U804/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die minderjährige Beschwerdeführerin, eine
Staatsangehörige Georgiens, wurde am 5. Juli 2008 geboren und stellte am 11. Juli 2008 durch ihre gesetzliche Vertreterin einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom 5. August 2008 gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: AsylG 2005) ab; gleichzeitig wurde der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Georgien gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 nicht zuerkannt und die Beschwerdeführerin gemäß §10 Abs1 leg.cit. aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen.
3. Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit der nun angefochtenen Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom 9. März 2009 durch einen Einzelrichter abgewiesen, der Status der subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt und die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Georgien ausgewiesen. Im Verfahren der Eltern und des Bruders der Beschwerdeführerin war zuvor, am 7. November 2007 eine mündliche Verhandlung vor dem damals noch Bestand habenden Unabhängigen Bundesasylsenat (im Folgenden: UBAS) abgehalten worden.
3.1. Die rechtlichen Erwägungen des AsylGH in Bezug auf die Einzelrichterzuständigkeit lauten wie folgt:
"Gemäß §75 Abs7 AsylG 2005, diesem hinzugefügt durch Art2 Z. 54 Asylgerichtshofgesetz AsylGHG 2008, sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof weiterzuführen. Gem. §75 Abs7 Z. 1 haben Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofs ernannt wurden, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in den bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Im Verfahren der Eltern der BF (und ihres minderjährigen Bruders) fand bereits vor dem 1. Juli 2008 vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat eine mündliche Verhandlung statt, daher waren die Verfahren der Familienmitglieder der BF als Einzelrichterverfahren vor dem AsylGH weiterzuführen. Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um ein Familienverfahren im Sinne des §34 AsylG sowie der daraus folgenden Annexität im Sinne der geltenden Geschäftsverteilung des AsylGH. In diesem wurde von den Eltern der BF übereinstimmend angegeben, dass keine eigenen Fluchtgründe für ihre 'nachgeborene' Tochter vorliegen. Aus Sicht des erkennenden Richters des AsylGH konnte auch dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, dass er in einer Konstellation wie der vorliegenden eine Senatsentscheidung alleine in der Sache des nach der Verhandlung vor dem Unabhängigen Bundesasylsenat in der Sache der Eltern nachgeborenen Kindes bzw. eine neuerliche, gemäß §39 AVG verbundene Verhandlung für alle Familienmitglieder vorsehen wollte (Vgl. hierzu auch VfGH U97/08-13
v. 06.11.2008, S. 14: Im Hinblick auf die Frage der Verfassungskonformität einer Weiterführung von bereits vor dem 1.Juli 2008 anverhandelten Beschwerdeverfahren durch den (nunmehrigen) Einzelrichter des AsylGH iSd §75 Abs7 Z. 1 AsylG 2005 führte das Höchstgericht aus, dass solche Verfahren 'möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des AsylGH ernannt wurde, erledigt werden können. Für diese überschaubare Zahl von Übergangsfällen ist festzustellen, dass der Gesetzgeber an ein Verfahrensstadium anknüpft, in dem bereits - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - eine entscheidungsreife Sache vorliegt. Eine Übergangsbestimmung dieser Art, die auf das fortgeschrittene Verfahrensstadium und die Identität des zur Entscheidung berufenen Organwalters anstellt, ist verfassungsrechtlich noch unbedenklich'). Neben der Tatsache der Annexität der gg. Beschwerdesache der BF zu jenen ihrer Angehörigen im Rahmen des Familienverfahrens ist im Sinne dieser Judikatur auch die - in Ermangelung eigener Fluchtgründe der minderjährigen BF und in Ansehung der erschöpfenden Ermittlung und Erörterung des maßgeblichen Sachverhalts im Verfahren der Eltern der BF - gegebene Entscheidungsreife der Beschwerdesache der BF als maßgebliches Kriterium zu beachten. Aus diesen Erwägungen heraus war das Verfahren der BF im Rahmen des Familienverfahrens als Einzelrichterverfahren weiterzuführen.
