B497/08 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich (Niederösterreichische Landesregierung) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.340,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin steht in einem
öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Land Niederösterreich. Bis zum 1. September 2008 wurde sie als Volksschuloberlehrerin an der Volksschule Marbach/Donau verwendet. Die Beschwerdeführerin bewarb sich - mit zwei weiteren Personen - im März 2007 um die im Verordnungsblatt des Landesschulrates für Niederösterreich vom 26. Februar 2007 ausgeschriebene schulfeste Leiterstelle an der Volksschule Pöggstall.
Im Verfahren zur Besetzung dieser Leiterstelle wurde die Beschwerdeführerin im Besetzungsvorschlag des Kollegiums des Bezirksschulrates Melk vom 29. Mai 2007 und im Besetzungsvorschlag des Kollegiums des Landesschulrates für Niederösterreich vom 20. Juni 2007 jeweils an zweiter Stelle gereiht, der letztlich ernannte Mitbewerber (im Folgenden: Mitbewerber) jeweils an erster Stelle.
Mit Bescheid vom 29. Juni 2007 verlieh die Niederösterreichische Landeslehrerkommission für allgemein bildende Pflichtschulen die schulfeste Leiterstelle an den Mitbewerber und wies die Bewerbung der Beschwerdeführerin ab. Begründend wird u.a. Folgendes ausgeführt:
"Die NÖ Landeslehrerkommission für [allgemein bildende]
Pflichtschulen hat ... die Vorschläge der Kollegien des
Bezirksschulrates und des Landesschulrates geprüft und ist zur Ansicht gekommen, dass bei der Erstellung der Vorschläge die ... gesetzlichen Vorschriften eingehalten worden sind.
Für die Verleihung an den [Mitbewerber] sind insbesondere folgende Gründe maßgebend:
Auf Grund der vorliegenden Unterlagen und des durchgeführten Anhörungsverfahrens wurde festgestellt, dass er dem Anforderungsprofil für Schulleiter entspricht.
Die Kollegien des Bezirksschulrates und des Landesschulrates haben übereinstimmend den Ernannten erstgereiht.
Das Anhörungsergebnis des Ernannten ist besser.
Er hat bereits Erfahrung als betrauter Schulleiter seit 1. September 2001.
Sein Vorrückungsstichtag ist weiter zurückliegend als Ihrer.
Die Verwendungszeit des Ernannten an dieser Schulart ist länger als Ihre.
Die NÖ Landeslehrerkommission kommt daher unter Abwägung aller vorliegenden Begründungen der Kollegien des Bezirksschulrates und des Landesschulrates sowie der übrigen vorliegenden Unterlagen zur Ansicht, dass der [Mitbewerber] für die Leitung der genannten Schule besser geeignet ist.
Es war daher aus den angeführten Gründen spruchgemäß zu entscheiden.
Rechtsmittelbelehrung
Sie haben das Recht, gegen diesen Bescheid Berufung einzulegen. ..."
Die gegen diesen Bescheid von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wurde mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 29. Oktober 2007 als unzulässig zurückgewiesen.
Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
"Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes ist die Parteistellung der in einen Besetzungsvorschlag nach Art14 Abs4 lita B-VG aufgenommenen Bewerber um einen Dienstposten die Folge des in dieser Verfassungsbestimmung enthaltenen Gebotes, einen verbindlichen Vorschlag der Schulbehörde erster Instanz vorzusehen (s. VfSlg. 7094/1973). Diese Anordnung ist jedoch für alle 'Ernennungen' und 'sonstigen Besetzungen von Dienstposten' (worunter nach VfSlg. 7084/1973 auch die Besetzung der Leiterstellen an Volksschulen gehört) getroffen und lässt keinen Raum für eine Unterscheidung zwischen Schulleitern und Lehrern.
Vor diesem verfassungsrechtlichen Hintergrund hat der Gerichtshof in ständiger Recht...sprechung die Parteistellung der in den Besetzungsvorschlag der Schulbehörde erster Instanz aufgenommenen Bewerber auch bei Verleihung von Leiterposten bejaht (VfSlg. 14298/1995).
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem die Bestellung zum Leiter einer unter §1 Abs1 LDG 1984 fallenden Schule in Niederösterreich betreffenden Beschluss vom 13. Juni 2003, Zl. 2003/12/0013, ausführlich dargelegt hat, kommt einem Bewerber um die Verleihung einer schulfesten Leiterstelle mangels rechtlicher Verdichtung Parteistellung auf Grund eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses im Sinne des §8 AVG nicht zu.
Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Beschluss ebenfalls ausgeführt hat, kommt zwar einem in den Dreiervorschlag aufgenommenen Bewerber im Licht des Art81b B-VG eine andere Rechtsposition zu als allfälligen sonstigen, nicht im Vorschlag berücksichtigten Bewerbern, das daraus ableitbare Recht des aufgenommenen Bewerbers erschöpft sich aber darin, dass nur der in den Dreiervorschlag aufgenommene Bewerber ernannt wird.
