JudikaturVfGH

B972/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
10. März 2010

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal verletzt worden.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Dem Beschwerdeführer wurde mit Straferkenntnis der

Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 14. Mai 2008 zur Last gelegt, er habe es als gewerberechtlicher Geschäftsführer eines näher genannten Unternehmens zu verantworten, dass zu näher bezeichneten Zeitpunkten zur Ausübung des Werkverkehrs verwendete Mietfahrzeuge dieses Unternehmens von einem Arbeitnehmer des Unternehmens gelenkt wurden und nicht während der gesamten Fahrt die nach §6 Abs4 Güterbeförderungsgesetz erforderlichen Dokumente mitgeführt wurden (Vertrag über die Vermietung des Fahrzeuges sowie Beschäftigungsvertrag des Arbeitnehmers). Über den Beschwerdeführer wurden deshalb zwei Geldstrafen in Höhe von jeweils € 363,-- sowie Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils 20 Stunden verhängt.

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer das Rechtsmittel der Berufung und beantragte darin ausdrücklich die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (in der Folge: UVS) wies diese Berufung mit Erkenntnis vom 30. Juni 2010 als unbegründet ab, ohne eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben. Zur Frage des Erfordernisses einer öffentlichen mündlichen Verhandlung enthält die Begründung des Berufungserkenntnisses folgende Ausführungen:

"Weil der Sachverhalt geklärt und im Übrigen vom Berufungswerber auch nicht bestritten wurde, sich die Berufung sohin lediglich gegen die rechtliche Beurteilung richtet sowie keine 500 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, kann von der beantragten Berufungsverhandlung gemäß §51e Abs3 Z1 und Z3 VStG abgesehen werden."

4. Gegen dieses Berufungserkenntnis richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der insbesondere die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.

5. Der UVS legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der - wie schon im angefochtenen Bescheid - das Absehen von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung damit begründet wird, dass eine mündliche Erörterung keine weitere Klärung der Sache erwarten hätte lassen. Der Beschwerdeführer habe den maßgeblichen Sachverhalt in keiner Lage des Verfahrens bestritten oder in Abrede gestellt und seine rechtlichen Argumente in seinen Schriftsätzen einschließlich der Berufung ausführlich dargelegt. Der Sinn und Zweck einer mündlichen Verhandlung liege nicht in der Erörterung von Rechtsfragen, sondern in der allfälligen Klärung und kontradiktorischen Feststellung des Sachverhaltes. Die belangte Behörde habe daher "nicht gegen das Recht auf ein faires Verfahren verstoßen". Abschließend beantragt der UVS die Abweisung der Beschwerde.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Im Erkenntnis VfSlg. 16.624/2002 und in der einschlägigen Folgejudikatur hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass es eine Verletzung des durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts darstellt, wenn der UVS - der als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage im Verwaltungsstrafverfahren zuständige Tribunal entscheidet - einen Schuldspruch fällt (bestätigt), ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen (vgl. auch VfSlg. 16.790/2003).

2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt. Soweit sich der UVS im angefochtenen Bescheid und in der Gegenschrift darauf beruft, dass die Abstandnahme von der mündlichen Verhandlung deswegen zulässig gewesen sei, weil sich die Berufung gegen Straferkenntnisse richtet, in denen keine € 500,-- übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, und weil die Berufung ausschließlich die Rechtsfrage betrifft, übergeht er den Umstand, dass jene gesetzliche Vorschrift (§51e Abs3 VStG), die es dem UVS allenfalls erlaubt hätte, von einer mündlichen Verhandlung Abstand zu nehmen, bei einem ausdrücklichen Antrag des Berufungswerbers auf Durchführung einer Berufungsverhandlung schon von ihren Voraussetzungen her nicht in Betracht kommt. Daraus folgt aber auch, dass der UVS schon auf Grundlage des einfachen Gesetzes verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Ihre Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. das oben genannte Erkenntnis VfSlg. 16.624/2002 und die Folgejudikatur).

3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid daher in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.

4. Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund aufzuheben.

5. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,-- enthalten.

6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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