JudikaturVfGH

U107/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2009

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu erstatten.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 9. Mai 2003 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 21. Mai 2003 ab. Gleichzeitig wurde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria festgestellt. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 29. Oktober 2003 wurde dieser gemäß §32 Abs2 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) aufgehoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen. Mit Bescheid vom 18. November 2004 wies das Bundesasylamt den Asylantrag neuerlich ab. Gleichzeitig wurde die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria festgestellt und der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.

2. Die gegen diesen Bescheid erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes vom 28. November 2008 gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen; die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß §8 Abs1 AsylG 1197 ausgesprochen und der Beschwerdeführer gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen.

In der Begründung der Entscheidung des Asylgerichtshofes wird einleitend die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor dem Bundesasylamt zum Bestandteil des gegenständlichen Erkenntnisses erhoben und sodann der Verfahrensablauf im ersten Verfahrensgang geschildert. Im Anschluss daran wird ausgeführt:

"Daraufhin wurde der Beschwerdeführer am 17.11.2004 vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Traiskirchen, nochmals niederschriftlich einvernommen. Der Inhalt dieser Niederschrift wird zum Inhalt der gegenständlichen Entscheidung erhoben. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 18.11.2004, FZ. 03 13.506-BAT, wurde der Asylantrag gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Nigeria gemäß §8 AsylG 1997 für zulässig erklärt.

Mit der fristgerecht eingebrachten Berufung (nunmehr Beschwerde) wird dargelegt, dass es die Erstbehörde unterlassen habe, sich mit seinem gesamten Vorbringen auseinanderzusetzen und entsprechend durch §28 AsylG zu konkretisieren und darauf hinzuwirken, dass seine Angaben vervollständigt werden. Die Feststellungen zu Nigeria seien sehr allgemein und nehme die Erstbehörde keinerlei Bezug auf sein Vorbringen der Verfolgung aus religiösen Gründen sowie der weitgehenden Untätigkeit der nigerianischen Behörden im Falle einer Verfolgung durch Privatpersonen. Die Behörde stütze die Abweisung seines Asylantrages primär darauf, dass er die Duldung seiner Verfolgung durch die Behörden des Heimatlandes nicht glaubwürdig dargestellt habe. Die Behörde habe es verabsäumt, ihm dies vorzuhalten und ihn diesbezüglich genauer zu befragen. Demnach erachte er sich in seinem Recht auf Parteiengehör verletzt. Er hätte vorbringen können, dass es auf Grund der Erfahrungen von Personen in ähnlichen Situationen aussichtslos gewesen wäre, staatliche Stellen um Schutz zu ersuchen, da diese in interne Streitigkeiten eines Clans zu gut wie nie eingreifen. Auch seien der Erstbehörde Fehler im Bezug auf Artikel 8 EMRK unterlaufen. So habe sie das Bestehen eines Eingriffs nur im Hinblick auf das Familienleben nicht jedoch seines Privatlebens geprüft. Hätte die Erstbehörde Artikel 8 EMRK vollständig und richtig geprüft, so hätte sie zum Ergebnis eines Eingriffs in das Privatleben kommen und somit zu einer anders lautenden Feststellung kommen können.

Über diese Berufung (nunmehr Beschwerde) hat der Asylgerichtshof ein ergänzendes Ermittlungsverfahren im Rahmen einer mündlichen Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch ergänzende Parteieneinvernehmung des Beschwerdeführers sowie durch Erörterung folgender Berichte:

* ein vom Beschwerdeführer beschriebenes Blatt Papier

(Beilage A);

* Bericht des Auswärtigen Amtes Berlin über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria, 06. November 2007 (Beilage B);

* Bericht des US Department of State vom 11. März 2008,

Nigeria (Beilage C);

* ACCORD-Länderbericht vom August 2004, Nigeria

(Beilage D);

* Bericht des Home Office, Nigeria, Jänner 2007

(Beilage E);

* Zusammenfassung dieser Berichte (Beilage F).

Auf Grundlage der Ersteinvernahme und der ergänzenden Parteieinvernahme im Rahmen der stattgefundenen öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Asylgerichtshof wird folgender Sachverhalt festgestellt und der Entscheidung zu Grunde gelegt:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Nigeria. Die von ihm behaupteten Fluchtgründe werden der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht zu Grunde gelegt. Der Reiseweg des Beschwerdeführers (Zeitpunkt und Art der Reise von Nigeria nach Österreich) kann nicht festgestellt werden."

