U249/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Gambia, stellte am 25. Februar 2005 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 23. Mai 2006 gemäß §7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG) ab; gleichzeitig wurde die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Gambia gemäß §8 Abs1 AsylG für zulässig erklärt und der Beschwerdeführer gemäß §8 Abs2 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen.
Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 19. September 2008 gemäß §§7, 8 Abs1 und Abs2 AsylG als unbegründet abgewiesen; gleichzeitig wurde der Spruchpunkt III des oben zitierten Bescheides des Bundesasylamtes dahingehend geändert, dass der Beschwerdeführer gemäß §8 Abs2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia ausgewiesen wird.
2. In den Entscheidungsgründen des Asylgerichtshofes wird einleitend in Bezug auf den Verfahrensablauf auf den erstinstanzlichen Verwaltungsakt verwiesen, sowie die Spruchpunkte des Bescheides des Bundesasylamtes wiedergegeben. Zu der Begründung des Bescheides des Bundesasylamtes wird wörtlich ausgeführt:
"Das Bundesasylamt traf darin aktuelle Feststellungen mit nachvollziehbaren Quellenangaben zur politischen und menschenrechtlichen Lage in Gambia. Beweiswürdigend wurde mit näherer Begründung ausgeführt, der Beschwerdeführer hätte in seinen Einvernahmen seine Fluchtgründe vage und bereits in den Kernaussagen widersprüchlich geschildert."
3. Die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes lauten wie folgt:
"Über diese Beschwerde hat der Asylgerichtshof in nicht öffentlicher Sitzung wie folgt erwogen:
1. Anzuwenden war das AsylG 1997, BGBl. I Nr. 76 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (im Folgenden: "AsylG 1997"), das AVG, BGBl. Nr. 51/1991 in der geltenden Fassung und das ZustG, BGBl. Nr. 200/1982 in der geltenden Fassung. Hinsichtlich des Verfahrens vor dem Asylgerichthof waren die einschlägigen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100 in der geltenden Fassung (im Folgenden: 'AsylG 2005'), anzuwenden.
Gemäß §9 Abs1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 in der geltenden Fassung entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß §60 Abs3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§4 und 5 AsylG 2005 und nach §68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß §42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß §11 Abs4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.
2. Das Bundesasylamt hat ein mängelfreies ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und hat in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst.
Der Asylgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebt sie zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses.
3. Die Beschwerde hält der substantiierten Beweiswürdigung der Erstbehörde in Bezug auf die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers, nichts Substantiiertes entgegen. In der Beschwerde werden den individuellen und detaillierten Ausführungen des Bundesasylamtes, somit sowohl hinsichtlich der Einschätzung der aktuellen Situation in Gambia, als auch der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers (begründet mit im Einzelnen dargestellten Widersprüchen zu zentralen Handlungsabläufen seiner Verfolgungsbehauptungen) keine konkreten stichhaltigen Argumente entgegensetzt bzw wird kein substantiiertes Beweisanbot getätigt, welches Anlass zu weiteren Ermittlungen des Asylgerichtshofes geboten hätte. Angesichts der schlüssigen Beweiswürdigung der Erstbehörde hinsichtlich der mangelnden Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers war auch keine ergänzende Befragung des Beschwerdeführers vorzunehmen.
4. Aus den unbestritten gebliebenen Feststellungen zur Lage in Gambia ergibt sich, dass es trotz Menschenrechtsproblemen keine allgemeine Sippenhaftung, ebenso wenig wie eine allgemeine politische Verfolgung aller RückkehrerInnen, gibt. In Ermangelung von Hinweisen auf eine besondere individuelle Vulnerabilität des mittlerweilen volljährigen Antragstellers (zB Krankheit), dessen enge Familienangehörige in Gambia leben (Mutter, Bruder) war das Bundesasylamt auch berechtigt, trotz des Umstandes, dass es sich bei Gambia um ein wirtschaftlich armes Land handelt, aber unter Berücksichtigung des Umstandes, dass sich keine Hinweise auf eine dramatische Versorgungslage (zB Hungersnöte) finden, von der Gewährung subsidiären Schutzes in diesem individuellen Fall abzusehen. Dass sich seit der Erlassung des Erstbescheides in Gambia für nicht politisch verfolgte Personen oder allgemein eine entscheidende Lageveränderung ergeben hätte, kann in diesem Fall (gänzliche Unglaubwürdigkeit des inhaltlichen Vorbringens) verneint werden und hat sich der Asylgerichtshof dessen durch Einschau in die aktuellen Folgeberichte des USDOS (zuletzt März 2008) - im Interesse des Beschwerdeführers - versichert.
