JudikaturVfGH

B411/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
16. Dezember 2009

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist dadurch im verfassungsgesetzlich

gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden, dass die Feststellung, dass im Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, nicht binnen einer Woche erging.

Im Übrigen ist der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

II. Die Beschwerde wird mit Ausnahme der unter Punkt I. festgestellten Verletzung abgewiesen und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abgetreten, ob der Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

III. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 800,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein am 28. Mai 1992 geborener

Staatsangehöriger Somalias, wurde - nachdem sein Asylantrag gemäß §5 Asylgesetz 2005 vom Bundesasylamt zurückgewiesen, die Ausweisung nach Italien verfügt und die dagegen erhobene Beschwerde durch den Asylgerichtshof am 20. Jänner 2009 abgewiesen wurde - nach Verweigerung der Ausreise am 9. Februar 2009 auf Anordnung der Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß §76 Abs1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (im Folgenden: FPG) in Schubhaft genommen.

Am 11. Februar 2009 erhob der Beschwerdeführer durch seinen - auch als Zustellbevollmächtigten ausgewiesenen - Vertreter eine Schubhaftbeschwerde gemäß §82 FPG verbunden mit den Anträgen, eine Beweisaufnahme und eine mündliche Verhandlung durchzuführen, die auf Anordnung der belangten Behörde verhängte Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft für rechtswidrig zu erklären sowie der belangten Behörde den Ersatz der Verfahrenskosten aufzuerlegen.

In der Begründung wird unter anderem insbesondere auf die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers hingewiesen.

Der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt (im Folgenden: UVS), hat mit 18. Februar 2009 datiertem, nunmehr angefochtenem Bescheid festgestellt, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen, die Beschwerde und den Antrag auf Kostenersatz abgewiesen sowie dem Beschwerdeführer einen Aufwandersatz auferlegt.

Dagegen wendet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit und die Verletzung der Entscheidungsfrist gemäß Art6 Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes über den Schutz der persönlichen Freiheit, BGBl. 684/1988 (im Folgenden: PersFrSchG 1988) sowie die Verletzung des Art3 EMRK behauptet und unter anderem die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides in seinem gesamten Umfang beantragt wird.

Begründend wird insbesondere hinsichtlich der Verletzung der Entscheidungsfrist gemäß Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 ausgeführt, dass der angefochtene Bescheid zwar mit 18. Februar 2009 datiert, die Zustellung an den Vertreter des Beschwerdeführers per Post jedoch erst am 20. Februar 2009 erfolgt sei. Unter Hinweis auf näher bezeichnete Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes ist der Beschwerdeführer diesbezüglich der Auffassung, dass "soweit die Anhaltung in Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung des unabhängigen Verwaltungssenates für rechtmäßig erklärt wurde, [dieser] im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt worden [sei], weil diese Entscheidung nicht binnen einer Woche erging".

2. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Anordnung der Schubhaft erst erfolgt sei, nachdem der Beschwerdeführer die Abschiebung verweigert habe; zur Frage der Zustellung des angefochtenen Bescheides wurde Folgendes wörtlich ausgeführt:

"Der angefochtene Bescheid wurde an die Adresse PAZ Wien, Rossauer Lände, am 18.02.2009, 9,24 Uhr (...) übermittelt, um dem Beschwerdeführer den Bescheid persönlich auszufolgen.

Vom Vertreter war keine Telefaxnummer bekannt, sodass die Zustellung an ihn nur durch die Post erfolgen konnte."

Ergänzend wurde darauf hingewiesen, dass der Beschwerdeführer am 27. Februar 2009 nach Italien abgeschoben wurde.

II. Die - zulässige - Beschwerde ist teilweise begründet:

1.1. Art6 Abs1 PersFrSchG 1988 lautet:

"Artikel 6

(1) Jedermann, der festgenommen oder angehalten wird, hat das Recht auf ein Verfahren, in dem durch ein Gericht oder durch eine andere unabhängige Behörde über die Rechtmäßigkeit des Freiheitsentzuges entschieden und im Falle der Rechtswidrigkeit seine Freilassung angeordnet wird. Die Entscheidung hat binnen einer Woche zu ergehen, es sei denn, die Anhaltung hätte vorher geendet".

1.2. Die §§82 und 83 FPG lauten:

"9. Hauptstück

Besonderer Rechtsschutz

Beschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat

§82. (1) Der Fremde hat das Recht, den unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen,

(2) Die Beschwerde kann auch bei der Behörde eingebracht werden, der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist. Erfolgt die angefochtene Anhaltung in Vollziehung eines Schubhaftbescheides, kann die Beschwerde auch bei der Behörde eingebracht werden, die den Bescheid erlassen hat.

(3) Wird die Beschwerde bei der Behörde gemäß Abs2 eingebracht, hat diese dafür zu sorgen, dass sie, sofern die Anhaltung des Beschwerdeführers nicht schon vorher geendet hat, dem unabhängigen Verwaltungssenat spätestens zwei Werktage nach dem Einlangen vorliegt. Die Behörde, die den Beschwerdeführer anhält, hat dem unabhängigen Verwaltungssenat das Ende der Anhaltung während des Beschwerdeverfahrens unverzüglich mitzuteilen.

(4) Hat die Anhaltung des Fremden hingegen schon vor Ablauf der Frist des Abs3 geendet, ist die Behörde gemäß Abs2 verpflichtet, die Beschwerde dem unabhängigen Verwaltungssenat ohne unnötigen Aufschub vorzulegen.

Entscheidung durch den unabhängigen Verwaltungssenat

§83. (1) Zur Entscheidung über die Beschwerde ist der unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde.

