderen EU-Mitgliedstaaten sowie vor den vsterreichischen Zivilgerichten dargelegt wird, dass danach die Verweistechnik sehr wohl vertretbar sei. Weiters führt der AsylGH aus, dass der Verfassungsgerichtshof in vergleichbaren Fällen des erkennenden Senates die Beschwerdebehandlung abgelehnt habe, und beantragt die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des AsylGH gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

2.1. Gemäß §23 Abs1 AsylGHG sind, soweit sich aus dem AsylG 2005 nicht anderes ergibt, auf das Verfahren vor dem AsylGH die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach §60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.

Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinen Erkenntnissen vom 7. November 2008, U67/08, und vom 3. Dezember 2008, U131/08, ausgeführt hat, ist der AsylGH - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere noch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der AsylGH nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.

Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu §67 iVm §60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB VwGH 4.10.1995, 95/01/0045; 24.11.1999, 99/01/0280; 8.3.1999, 98/01/0278; 25.3.1999, 98/20/0559; 30.11.2000, 2000/20/0356), auf Entscheidungen eines Gerichtshofes nicht übertragbar ist.

Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.

2.2. Wenn der AsylGH die Begründung des bei ihm angefochtenen Bescheides im Wege der Verweisung zum Inhalt seiner eigenen Entscheidung macht, so kommt er nicht nur den Anforderungen des §60 AVG nicht nach, sondern entspricht er auch den rechtsstaatlichen Mindestanforderungen an die Begründung einer gerichtlichen Entscheidung nicht. Zwar ist es nicht unzulässig, Teile der Begründung der Bescheide der Verwaltungsbehörde wörtlich wiederzugeben. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich der Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006).

2.3. In der angefochtenen Entscheidung hat der belangte AsylGH nicht selbst den Anforderungen des §60 AVG entsprochen, sondern zunächst nur die Begründung des BAA mit den Worten des §60 AVG qualifiziert und erklärt:

"Der Asylgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebt sie zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses."

Darüber hinaus wird nach einem kursorischen Hinweis auf das Vorbringen des Beschwerdeführers in der Beschwerde an den AsylGH rudimentär eingegangen und werden kürzeste Anmerkungen zur Situation in Gambia gemacht, ohne dass ersichtlich ist, auf welchen Feststellungen diese Anmerkungen fußen.

Die Begründung ist insgesamt mangels hinreichender Darstellung des Sachverhalts und angesichts dessen, dass sich die Wiedergabe der Begründung des Bescheides des BAA auf einen zusammenfassenden Satz beschränkt, nicht in einer Weise nachvollziehbar, dass dem Willkürverbot des Gebotes der Gleichbehandlung von Fremden untereinander und dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen entsprochen ist.

3. Die Entscheidung war daher aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88a iVm §88 VfGG. In den - im verzeichneten Ausmaß - zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 165,20 enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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