JudikaturVfGH

U909/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Juni 2009

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein 1988 geborener Staatsangehöriger von China, reiste laut eigenen Angaben im Jänner 2001 nach Österreich ein und stellte am 24. Jänner 2002 einen Asylantrag. Begründend brachte er vor, dass er in seinem Herkunftsstaat nicht in der Lage gewesen sei, seine Existenzgrundlage durch das Sammeln und den Verkauf von Dosen zu sichern.

2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Asylantrag mit Bescheid vom 13. November 2002 gemäß §7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG) ab und erklärte gemäß §8 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach (wohl richtig: in die) VR China für zulässig.

3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 17. Oktober 2008 gemäß §§7 und 8 Abs1 AsylG als unbegründet abgewiesen. Im Erkenntnis werden zuerst der Verfahrensgang dargestellt (Punkt I.1.), sodann Feststellungen und Beweiswürdigung (Punkt I.2.) durchgeführt und schließlich rechtliche Erwägungen zur Gewährung von Asyl und zur Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung, samt einer Begründung zur Zulässigkeit des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung vor dem AsylGH, angestellt. Der AsylGH führt unter anderem aus, dass die "berufende Partei" (gemeint wohl: beschwerdeführende Partei) vor dem Bundesasylamt oder in der Berufung (gemeint wohl: Beschwerde) eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende Verfolgung nicht einmal ansatzweise glaubhaft machen konnte und sowohl einer Verfolgung, als auch eine Verletzung der durch Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte im Falle der Abschiebung, von Amts wegen nicht hervorgekommen sei.

In den Entscheidungsgründen führt der AsylGH wörtlich aus:

"I.

I.1. Verfahrensgang

ii. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde der unter i. bezeichnete Asylantrag der berufenden Partei mit im Spruch bezeichneten Bescheid vom 13.11.2002, erlassen am 18.11.2002, abgewiesen. Unter einem wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der berufenden Partei in die Volksrepublik China zulässig sei. Zur Begründung wird auf jenen Bescheid verwiesen; zusammengefasst kam das Bundesasylamt zu dem Schluss, dass der Berufungswerber keine Verfolgung in China behauptet hatte und lediglich auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage ausgereist sei.

iii. Mit am 21.11.2002 bei der Behörde eingebrachter Berufung wurde gegen den im Spruch bezeichneten Bescheid berufen.

iv. Im Verfahren vor dem Bundesasylamt wurden die in dem im Spruch bezeichneten Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat des Berufungswerbers in das Verfahren als Beweismittel eingeführt.

Die nachfolgenden Feststellungen gründen sich auf die oben erwähnten Beweismittel und auf den gesamten erstinstanzlichen Verwaltungsakt sowie auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof.

Der Berufungswerber hat während des gesamten Verfahrens zum Geburtsdatum gleiche Angaben gemacht. Weiters ist dem Berufungswerber in den festgestellten Angaben zu glauben, weil er durch falsche Angaben keinen Vorteil hätte und im Verfahren nichts hervorgekommen ist, was gegen diese Annahme spricht. Die Staatsangehörigkeit des Berufungswerbers steht auf Grund seiner Angaben, seiner Sprachkenntnisse und seinem Wissen über seinen Herkunftsstaat fest.

ii. Im Herkunftsstaat kommt es zu keiner systematischen Verfolgung von Gruppen, denen der Berufungswerber angehört.

Dies ergibt sich aus den oben angeführten Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der berufenden Partei. Insoweit der Berufungswerber angegeben hat einer Gruppe anzugehören, die im Herkunftsstaat verfolgt wird oder werden soll, siehe iii.

Zwar sind die Länderquellen aus dem Verfahren vor dem Bundesasylamt bereits nicht mehr aktuell, es ist jedoch weder amtsbekannt noch vom Berufungswerber vorgebracht worden, dass es in China zu einer Gruppenverfolgung von Menschen kommt, die einer Gruppe angehören, der auch der Berufungswerber - der der Volksgruppe der Chinesen angehört und kein Religionsbekenntnis hat (siehe S. 21) - angehört, kommen würde.

iii. Die berufende Partei hat eine Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen nicht glaubhaft gemacht.

Der nunmehrige Berufungswerber hatte in seiner Einvernahme am 13.11.2002 ausgeführt, dass er China wegen seiner schlechten wirtschaftlichen Situation verlassen hätte, eine Verfolgung hat er trotz expliziter Nachfrage nicht einmal behauptet. Auch in der Berufung durch den damaligen gesetzlichen Vertreter wurde lediglich die Not in China als 'Verfolgung' angeführt, eine andere konkret drohende Verfolgung wird auch in der Berufung nicht vorgebracht, die drohende Ausbeutung der Arbeitskraft - die in der Berufung angedeutet wurde - selbst war weder aktuell zum Fluchtzeitpunkt vorliegend noch ist diese in der geschilderten Art verfolgungsrelevant. Das alles ergibt sich aus dem Verwaltungsakt, insbesondere aus der Einvernahme und der Berufung.

iv. Im Falle einer Verbringung der berufenden Partei in deren Herkunftsstaat droht dieser kein reales Risiko einer Verletzung der Art2 und 3 EMRK.

Die berufende Partei ist gesund, da eine Erkrankung des Berufungswerbers dem Asylgerichtshof weder bekanntgegeben wurde noch anders amtsbekannt wurde. Daher droht ihr aufgrund einer allenfalls unzureichenden medizinischen Behandlung keine Versetzung in eine hoffnungslose bzw. unmenschliche Lage. Dies ergibt sich aus den Aussagen der berufenden Partei zu ihrem Gesundheitszustand.

