JudikaturVfGH

B565/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. April 2010

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein 1974 geborener nigerianischer

Staatsangehöriger, heiratete am 8. Oktober 2003 in Rom eine österreichische Staatsbürgerin. Am 9. Oktober 2003 beantragte der Beschwerdeführer bei der Österreichischen Botschaft in Rom die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger". Im Sommer 2004 reiste der Beschwerdeführer schließlich mit einem italienischen Aufenthaltstitel nach Österreich ein und stellte am 21. Dezember 2004 bei der Bundespolizeidirektion Wien einen weiteren Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung. Am 23. Dezember 2005 brachte die Ehefrau des Beschwerdeführers eine gemeinsame Tochter zur Welt. Alle drei Familienmitglieder leben seither im gemeinsamen Haushalt. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 6. November 2007 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vom 9. Oktober 2003 abgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde seitens der Bundesministerin für Inneres mit Bescheid vom 25. März 2008 keine Folge gegeben. Es wurde festgestellt, dass gegen den Beschwerdeführer von der Polizeidirektion Ferrara (Italien) neben einer sofortigen Ausweisung auch ein zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot ausgesprochen worden war, weshalb dem Beschwerdeführer die Erteilung des Aufenthaltsrechtes gemäß §11 Abs1 Z2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (im Folgenden: NAG) versagt wurde.

2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 17. Februar 2009 wurde der Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl. I 100/2005, (im Folgenden: FPG) ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion Wien vom 20. März 2009 keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid bestätigt.

In ihrem Bescheid führte die belangte Behörde Folgendes aus:

"Der von der Erstbehörde erlassenen Ausweisung hält der Berufungswerber unter anderem entgegen, dass auf ihn unabhängig von der Ausübung der Freizügigkeitsberechtigung durch seine österreichische Ehefrau gemäß §87 FPG das zehnte Hauptstück des FPG anzuwenden sei. Dem ist zu erwidern, dass der Berufungswerber nicht geltend macht, dass seine Ehefrau das (gemeinschaftsrechtliche) Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen habe. Auch dem vorliegenden Verwaltungsakt ist kein Anhaltspunkt für eine Inanspruchnahme eines solchen Rechts zu entnehmen. Im Hinblick darauf begegnet auch die Beurteilung der Erstbehörde, dass sich der Berufungswerber unrechtmäßig in Österreich aufhalte und die Tatbestandsvoraussetzung des §53 Abs1 FPG erfüllt sei, keinem Einwand. ...

...

Der Berufungswerber hat am 08.10.2003 in Italien eine österreichische Staatsangehörige geheiratet. Seinen eigenen Angaben zufolge sei er im Juli 2007 [richtig wohl: 2004] nach Österreich eingereist. Gemeldet ist er allerdings erst seit 13.01.2005 im Bundesgebiet. Der Berufungswerber macht geltend mit seiner Gattin und dem gemeinsamen am 23.12.2005 in Wien geborenen Kind im gemeinsamen Haushalt zu leben. Da seine Gattin einer Beschäftigung nachgehe, kümmere er sich um die Betreuung des Kindes. In diesem Zusammenhang verweist er darauf, dass seine Gattin seit Jänner 1992 in derselben Wohnung wohne und seit Jahren in Wien erwerbstätig sei. Der gesamte Freundes- und Bekanntenkreis sowie die Familie seiner Gattin leben in Österreich. Die Fortsetzung eines gemeinsamen Familienlebens in Nigeria wäre daher nicht zumutbar. Überdies sei der Berufungswerber für seine Tochter eine zentrale Bezugsperson und eine Trennung von ihm würde für seine Tochter ein traumatisches Erlebnis darstellen. Zudem verweist er darauf, dass er mit seiner Gattin mitversichert sei und Deutschkurse an der Volkshochschule Favoriten besucht habe. Auch habe er in Österreich eine Ausbildung für das Führen von Staplern absolviert. Auf Grund all dieser Umstände ist ohne jeden Zweifel mit der vorliegenden Ausweisung ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers verbunden. Dieser Eingriff erweist sich jedoch als dringend geboten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen und deren Einhaltung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art8 Abs2 EMRK) ein besonders hoher Stellenwert zu. Diese Vorschriften wurden vom Berufungswerber angesichts der Tatsache, dass er anlässlich seiner Erstantragstellung im Jahre 2003 nicht den Ausgang des Verfahrens vom Ausland aus abwartete, sondern in weiterer Folge ohne entsprechenden Aufenthaltstitel nach Österreich einreiste, gravierend missachtet. Dazu kommt, dass sein für Österreich beantragter Aufenthaltstitel letztlich deswegen zwingend versagt werden musste, da gegen ihn mit Bescheid der Polizeidirektion Ferrara vom 20.03.2003 ein auf zehn Jahre befristetes Aufenthaltsverbot eines EWR-Staates erlassen worden war.