Angesichts dieser Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes steht der abgewiesenen Bewerberin bzw. der Berufungswerberin kein rechtliches Interesse nach §8 AVG zu, das mit Berufung gegen den erstinstanzlichen Verleihungsbescheid verfolgt werden könnte.
Lediglich in jenen Fällen, in denen sich Beschwerdeführer/innen an den Verfassungsgerichtshof wenden und dieser die Parteistellung anerkennt, schließt sich auch der Verwaltungsgerichtshof dieser Rechtsansicht an.
Vor dem Hintergrund dieser Judikaturdivergenz schließt sich die NÖ Landesregierung als zuständige Behörde zweiter Instanz zunächst der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes an."
2. Gegen diesen Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird. Im Wesentlichen bringt die Beschwerdeführerin dazu Folgendes vor:
"Was das durchgeführte Verfahren betrifft, ist ... ausdrücklich festzuhalten, dass ich in den für die Postenbesetzung maßgeblichen Dreiervorschlag der Schulbehörde erster Instanz aufgenommen wurde.
Das hat nach der Judikatur des Hohen Verfassungsgerichtshofes essentielle Bedeutung dafür, dass mir Parteistellung zuzubilligen ist, weil die in einem solchen verbindlichen Vorschlag aufgenommenen Personen eine Verfahrensgemeinschaft mit der Maßgabe bilden, dass sie Rechtsanspruch darauf haben, dass einer von ihnen ernannt wird. Die belangte Behörde zitiert die diesbezügliche Judikatur und lässt eindeutig erkennen, dass sie davon ausgeht, dass sie ihrer Entscheidung meine Zugehörigkeit zur Gruppe der verbindlich vorgeschlagenen Bewerber zugrunde gelegt hat. Daher gehe ich davon aus, dass diese Tatsache, obwohl sie nicht explizit festgestellt wurde, unbestrittene Entscheidungsgrundlage ist.
Dass die belangte Behörde dennoch nicht meritorisch entschieden, sondern meine Berufung zurückgewiesen hat, begründet sie mit der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Diese geht in der Tat dahin, dass bei schulfesten Stellen, die gleichzeitig Schulleiterstellen sind, keinerlei subjektiver Rechtsanspruch besteht und daher auch keine verwaltungsverfahrensrechtliche Parteistellung gegeben ist. Demzufolge müsse in einem eine Schulleiterstelle betreffenden Besetzungsverfahren eine Berufung gegen eine erstinstanzliche Entscheidung zurückgewiesen werden und die belangte Behörde hat dem durch die gegenständliche Bescheiderlassung entsprochen.
Die Entscheidung darüber, ob jemand durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde in einem subjektiven Recht verletzt wurde, welches verfassungsgesetzlich geschützt ist, obliegt einzig und allein dem Hohen Verfassungsgerichtshof (Art144 B-VG). Nach dessen Judikatur (VfSlg. 13417 u.v.a.) wird das durch Art83 Abs2 B-VG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter dadurch verletzt, dass eine Behörde einen Parteienantrag zurückweist, obgleich die Partei einen Anspruch auf inhaltliche Entscheidung hat. Genau das trifft hier zu.
Durch §3 des NÖ-Landeslehrer-Diensthoheitsgesetzes wird normiert, dass über die Verleihung schulfester Stellen (einschließlich Leiterstellen) in erster Instanz die Landeslehrerkommission entscheidet. §7 dieses Gesetzes räumt ausdrücklich das Recht der Berufung gegen die erstinstanzliche Entscheidung ein. Dass der Verwaltungsgerichtshof dennoch meint, derartige Berufungen seien im Falle von Leiterstellen zurückzuweisen, begründet er sinngemäß auf der Basis seiner oben bereits erwähnten allgemeinen Judikatur zu dieser Thematik damit, dass das Bundesrecht Vorrang hat und gemäß diesem eben bei Schulleiterposten keine Parteistellung gegeben sei. Da aber genau diese Judikatur als verfassungswidrig anzusehen ist, kann sie naturgemäß eine Zurückweisungsentscheidung nicht verfassungsrechtlich rechtfertigen und daher auch nichts am Verstoß gegen Art83 Abs2 B-VG ändern.
Betont sei in diesem Zusammenhang noch mit Nachdruck, dass gerade wegen dieser Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die effektive Gewährleistung des Rechtes auf den gesetzlichen Richter gänzlich davon abhängt, dass der Hohe Verfassungsgerichtshof in der Sache entscheidet. Wie die belangte Behörde richtig ausführt, erachtet sich dann in weiterer Folge auch der Verwaltungsgerichtshof an die durch den vom Verfassungsgerichtshof vorgegebene Rechtsansicht mit der Konsequenz als gebunden, dass - für den gegebenen Bewerbungsfall - die Parteistellung zu bejahen ist."
