U525/09 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Entscheidungen in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit jeweils € 2.160,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführer sind eine Familie aus Russland
tschetschenischer Herkunft, bestehend aus der Mutter, geboren am 5. August 1959, ihrem Sohn, geboren am 1. August 1996, und ihrer Tochter, geboren am 30. August 1992. Sie reisten gemeinsam am 20. Februar 2008 aus Polen kommend nach Österreich ein und am selben Tag stellte die Mutter für sich und ihre Kinder einen Antrag auf internationalen Schutz. Sie brachte vor, dass ihr Ehemann bereits am 14. Februar 2007 von uniformierten Personen entführt worden sei und sie nichts über seinen Verbleib wisse. Man habe dem Ehemann vorgeworfen, die Rebellen unterstützt zu haben. Die Entführer hätten sich zudem telefonisch gemeldet und gedroht, auch den Sohn zu entführen. Aus diesem Grund seien sie zunächst zur Großmutter geflohen, da sie gehofft hätten, dort untertauchen zu können. Die Familie habe Tschetschenien letztendlich verlassen müssen, da man sie gefunden habe und tatsächlich versucht worden sei, den Sohn zu entführen. Ihr Ehemann würde vermutlich nicht mehr leben.
2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies die Anträge mit Bescheiden vom 20. Oktober 2008 gemäß §§3 Abs1 iVm 2 Abs1 Z13 Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005) ab, erklärte jedoch gemäß §8 Abs1 leg.cit. die Zurückweisung, Zurückschiebung und Abschiebung nach Russland für nicht zulässig und erteilte den Beschwerdeführern eine befristete Aufenthaltsgenehmigung nach §8 Abs4 AsylG 2005. Diese Entscheidung begründete das BAA mit dem physischen und psychischen Gesundheitszustand der Mutter und des Sohnes.
3. Die gegen die Abweisung der Anträge erhobenen Beschwerden vom 6. November 2008 hat der Asylgerichtshof (im Folgenden: AsylGH) mit den angefochtenen Erkenntnissen gemäß §3 AsylG 2005 abgewiesen. Der AsylGH führte am 17. Dezember 2008 eine mündliche Verhandlung durch und vernahm der Verhandlungsschrift nach sowohl die mündige Minderjährige als auch den unmündigen Minderjährigen in Abwesenheit ihrer Mutter. Im Erkenntnis führt der AsylGH u.a. aus, es sei nicht anzunehmen, dass eine wirkliche Gefährdung des Sohnes vorgelegen habe, wenn man sich erst sieben Monate nach dem Vorfall zur Flucht entschlossen hätte. Das BAA habe die Aussagen als unglaubwürdig gewertet, im Übrigen würde der Inhalt des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt der Entscheidung des AsylGH erhoben.
4. Gegen diese Entscheidung des AsylGH richten sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründeten Beschwerden an den Verfassungsgerichtshof vom 20. April 2009. Die Beschwerdeführer machen darin die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie der in Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechte geltend und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.
5. Der AsylGH hat als belangtes Gericht von einer Gegenschrift abgesehen, auf die Begründung der angefochtenen Entscheidungen verwiesen und die Verwaltungs- und Gerichtsakten übermittelt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie VfGH 7.11.2008, U67/08).
2. Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem AsylGH in der Tat unterlaufen (vgl. VfGH 7.11.2008, U67/08; 3.12.2008, U131/08; 11.3.2009, U132/08):
Dem Asylgerichtshof ist ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren vorzuwerfen. Es ist dem Erkenntnis des Asylgerichtshofes nicht zu entnehmen, dass er Ermittlungen hinsichtlich der Situation in Tschetschenien bezüglich der Entführung männlicher Tschetschenen, welche im Verdacht standen, den Rebellen angehört zu haben, der drohenden Entführung und Verfolgung ihrer Familien getätigt hätte. Ebenso mangelt es jeglicher Ermittlungstätigkeit, ob die von der Familie in Anspruch genommene innerstaatliche Fluchtalternative wirklich Schutz bieten konnte.
4. Auch wenn der Familie subsidiärer Schutz gewährt worden ist, entbindet dies den als Gericht eingerichteten AsylGH nicht von seiner Ermittlungs- und Begründungspflicht hinsichtlich der vor ihm bekämpften Asylabweisung.
Im Übrigen wird darauf hingewiesen, dass der erkennende Richter die beiden Minderjährigen entgegen der Bestimmung des §19 Abs5 AsylG 2005 in Abwesenheit ihrer gesetzlichen Vertreterin einvernommen hat.
5. Dieses Unterlassen von Ermittlungen in wesentlichen Punkten führt dazu, dass die Beschwerdeführer in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt sind.
6. Die angefochtenen Entscheidungen sind daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten von jeweils € 2.160,-- ist jeweils Umsatzsteuer in der Höhe von € 360,-- enthalten.
Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.