B749/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird
abgewiesen.
II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird
abgewiesen.
Begründung:
I. 1. Mit am 23. Juni 2009 zur Post gegebenem Antrag begehrt
die Antragstellerin die Bewilligung der Verfahrenshilfe (einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes) zur Erhebung einer Beschwerde gegen den oben bezeichneten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien, mit sie gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 ausgewiesen wurde
2. Mit am 20. Juli 2009 beim Verfassungsgerichtshof eingelangten Schriftsatz begehrt die Antragstellerin die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist, und holt unter einem die versäumte Prozesshandlung durch neuerliche Einbringung des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe nach.
Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages führt sie im Wesentlichen aus, dass sie gegen den angeführten Bescheid am 23. Juni 2009 eine Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof eingebracht habe und einen Antrag auf Gewährung der Verfahrenshilfe zur Erhebung der Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof gestellt habe. Von dem Versäumnis der Frist habe sie durch eine Verfügung des Verwaltungsgerichtshofes erfahren, mit dem sie zur Äußerung bezüglich der Beschwerdeeinbringung aufgefordert worden sei. Diese Verfügung sei ihrem rechtsfreundlichen Vertreter am 3. Juli 2009 zugestellt worden. Der gegenständliche Bescheid sei am 11. Mai 2009 um 10.46 Uhr per Fax an die Kanzlei ihres rechtsfreundlichen Vertreters geschickt worden.
Zum Fristenwesen in der Kanzlei wird ausgeführt, dass in der Kanzlei einlangende Schriftstücke umgehend mit dem Eingangsstempel des jeweiligen Tages versehen würden und die Eingangspost einmal täglich nach dem Einlangen der Post (etwa zwischen 8.30 und 9.30 Uhr) erfasst und bearbeitet würden. Dazu würden die jeweils dazugehörigen Akten herausgesucht und etwaige Fristen zunächst in den Fristenkalender eingetragen und dann auf dem jeweiligen Schriftstück vermerkt. Die Akten würden dann dem rechtsfreundlichen Vertreter vorgelegt, welcher die weitere Bearbeitung veranlasse und die Eintragungen in den Kalender stichprobenartig überprüfe. Nach den klaren und ausdrücklichen Weisungen betreffend die Erledigung des Postein- und Ausganges an das Sekretariatspersonal müsse anhand des Eingangsdatums die Frist zunächst "händisch" berechnet und in einen Papierkalender eingetragen werden. Erst danach erfolge die Eintragung in die Rechtsanwalts-Software "jurxpert" am Computer. Dieses Programm gehe immer vom Tagesdatum aus und berechne selbständig die Fristen. Wenn das Zustelldatum mit dem Tagesdatum nicht übereinstimme, müsse dieses daher bei der Eingabe einer neuen Frist zunächst auf den tatsächlichen Beginn des Fristenlaufes korrigiert werden. Die vom Computer errechnete Frist werde schließlich abschließend mit der selbst berechneten Frist gegen geprüft. Im vorliegenden Fall seien diese ausdrücklichen Weisungen jedoch missachtet worden. Der gegenständliche Bescheid sei nach Bearbeitung der Tagespost in der Kanzlei eingelangt und in den Posteingang zur weiteren Bearbeitung für den nächsten Tag gelegt worden. Am nächsten Tag sei weisungswidrig zuerst die Eintragung am Computer vorgenommen und dabei die Korrektur des Eingangsdatums nicht vorgenommen worden. Da es sich bei der zuständigen Mitarbeiterin um eine bisher einwandfrei und zuverlässig arbeitende Angestellte handle, habe der rechtsfreundliche Vertreter auf die Befolgung seiner Anweisungen, die zur Sicherung des Fristenwesens dienten, vertrauen dürfen. Diese Missachtung einer direkten Weisung stelle ein Versehen war und sei vom rechtsfreundlichen Vertreter nicht vorherzusehen gewesen. Im gegenständlichen Fall sei es trotz Einhaltung der berufsgebotenen Sorgfaltspflicht im Sinne eines Kontrollsystems zur Einhaltung des Fristenwesens zu einem Fristversäumnis gekommen, weshalb nicht von einem Verschulden ausgegangen werden könne.
In der beigelegten eidesstattlichen Erklärung bestätigt die namentlich genannte Mitarbeiterin des Vertreters der Antragstellerin durch Unterfertigung der Sachverhaltsdarstellung die Richtigkeit dieser Angaben. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist der ursprüngliche Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beigeschlossen.
3. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist ist zulässig, aber nicht begründet:
3.1. Gemäß §33 VfGG kann in den Fällen des Art144 B-VG wegen Versäumung einer Frist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand stattfinden. Da das VfGG die Voraussetzungen für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht selbst regelt, sind nach §35 VfGG die entsprechenden Bestimmungen der §§146 ff. ZPO sinngemäß anzuwenden.
a) Nach §146 ZPO ist einer Partei, soweit das Gesetz nichts anderes bestimmt, auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis an der rechtzeitigen Vornahme einer befristeten Prozesshandlung verhindert wurde und die dadurch verursachte Versäumung für die Partei den Rechtsnachteil des Ausschlusses von der vorzunehmenden Prozesshandlung zur Folge hatte. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Unter einem "minderen Grad des Versehens" ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes leichte Fahrlässigkeit zu verstehen, die dann vorliegt, wenn ein Fehler unterläuft, den gelegentlich auch ein sorgfältiger Mensch begeht (s. etwa VfSlg. 9817/1983, 14.639/1996, 15.913/2000 und 16.325/2001 mwN).
Aus §39 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ergibt sich, dass das Verschulden des Bevollmächtigten eines Beschwerdeführers einem Verschulden der Partei selbst gleichzuhalten ist.
b) Der Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung muss gemäß §148 Abs2 ZPO innerhalb von vierzehn Tagen gestellt werden. Diese Frist beginnt mit dem Tage, an welchem das Hindernis, welches die Versäumung verursachte, weggefallen ist; sie kann nicht verlängert werden. Zugleich mit dem Antrag ist dem §149 Abs1 ZPO zufolge auch die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.
4. Das Hindernis für die rechtzeitige Einbringung einer Beschwerde fiel am 3. Juli 2009 weg. Mit dem am 17. Juli 2009 zur Post gegebenen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde daher diese Frist gewahrt.
5. Jedoch kann im vorliegenden Fall nicht davon gesprochen werden, der Rechtsvertreter der Antragstellerin wäre durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des §146 Abs1 ZPO an der Einhaltung der Beschwerdefrist gehindert gewesen:
Im Zusammenhang mit der Einhaltung von Fristen und Terminen bedarf es eines Mindestmaßes an Sorgfalt sowie der Einrichtung einer - möglichst effizienten - Organisation, welche geeignet ist, Fristversäumungen zu verhindern. Im vorliegenden Fall ist es nach dem Vorbringen des Vertreters der Antragstellerin zu einem zweifachen Fehler bei der Eintragung der Frist gekommen. Das Schriftstück, welches per Fax nach Bearbeitung der Tagespost eingelangt ist, wurde demnach erst am darauffolgenden Tag in das Computersystem eingetragen, ohne dass hierbei das tatsächliche Eingangsdatum berücksichtigt worden wäre. Dass die automatische Fristberechnung fehlerhaft war, hätte jedoch im Rahmen einer nachprüfenden Kontrolle mit der händisch zu errechnenden Frist auffallen müssen. Diese nachprüfende Kontrolle wurde hingegen ebenfalls unterlassen und das automatisch errechnete Datum lediglich übernommen.
Dass nicht nur die Eintragung in das Computersystem fehlerhaft erfolgt ist, sondern auch eine händische Berechnung und Überprüfung der Frist unterblieben ist, kann jedoch nicht mehr als bloß geringfügiger Fehler gewertet werden, der gelegentlich auch einem sorgfältigen Menschen unterlaufen kann.
6. Damit lagen aber die Voraussetzungen für die Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht vor, weshalb der darauf gerichtete Antrag abzuweisen war.
II. Da die sechswöchige Beschwerdefrist des §82 Abs1 VfGG zum Zeitpunkt der Postaufgabe des Antrages auf Bewilligung der Verfahrenshilfe schon verstrichen war, aber nur ein innerhalb dieser Frist gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe deren Unterbrechung zu bewirken vermag (§464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG), erwiese sich eine künftige Beschwerde als verspätet.
Bei dieser Sach- und Rechtslage war der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wegen offenbarer Aussichtslosigkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§63 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG) abzuweisen (vgl. zB VfSlg. 14.582/1996; VfGH 17.3.1999, B311/99).
III. Diese Beschlüsse konnten gemäß §33 zweiter Satz und §72 Abs1 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.