Die Niederösterreichische Landesregierung als die im verfassungsgerichtlichen Verfahren belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt und im Wesentlichen Folgendes vorbringt:
"Wie die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerde an den Hohen Verfassungsgerichtshof zutreffend ausführt, sah sich die belangte Behörde aufgrund der Unterschiedlichkeit in der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts gezwungen, der Ansicht des
Verwaltungsgerichtshofes folgend ... die Berufung mangels
Parteistellung zurückzuweisen."
3. Mit Schreiben vom 21. Juli 2008 teilte die Niederösterreichische Landesregierung dem Verfassungsgerichtshof mit, dass an die Beschwerdeführerin die schulfeste Leiterstelle an der Volksschule Blindenmarkt mit Wirkung vom 1. September 2008 verliehen worden sei.
Dazu äußerte sich die Beschwerdeführerin mit an den Verfassungsgerichtshof gerichtetem Schreiben vom 17. Dezember 2008 wie folgt:
"Es ist mir inzwischen eine andere Schulleiterstell[e] verliehen worden. Die diesbezügliche Entscheidung ist jedoch seitens eines Mitbewerbers angefochten worden, sodass diese Position für mich nicht als gesichert erscheint. Dementsprechend halte ich die gegenständliche Beschwerde aufrecht."
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde u.a. dann verletzt, wenn die Behörde in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
2. Gemäß §3 Dienstrechtsverfahrensgesetz 1984 - DVG, BGBl. 29 (WV) idF BGBl. 362/1991, sind im Verfahren in Dienstrechtsangelegenheiten die Personen Parteien, deren öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis Gegenstand des Verfahrens ist.
Wie der Verfassungsgerichtshof erstmals im Erkenntnis VfSlg. 6151/1970 und in der Folge in zahlreichen weiteren Erkenntnissen (zB VfSlg. 9923/1984, 12.102/1989, 12.476/1990, 12.477/1990, 12.556/1990, 13.703/1994, 15.926/2000) ausgesprochen hat, kommt den Bewerbern im Verfahren zur Verleihung einer schulfesten Leiterstelle Parteistellung iSd §3 DVG zu, wenn sie in einen - gemäß §26 Abs8 Landeslehrer-Dienstrechtsgesetz - LDG 1984, BGBl. 302 idF BGBl. I 53/2007, verbindlichen - Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden. Die Aufnahme in einen solchen Besetzungsvorschlag berührt das Dienstverhältnis des Bewerbers und verleiht ihm Parteistellung. Die in einen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerber bilden, wie der Verfassungsgerichtshof gleichfalls wiederholt dargelegt hat, eine Verwaltungsverfahrensgemeinschaft (s. etwa VfSlg. 12.868/1991, 15.832/2000, 15.926/2000); sie haben ein Recht auf Teilnahme an dem durch den Besetzungsvorschlag konkretisierten Verwaltungsverfahren. Aus rechtsstaatlicher Sicht kann die Verwaltungsbehörde nicht als befugt angesehen werden, durch einen der Rechtskontrolle nicht unterworfenen Verleihungsakt unter den in den gesetzlich vorgesehenen Besetzungsvorschlag aufgenommenen Bewerbern eine Auswahl zu treffen (vgl. zB VfSlg. 12.782/1991).
Die Beschwerdeführerin war in den (verbindlichen) Besetzungsvorschlag sowohl des Bezirksschulrates als auch des Landesschulrates aufgenommen. Daher kam ihr im Verfahren zur Verleihung der Schulleiterstelle Parteistellung zu.
3. Da die Niederösterreichische Landesregierung mit dem bekämpften Bescheid die Parteistellung der Beschwerdeführerin verneinte und ihre Berufung als unzulässig zurückwies, verweigerte die Behörde der Beschwerdeführerin gegenüber somit zu Unrecht eine Sachentscheidung (vgl. auch schon VfSlg. 18.095/2007). Die Beschwerdeführerin wurde daher durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Durch die mittlerweile erfolgte - seitens eines Mitbewerbers angefochtene - Verleihung der schulfesten Leiterstelle an einer anderen Schule an die Beschwerdeführerin ist diese schon deshalb nicht iSd §86 VfGG klaglos gestellt, weil dadurch ihrem Anliegen, Leiterin jener Schule zu werden, um deren Leitung sie sich konkret beworben hatte, nicht Rechnung getragen wurde und damit die nachteiligen Folgen des angefochtenen Bescheides nicht beseitigt sind.
Der angefochtene Bescheid war daher aufzuheben.
4. Der Kostenausspruch gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 180,-- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.