Im gg. Fall war daher vor dem Hintergrund des oben dargestellten Verfahrensverlaufs der unten zeichnende Richter des Asylgerichtshofs als Einzelrichter zur Entscheidung über die gg. Anträge der BF berufen."
4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde macht die Beschwerdeführerin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
5. Der AsylGH legte die Verwaltungsakten des BAA sowie die Gerichtsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Die für das Verfahren maßgebende Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1.1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I 4/2008 idF BGBl. I 147/2008 (im Folgenden: AsylGHG) lautet:
"Senate und Kammersenate
§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.
(2) ...
(3) ...
(4) ...
(5) ..."
1.2. Die maßgeblichen Bestimmungen des AsylG 2005 lauten:
"Familienverfahren im Inland
§34. (1) Stellt ein Familienangehöriger (§2 Abs1 Z22) von
1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;
2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§8) zuerkannt worden ist oder
3. einem Asylwerber
einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.
(2) ...
(3) ...
(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen, und es erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid.
(5) Die Bestimmungen der Abs1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Asylgerichtshof.
...
Asylgerichtshof
§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
(2) ...
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter ber Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
(4) ...
...
Übergangsbestimmungen
§75. (1) ...
(2) ...
(3) ...
(4) ...
(5) ...
(6) ...
(7) Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
1. Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
2. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
3. ..."
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und VfGH vom 9.12.2008, B1110/08). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt einem Senat ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.
3. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH unterlaufen:
3.1. Neben der Einzelrichterzuständigkeit in den Fällen des §61 Abs3 AsylG 2005 sieht die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 vor, dass am 1. Juli 2008 beim UBAS anhängige Verfahren vom AsylGH mit der Maßgabe weiterzuführen sind, dass die Mitglieder des UBAS, die zu Richtern des AsylGH ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen haben. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. November 2008, U97/08, ausgesprochen hat, soll §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des AsylGH ernannt wurde, erledigt werden können. Diese Übergangsfälle stellen eine überschaubare Zahl dar und es wird durch die genannte gesetzliche Bestimmung exakt festgelegt, wann der AsylGH durch Einzelrichter zu entscheiden hat, weshalb der Verfassungsgerichtshof diese Übergangsbestimmung für verfassungsrechtlich noch unbedenklich erachtet hat.
3.2. Im vorliegenden Fall datiert der Antrag auf internationalen Schutz der Beschwerdeführerin vom 11. Juli 2008, wobei die Beschwerdeführerin selbst erst am 5. Juli 2008 zur Welt gekommen war. Nur die Verfahren der Eltern (und des älteren Bruders) waren somit am 1. Juli 2008 beim UBAS anhängig und nur in diesen Fällen hat auch eine mündliche Verhandlung stattgefunden, nicht jedoch im Verfahren der Beschwerdeführerin. Demnach ist für die Entscheidung über die Beschwerde der Beschwerdeführerin ein Senat zuständig, da - wie oben dargestellt - weder §61 noch §75 AsylG 2005 zur Anwendung gelangen (vgl. VfGH 27.4.2009, U626/09).
An diesem Ergebnis ändert auch §34 leg.cit., wonach Verfahren von Familienangehörigen unter einem zu führen sind, alle Familienangehörigen denselben Schutzumfang erhalten müssen und jeder Asylwerber einen gesonderten Bescheid erhält, nichts, weil dieser lediglich der Verfahrensbeschleunigung und somit der Verfahrensökonomie dient, aus ihm jedoch keine Zuständigkeit eines bestimmten Organs (Einzelrichter oder Senat) zur Entscheidung abgeleitet werden kann. Bei der Beurteilung von Fragen über die Zuständigkeit haben Zweckmäßigkeitsüberlegungen nämlich außer Betracht zu bleiben.
Der belangte AsylGH hat demnach durch die Entscheidung durch einen Einzelrichter die Beschwerdeführerin im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
4. Die Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
III. 1. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.