5. Auch die Entscheidung des Bundesasylamtes zur Ausweisung war (noch) nicht zu beanstanden, als sich der Antragsteller zum Entscheidungszeitpunkt lediglich etwa dreieinhalb Jahre in Österreich befindet und dessen ungeachtet außergewöhnliche Hinweise auf Integration (Kernfamilienangehörige in Österreich, Heirat o.ä.) nicht bekannt geworden sind. Die Ausweisungsanordnung war jedoch entsprechend ständiger Judikatur des VwGH zielstaatsbezogen zu formulieren.
6. Der Sachverhalt ist zusammengefasst, wie dargestellt, aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde, geklärt (entspricht der bisherigen Judikatur zu §67d AVG) und sind somit schon aus diesem Grund die Voraussetzungen des §41 Abs7 AsylG 2005 verwirklicht, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen. In diesem Sinne war also spruchgemäß zu entscheiden."
4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte (auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie gemäß Art2, 3, 5 und 8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.
5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen, auf die Begründung im angefochtenen Erkenntnis verwiesen, die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt und die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vorgelegt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie VfGH 7.11.2008, U67/08).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Derartige in die Verfassungssphäre reichende Fehler sind dem Asylgerichtshof unterlaufen:
2.1. Gemäß §23 Asylgerichtshofgesetz - AsylGHG, BGBl. I 4/2008, sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof u.a. die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes - AVG, BGBl. Nr. 51, anzuwenden. Nach §60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Hinsichtlich der Anwendung des §60 AVG im Asylverfahren hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen (VfGH 7.11.2008, U67/08 und VfGH 3.12.2008, U131/08), dass die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen, auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes, wegen der Einrichtung des Asylgerichtshofes als Gericht, welches keiner Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt, nicht übertragbar ist. Wenn sich aus der Entscheidung des Asylgerichtshofes nicht der Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung entnehmen lassen, widerspricht dies sowohl den Anforderungen des §60 AVG, als auch rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen. Die für die Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof möglich ist (VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006). An der Verpflichtung zur ausreichenden Begründung der Entscheidungen des Asylgerichtshofes tritt auch dadurch keine Änderung ein, dass im zivilgerichtlichen Verfahren ein Verweis auf unterinstanzliche Gerichtsurteile (§500a ZPO) möglich oder eine solche Praxis in anderen Ländern zulässig ist (VfGH 11.3.2009, U132/08).
2.2. In der angefochtenen Entscheidung hat der belangte Asylgerichtshof nicht selbst den Anforderungen des §60 AVG entsprochen, sondern lediglich die Begründung des Bundesasylamtes mit den Worten des §60 AVG qualifiziert und erklärt, "der Asylgerichtshof schließt sich diesen Ausführungen des Bundesasylamtes im angefochtenen Bescheid an und erhebt sie zum Inhalt des gegenständlichen Erkenntnisses". Der Asylgerichthof verweist somit lediglich kursorisch auf die Begründung des Bescheides, schildert aber nicht den zugrunde liegenden Sachverhalt und verneint schließlich rudimentär eine Verletzung der Rechte nach Art3 und 8 EMRK. Es widerspricht aber grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines Gerichtes, wenn sich der Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung des Bescheides ergeben (vgl. VfGH 3.12.2008, U131/08).
Damit hat der Asylgerichtshof gegen das Willkürverbot des Gebots der Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßen und das rechtsstaatliche Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen verletzt.
Die Entscheidung ist daher schon aus diesem Grund aufzuheben.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung gründet auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.