...

... Es stellt daher keinen unverhältnismäßigen Eingriff in

das durch Art8 EMRK geschützte Recht auf Privat- und Familienleben dar, von ihm den gesetzlich vorgeschriebenen Weg für eine Familienzusammenführung unter Einhaltung der Bestimmungen über die Antragstellung im Ausland zu verlangen. In diesem Zusammenhang darf seinem Einwand, nur er könne sein Kind betreuen, entgegnet werden, dass seinen eigenen Ausführungen zur Folge sich die gesamte Familie seiner Ehegattin im Bundesgebiet befindet. Es ist sohin kein Grund ersichtlich, dass ausschließlich der Berufungswerber sein Kind betreuen und seine Gattin während seines Auslandsaufenthaltes nicht dafür Sorge tragen könne, dass die Betreuung des gemeinsamen Kindes gewährleistet ist. Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass sich die Erlassung der Ausweisung als dringend geboten und zulässig im Sinn des §66 Abs1 leg.cit. erweist."

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde. In ihr begehrt der Beschwerdeführer die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides und behauptet, durch diesen in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Achtung des Privat- und Familienlebens, auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander sowie auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes verletzt worden zu sein.

4. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, auf die Erstattung einer Gegenschrift jedoch verzichtet.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhalts (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

2. Ein solches willkürliches Verhalten ist der belangten Behörde vorzuwerfen:

2.1. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 16. Dezember 2009, G244/09 ua., festgestellt hat, ist, wenn ein Angehörigenverhältnis zwischen einem Drittstaatsangehörigen und einem Österreicher begründet wurde,

"für das Aufenthaltsrecht des Drittstaatsangehörigen ausschlaggebend, ob der Österreicher von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er eines seiner Rechte gemäß Art18 und 39 ff. EG im EWR-Raum außerhalb Österreichs ausübt oder ausgeübt hat (vgl. EuGH 1.4.2008, Rs. C-212/06, Gouvernement de la Communaute française, Gouvernement wallon/Gouvernement flamand, Rz 37). Hat der Österreicher von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht, genießt sein Angehöriger gemäß §§54-57 NAG ein Aufenthaltsrecht in Österreich, wobei es keine Rolle spielt, wie der Drittstaatsangehörige in das Bundesgebiet gelangt ist oder wann das Angehörigenverhältnis begründet wurde."

Gemäß §53 Abs1 FPG können Fremde mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten. Die Ausweisung eines Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers, der sein Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, ist demgegenüber gemäß §86 Abs2 FPG nur dann möglich, wenn dem begünstigten Drittstaatsangehörigen aus Gründen des §55 Abs1 NAG das Niederlassungsrecht fehlt. Auch entscheiden gemäß §9 Abs1 Z1 FPG über Berufungen gegen Entscheidungen nach dem FPG, sofern nichts anderes bestimmt ist, im Fall von begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern.

2.2. Die belangte Behörde hat jedoch dem Umstand der Heirat des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin in Rom und der Frage der Inanspruchnahme des Rechts auf Freizügigkeit durch die österreichische Ehefrau nahezu keine Bedeutung beigemessen. Die belangte Behörde brachte lediglich vor, dass der Berufungswerber nicht geltend gemacht habe, dass seine Ehefrau das Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte und aus dem Verwaltungsakt auch diesbezüglich kein Anhaltspunkt zu entnehmen sei. Ein solcher Anhaltspunkt lag jedoch mit der Heirat des Beschwerdeführers mit einer österreichischen Staatsbürgerin in Rom eindeutig vor.

Damit hat die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erlassen, ohne Ermittlungen zu der Frage, ob die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen hat, anzustellen. Da diese Ermittlungen aber mit Blick auf die anzuwendenden Gesetzesbestimmungen sowie die Frage der Zuständigkeit der belangten Behörde unabdingbar gewesen wären, hat die belangte Behörde den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

3. Der Bescheid war daher aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr einzugehen.

III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 220,- enthalten.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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