G48/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag (samt Eventualanträgen) wird zurückgewiesen.
Begründung:
1. Der Antragsteller ist 71 Jahre alt und seit dem Jahr 1984 niedergelassener Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Wien.
2. Der Antragsteller begehrt mit dem vorliegenden Individualantrag die gänzliche, in eventu die teilweise Aufhebung von §342 Abs1 Z10, §343 Abs2 Z7 und §647 Abs4 sowie die Aufhebung einer Wortfolge in §343 Abs2 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. 189/1955 idF des 4. Sozialrechts-Änderungsgesetz 2009 - 4. SRÄG 2009, BGBl. I 147/2009.
Nach Ansicht des Antragstellers verstoßen die angefochtenen Bestimmungen gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Erwerbsausübungsfreiheit, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie "auf Unterbleiben einer gesetzlichen Regelung, die dem aus dem Gleichheitssatz erfließenden Sachlichkeitsgebot und Verbot einer unsachlichen Ungleichbehandlung widerspricht, und auf Unterbleiben einer gesetzlichen Regelung, die gegen den aus dem Gleichheitssatz resultierenden Vertrauensschutz verstößt".
3. Mit dem 4. Sozialrechts-Änderungsgesetz 2009 - 4. SRÄG 2009, BGBl. I 147/2009, wurde in §342 Abs1 Z10 ASVG die Neuregelung geschaffen, wonach in den zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträgen für alle ab dem 1. Jänner 2010 (vgl. §647 Abs4 ASVG) geschlossenen Einzelverträge von Vertrags(zahn)ärztinnen und -(zahn)ärzten (Vertrags-Gruppenpraxen) und Dentisten/Dentistinnen eine Altersgrenze "längstens bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres" festzulegen ist. Dazu ergänzend normiert §343 Abs2 Z7 ASVG, dass das Vertragsverhältnis zwischen einem Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung ohne Kündigung im Fall des Erreichens der jeweils festgelegten Altersgrenze mit Ablauf des jeweiligen Kalendervierteljahres endet. Eine Vertrags-Gruppenpraxis kann das Erlöschen des Einzelvertrages in diesem Fall dadurch verhindern, dass sie innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des Kalendervierteljahres den betroffenen persönlich haftenden Gesellschafter aus der Vertrags-Gruppenpraxis ausschließt (§343 Abs2 vorletzter Satz ASVG). §342 Abs1 Z10 ASVG ist aufgrund der Übergangsvorschrift des §647 Abs4 erster Satz ASVG auf Einzelverträge von Vertrags(zahn)ärztinnen und -(zahn)ärzten (Vertrags-Gruppenpraxen) und Dentisten/Dentistinnen anzuwenden, die ab dem 1. Jänner 2010 geschlossen werden. Für vor dem 1. Jänner 2010 geschlossene Einzelverträge sind gemäß §647 Abs4 ASVG "in den Gesamtverträgen stufenweise Übergangsregelungen unter Berücksichtigung von Lebensalter und Vertrauensschutz vorzusehen."
Kommt bis zum Ablauf des 31. Dezember 2010 im jeweiligen Gesamtvertrag keine Einigung über die Altersgrenze zustande, so gilt das vollendete 70. Lebensjahr als Altersgrenze.
4. Der Antrag ist unzulässig:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).
Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
4.2. Der Antragsteller übersieht, dass sowohl §342 Abs1 Z10 ASVG als auch §343 Abs2 Z7 ASVG iVm §647 Abs4 ASVG lediglich eine Vorgabe für die Regelung im jeweiligen Gesamtvertrag schaffen und im Hinblick auf die Regelung für das Erlöschen der Einzelverträge auf diese im Gesamtvertrag "jeweils festgelegte Altersgrenze" abstellen. Auch für die vor dem 1. Jänner 2010 geschlossenen Einzelverträge (wie jenen des Antragstellers) wird für den Zeitraum ab 1. Jänner 2011 das 70. Lebensjahr nur unter der Bedingung als Altersgrenze mit der Rechtsfolge einer ipso iure Beendigung des Einzelvertrages eingeführt, dass bis zum 31. Dezember 2010 nicht durch Gesamtvertrag stufenweise Übergangsregelungen unter Berücksichtigung von Lebensalter und Vertrauensschutz zustande gekommen sind. Daraus ergibt sich, dass der Antragsteller derzeit durch die angefochtenen Regelungen weder unmittelbar noch aktuell in seiner Rechtssphäre betroffen ist und dass es ungewiss ist, ob sie sich überhaupt jemals unmittelbar auf seine Rechtssphäre auswirken werden.
5. Der Antrag (samt den gestellten Eventualanträgen) war daher schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.
6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.