(2) Über die Beschwerde entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat durch eines seiner Mitglieder. Im übrigen gelten die §§67c bis 67g sowie 79a AVG mit der Maßgabe, dass

(3) Hat der unabhängige Verwaltungssenat dem Beschwerdeführer gemäß §13 Abs3 AVG aufgetragen, innerhalb bestimmter Frist einen Mangel der Beschwerde zu beheben, wird der Lauf der Entscheidungsfrist des Abs2 Z2 bis zur Behebung des Mangels oder bis zum fruchtlosen Ablauf der Frist gehemmt.

(4) Sofern die Anhaltung noch andauert, hat der unabhängige Verwaltungssenat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Im Übrigen hat er im Rahmen der geltend gemachten Beschwerdepunkte zu entscheiden."

1.3. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde, mit dem darüber entschieden wird, dass eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. PersFrSchG 1988 und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes erlassen wurde oder wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist; ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfSlg. 13.708/1994, 15.131/1998, 15.684/1999 und 16.384/2001).

Ein Bescheid eines unabhängigen Verwaltungssenates über eine Beschwerde gemäß §82 FPG verletzt (u.a.) dann das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er entgegen dem verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernis des Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 nicht binnen einer Woche ergangen ist.

2.1. Im vorliegenden Fall wurde die Schubhaftbeschwerde gemäß §82 FPG am 11. Februar 2009 um 14:27 Uhr von - da der minderjährige Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Inschubhaftnahme vertreten war - dem Vertreter des Beschwerdeführers per Telefax dem UVS übermittelt. Wie den Verwaltungsakten zu entnehmen ist, wurde das Einlangen der Beschwerde beim UVS auch am 11. Februar 2009 protokolliert.

Aus der Anordnung in Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988, dass die Entscheidung binnen einer Woche zu ergehen hat, erfließt die Verpflichtung des UVS, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, dass im Verfahren über eine Schubhaftbeschwerde gemäß §82 FPG seine Entscheidung iSd §83 FPG innerhalb einer Woche dem Beschwerdeführer (gegebenenfalls seinem Vertreter) und der vor dem UVS belangten Behörde zugeht.

2.2. Die gemäß Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 iVm §83 Abs2 Z2 FPG gebotene Frist von einer Woche ist grundsätzlich ab dem Einlangen der Beschwerde beim UVS zu berechnen (vgl. VfSlg. 18.081/2007 mwN). In dieser Entscheidung hat der Verfassungsgerichtshof erneut darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber - unabhängig von behördeninternen Manipulationen - eine einwöchige Entscheidungsfrist als Obergrenze festgelegt hat.

2.3. Die Entscheidung des UVS hatte daher - der Beschwerdeführer befand sich weiterhin in Schubhaft (vgl. Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 iVm §83 Abs2 Z2 FPG) - spätestens am 18. Februar 2009 zu ergehen. Da es sich um einen vertretenen minderjährigen Beschwerdeführer handelte, wäre die Entscheidung bis zu diesem Zeitpunkt seinem Vertreter (der auch schon die Beschwerde gemäß §82 FPG eingebracht hatte) zuzustellen gewesen. Eine Zustellung an den Vertreter des Beschwerdeführers erfolgte jedoch erst am 20. Februar 2009, wie aus dem Zustellnachweis erkennbar ist, sohin nach Ablauf der gemäß Art6 Abs1 letzter Satz PersFrSchG 1988 iVm §83 Abs2 Z2 FPG gebotenen Frist von einer Woche. Die Überschreitung der verfassungsgesetzlich vorgesehenen Frist von einer Woche kann auch nicht dadurch gerechtfertigt werden, dass der angefochtene Bescheid mit 18. Februar 2009 datiert ist, dem Beschwerdeführer am selben Tag zur persönlichen Ausfolgung in Schubhaft übermittelt wurde und der belangten Behörde nach ihrer Behauptung keine Telefaxnummer des Vertreters des Beschwerdeführers bekannt gewesen sei.

Der Beschwerdeführer wurde dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) verletzt, dass die Entscheidung über die Fortsetzung der Schubhaft nicht binnen einer Woche ab Beschwerdeerhebung erging.

3. Durch die begehrte Aufhebung der verspätet ergangenen Entscheidung könnte die Rechtsverletzung aber nicht beseitigt, sondern insoweit sogar verschärft werden, als der Ersatzbescheid nur noch später ergehen könnte. Der Verfassungsgerichtshof hatte sich deshalb auf den Ausspruch zu beschränken, dass eine Verletzung des Beschwerdeführers im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) stattgefunden hat (vgl. VfSlg. 18.014/2006 mwN).

III. Im Übrigen aber hat das verfassungsgerichtliche Beschwerdeverfahren nicht ergeben, dass der angefochtene Bescheid an einem weiteren in die Verfassungssphäre reichenden Mangel leidet. Angesichts des Umstandes, dass sowohl für die Anordnung als auch für die Aufrechterhaltung der Schubhaft eine - aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles unbedenkliche - gesetzliche Grundlage vorliegt und der UVS die Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft aus verfassungsrechtlicher Sicht nachvollziehbar begründet hat, liegt keine (weitere) Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) vor. Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, auf Grund seiner schlechten psychischen Verfassung haftunfähig gewesen zu sein, ist ihm entgegenzuhalten, dass dieses - bloß allgemein gehaltene und in der Schubhaftbeschwerde nicht geltend gemachte - Vorbringen nicht geeignet ist, eine Verletzung des Art3 EMRK aufzuzeigen.

Insoweit war daher die Beschwerde abzuweisen, antragsgemäß jedoch dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung darüber abzutreten, ob der Beschwerdeführer in einem sonstigen Recht verletzt worden ist.

IV. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG, wobei eine

Kürzung vorzunehmen war, da der Beschwerdeführer nur zum Teil durchgedrungen ist. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 133,33 enthalten.

V. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG

ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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