Die berufende Partei ist jung, gesund und männlich und wird daher im Herkunftsstaat in der Lage sein sich notfalls mit Hilfstätigkeiten ein ausreichendes - wenn auch nicht gutes - Auskommen zu sichern, und daher nicht in eine hoffnungslose Lage kommen. Dies alles ergibt sich aus ihren Aussagen, dem Amtswissen und der Lebenserfahrung.

Eine nicht asylrelevante Verfolgung der berufenden Partei, die das reale Risiko einer Verletzung der Rechte nach Art2 oder 3 EMRK darstellen würde, hat diese nicht glaubhaft gemacht (siehe hiezu iii.).

Auf Grund der Erkenntnisquellen zum Herkunftsstaat der berufenden Partei steht fest, dass es in diesem Staat die Todesstrafe gibt. Dass die berufende Partei einem bestehenden realen Risiko unterliegen würde, hat sich jedoch auf Grund der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nicht ergeben und wurde von der berufenden Partei auch nicht behauptet.

II.

II.1.: Zur Berufung gegen Spruchpunkt I des im Spruch genannten Bescheides

ii. Gemäß §9 Abs1 AsylGHG, BGBl. I Nr. 4/2008 entscheidet der Asylgerichtshof in Senaten, soweit eine Entscheidung durch einen Einzelrichter oder Kammersenat nicht bundesgesetzlich vorgesehen ist. Gemäß §61 Abs3 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof über Beschwerden gegen zurückweisende Bescheide nach den §§4 und 5 AsylG 2005 und nach §68 AVG durch Einzelrichter. Gemäß §42 AsylG 2005 entscheidet der Asylgerichtshof bei Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung oder Rechtsfragen, die sich in einer erheblichen Anzahl von anhängigen oder in naher Zukunft zu erwartender Verfahren stellt, sowie gemäß §11 Abs4 AsylGHG, wenn im zuständigen Senat kein Entscheidungsentwurf die Zustimmung des Senates findet durch einen Kammersenat. Im vorliegenden Verfahren liegen weder die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch einen Einzelrichter noch die für eine Entscheidung durch den Kammersenat vor.

iii. Gemäß §7 AsylG 1997 hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art1 Abschnitt A Z2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (in Folge: GFK), droht und keiner der in Art1 Abschnitt C oder F der GFK genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

iv. Die berufende Partei konnte vor dem Bundesasylamt oder in der Berufung eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende Verfolgung nicht einmal ansatzweise glaubhaft machen. Eine solche ist auch nicht im Rahmen des Ermittlungsverfahrens hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt.

vi. Daher war die Berufung gegen Spruchpunkt I des im Spruch bezeichneten Bescheides abzuweisen.

II.2.: Zur Berufung gegen Spruchpunkt II des im Spruch genannten Bescheides

vii. Zur Anwendbarkeit der relevanten Rechtsvorschriften und zur Zuständigkeit des entscheidenden Senates siehe oben II.1.i. und ii.

viii. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist und diese Entscheidung mit der Abweisung des Asylantrags zu verbinden. Die Prüfung ist - im Falle der Abweisung des Asylantrags - von Amts wegen vorzunehmen.

ix. Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde die berufende Partei nicht in ihren Rechten nach Art2 und 3 EMRK oder den relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden. Weder droht ihr im Herkunftsstaat durch direkte Einwirkung noch durch Folgen einer substantiell schlechten oder nicht vorhandenen Infrastruktur ein reales Risiko einer Verletzung der oben genannten Rechte nach der EMRK. Eine solche Gefahr hat die berufende Partei weder glaubhaft gemacht noch ist diese von Amts wegen hervorgekommen oder der Behörde bekannt. Selbiges gilt für die reale Gefahr der Todesstrafe unterworfen zu werden.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten AsylGH vorzuwerfen:

Zwischen Erlassung des Bescheides des Bundesasylamtes und der Entscheidung des AsylGH sind fast sechs Jahre vergangen. Weder der Unabhängige Bundesasylsenat noch der AsylGH haben in dieser Zeit irgendwelche Ermittlungstätigkeiten durchgeführt (vgl. VfSlg. 18.052/2007). Der AsylGH selbst führt aus, dass "[i]m Verfahren ... vor dem Asylgerichtshof ... darüber hinaus keine Beweismittel vorgelegt oder von Amts beigeschafft [wurden]". Soweit der AsylGH insbesondere ausführt, dass "die Länderquellen aus dem Verfahren vor dem Bundesasylamt bereits nicht mehr aktuell [sind]", und sich aus dem Amtswissen nicht ergibt, "dass es in China zu einer Gruppenverfolgung von Menschen kommt, die einer sozialen Gruppe angehören, der auch der Berufungswerber [wohl richtig:

Beschwerdeführer] ... angehört", hat es der AsylGH zumindest in diesem Punkt der Entscheidung unterlassen, aktualisierte Länderfeststellungen dem Beschwerdeführer zur Kenntnis zu bringen, zumal auch der Bescheid des BAA keine Feststellungen zur Situation in China enthält. Wenn der AsylGH davon ausgeht, dass - obgleich der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Einvernahme erst 14 Jahre alt war - keine Verhandlungspflicht bestehe, so ist ihm vorzuwerfen, dass er auch nicht auf andere Weise eine Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt vorgenommen hat. Er hat weder eine mündliche Verhandlung durchgeführt, noch dem Beschwerdeführer schriftlich die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben, sich zur aktuellen Lage in China oder zu seiner derzeitigen Situation zu äußern.

3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in einem wesentlichen Punkt führt dazu, dass der Beschwerdeführer in dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.

Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.

III. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88a iVm 88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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