Nach Wiedergabe von Feststellungen zur allgemeinen politischen Situation in Nigeria wird sodann wörtlich ausgeführt:

"Die erkennende Behörde gelangt auf Grundlage der ergänzenden Ermittlungen zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu den Fluchtgründen nicht glaubhaft ist. Die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers ergibt sich zunächst auf Grund seiner widersprüchlichen Angaben hinsichtlich des Zeitpunktes des Verlassens des Dorfes nach Lagos bzw. der Aufenthaltsdauer in Lagos. So gab er in seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesasylamt Traiskirchen an, dass er im März 2003 als Mitfahrer in einem Auto von seinem Heimatdorf nach Lagos gefahren sei. Dort habe er eine Woche verbracht und sei mit dem Schiff in ein ihm unbekanntes Land gefahren (siehe Seite 143 des erstinstanzlichen Aktes). Hingegen gab der Beschwerdeführer vor dem Asylgerichtshof an, dass er von 2001 bis zu seiner Ausreise im Mai 2003 in Lagos gelebt habe (siehe Seiten 2 und 3 des Verhandlungsprotokolls OZ 13Z). Allein diese widersprüchlichen Angaben deuten darauf hin, dass der Beschwerdeführer nicht den Tatsachen entsprechende Angaben macht.

Widersprüchlich sind auch seine Angaben in Bezug auf seine Zwillingsschwester. So gab er vor dem Bundesasylamt am 17.11.2004 an, dass diese kurz nach ihrer Geburt von Bewohnern seines Heimatdorfes umgebracht worden sei (siehe Seite 143 des erstinstanzlichen Aktes). Auch in seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 20.05.2003 erklärte er, dass seine Zwillingsschwester getötet worden sei (siehe Seite 11 des erstinstanzlichen Aktes). Im Gegensatz dazu gab er im Rahmen der Verhandlung vor dem Asylgerichtshof an, dass er nicht wisse, was mit seiner Zwillingsschwester passiert sei (siehe Seite 5 des Verhandlungsprotokolls OZ 13Z). Nach Ansicht der erkennenden Behörde untermauern diese widersprüchlichen Schilderungen die Unglaubwürdigkeit des Beschwerdeführers.

Weitere Abweichungen im Vorbringen des Beschwerdeführers ergaben sich auch dadurch, dass er vor dem Bundesasylamt mitteilte, dass im Jänner 2003 Bewohner seines Heimatdorfes in das Nachbardorf gekommen seien, um ihn zu entführen. Der Priester habe den Bewohnern seines Heimatortes gesagt, dass der Beschwerdeführer in dem Nachbarort nicht mehr aufhältig sei. Der Priester habe ein Gespräch mit dem Beschwerdeführer geführt und ihm gesagt, dass er seine Heimat verlassen solle (siehe Seite 143 des erstinstanzlichen Aktes). Vor dem Asylgerichtshof teilte er jedoch lediglich mit, dass er deswegen nicht im benachbarten Dorf Asaga geblieben sei, weil es von seinem Heimatort nicht sehr weit gewesen sei und sie ihn finden würden (siehe Seite 5 des Verhandlungsprotokolls OZ 13Z).

Zusammenfassend ist somit aus den widersprüchlichen Aussagen des Beschwerdeführers der Schluss zu ziehen, dass er die von ihm geschilderten Ereignisse tatsächlich nicht erlebt hat und er insgesamt unrichtige Angaben zu seiner Bedrohungssituation gemacht hat."

3. In der gegen diese Entscheidung gem. Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.

4. Der Asylgerichtshof hat als belangtes Gericht am 15. April 2009 eine Gegenschrift erstattet und die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vorgelegt. In der Gegenschrift führt der Asylgerichtshof aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu Recht als nicht glaubhaft erachtet worden sei und daher von weiteren Ermittlungen abgesehen werden konnte. Es seien keine Umstände bekannt, dass in Nigeria eine solch extreme Gefährdungslage bestünde, die im Falle einer Rückkehr eine Verletzung von Art3 EMRK nach sich ziehen würde. Der Asylgerichtshof beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen und dem Bund den gesetzlichen Kostenersatz zuzusprechen.

IV. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie VfGH 7.11.2008, U67/08).

2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof in der Tat unterlaufen (vgl. VfGH 7.11.2008, U67/08; 3.12.2008, U131/08; 11.3.2009, U132/08):

In der angefochtenen Entscheidung hat der belangte Asylgerichtshof nicht selbst den Anforderungen des §60 AVG entsprochen, sondern lediglich den Inhalt der Niederschrift des Bundesasylamtes vom 17. November 2004 zum Inhalt der gegenständlichen Entscheidung erhoben. Der Asylgerichtshof selbst schildert aber nicht den von ihm als maßgeblich erachteten Sachverhalt, sondern stellt lediglich fest, dass "die vom Beschwerdeführer behaupteten Fluchtgründe der Entscheidung mangels Glaubwürdigkeit nicht [zugrunde gelegt] werden". Der Sachverhalt lässt sich also aus den Ausführungen des Asylgerichtshofes nicht erkennen.

Damit hat der Asylgerichtshof nicht nur gegen das Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander, das auch ein Willkürverbot beinhaltet, sondern auch gegen das Rechtsstaatsprinzip in Gestalt des rechtsstaatlichen Gebots der Begründung gerichtlicher Entscheidungen verstoßen (vgl. VfGH 7.11.2008, U67/08; 3.12.2008, U131/08).

Die Entscheidung ist daher aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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