B82/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger,
reiste am 13. Februar 2002 nach Österreich ein und stellte am selben Tag einen Asylantrag. Dieser wurde mit Bescheid des Asylgerichtshofes vom 2. Dezember 2008 im Instanzenzug abgewiesen. Am 3. April 2009 brachten der Beschwerdeführer, seine im Jahr 2006 nachgereiste Ehefrau und ihre zwei minderjährigen Söhne Anträge auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen beim Magistrat der Stadt Wien ein.
2. Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 16. November 2009 wurde der Beschwerdeführer gemäß §53 Abs1 Fremdenpolizeigesetz, BGBl. I 100/2005 (im Folgenden: FPG), aus dem Bundesgebiet ausgewiesen. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Dezember 2009 keine Folge gegeben. Die belangte Behörde führte darin Folgendes aus:
"Dem gegenständlichen Akteninhalt zufolge gelangte der Berufungswerber erstmalig am 13.02.2002 illegal in das Bundesgebiet und stellte am selben Tag einen Asylantrag beim Bundesasylamt - Außenstelle Traiskirchen, welcher im Instanzenzug abgewiesen wurde. Der Berufungswerber verfügt über keinen Aufenthaltstitel. Solcherart waren die Voraussetzungen zur Erlassung der Ausweisung - vorbehaltlich der Bestimmung des §66 FPG 2005 - im Grunde des §53 leg.cit. gegeben.
Der Berufungswerber macht geltend, sich seit 12.02.2002 in Österreich aufzuhalten. Seine Frau Valbone und seine Kinder Valbon und Valentin seien ebenfalls in Österreich aufhältig. Er arbeite seit 2002 legal in Österreich. Seine Kinder gingen in Österreich zur Schule. Es bestünden geordnete Verhältnisse, eine ortsübliche Unterkunft liege vor. Er sei stark integriert, unbescholten und habe nur eine geringe Bindung zum Heimatstaat. Die Ausweisung verstoße gegen Artikel 8 EMRK.
Einem Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung vom 28.04.2009 zufolge weist der Berufungswerber für folgende Zeiträume Beschäftigungszeiten auf:
20.02. bis 24.10.2002, 14.04. bis 30.09.2003, 19.04. bis 18.10.2004, 04.04. bis 30.09.2005, 20.10.2005 bis 16.01.2008, 03.03.2008 bis 24.04.2009.
Aktenkundig ist weiters, dass die Ehegattin und die Kinder des Berufungswerbers erst seit April 2006 im Bundesgebiet aufhältig sind. Ein von ihnen gestellter Asylantrag wurde ebenso am 05.12.2008 negativ beschieden. Die Kinder besuchen die Volksschule in Wien.
Vor diesem Hintergrund war von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers auszugehen. Der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers erweist sich zur Erreichung der im Art8 Abs2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiete des Fremdenwesens - jedoch als dringend geboten. Gerade den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrecherhaltung der öffentlichen Ordnung ein besonders hoher Stellenwert zu. Darüber hinaus ist der nicht bloß kurzfristige unrechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet im Anschluss an ein Asylverfahren zu berücksichtigen.
Der Berufungswerber hat unzweifelhaft auf massive und fortgesetzte Weise gegen fremdenrechtliche Bestimmungen verstoßen und dadurch seine Missachtung fremdenrechtlich bedeutsamer Normen klar und eindeutig zu erkennen gegeben. Darüber hinaus ist das ins Treffen geführte Privat- und Familienleben des Berufungswerbers in wesentlichen Punkten zu einem Zeitpunkt entstanden, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste.
Die erkennende Behörde vertritt zudem die Ansicht, dass in Anbetracht des Fehlens eines Niederlassungsrechtes die Ausweisung des Berufungswerbers gerechtfertigt ist. Im Übrigen ist die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration während des Asylverfahrens in ihrem Gewicht dadurch erheblich gemindert, dass dieser Aufenthalt aufgrund des (in der Folge abgewiesenen) Asylantrages lediglich vorläufig berechtigt war. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass auf dem Boden der im Bescheid getroffenen Feststellungen unter dem Blickwinkel des §21 NAG eine Legalisierung des Aufenthaltes des Berufungswerbers im Bundesgebiet vom Inland aus nicht in Betracht kommt (vergl. dazu VwGH-Erk. v. 14.06.2007, Zahl 2007/18/0278).
Unter den gegebenen Umständen ist der Berufungswerber nicht in der Lage, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet vom Inland aus zu legalisieren. Die damit bewirkte Beeinträchtigung des hoch zu veranschlagenden öffentlichen Interesses an der Wahrung eines geordneten Fremdenwesens ist daher von solchem Gewicht, dass die gegenläufigen privaten und familiären Interessen nicht höher zu bewerten sind, als das Interesse der Allgemeinheit an der Ausreise des Berufungswerbers aus dem Bundesgebiet. Es kann daher kein Zweifel bestehen, dass die Erlassung der Ausweisung dringend geboten und sohin zulässig im Sinne des §66 FPG 2005 ist (vgl. VwGH-Erk. vom 25.09.2007, Zl. 2007/18/0372).
Mangels sonstiger, besonderer zugunsten des Berufungswerbers sprechender Umstände sah die erkennende Behörde keine Veranlassung, von der Erlassung der Ausweisung im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Der Berufung war sohin keine Folge zu geben."
3. In der Beschwerde wird die Verletzung des Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander, auf ein faires Verfahren, auf Achtung des Privat- und Familienlebens iVm dem Diskriminierungsverbot sowie die Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen (§§21 und 43 ff. NAG) vorgebracht und u.a. die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt.
Die belangte Behörde habe die bei der Ausweisung zu berücksichtigenden Kriterien des §66 Abs2 FPG nicht beachtet. Damit habe sie dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt. Zudem sei die belangte Behörde überhaupt nicht auf das Berufungsvorbringen und den Inhalt der Asylakten bzw. des Antrages beim Magistrat der Stadt Wien auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung eingegangen, wodurch sie einen schwerwiegenden Verfahrensfehler begangen und gegen Art6 EMRK verstoßen habe. Auch sei die Erlassung einer Ausweisung während eines Verfahrens gemäß §44 Abs4 NAG unzulässig. Durch die Ausweisung würde die Familie ihren Zusammenhalt verlieren und müsste wahrscheinlich getrennt leben. Die Ausweisung würde zu großen psychischen und physischen Nachteilen für den Beschwerdeführer führen.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie den Ausführungen des Beschwerdeführers entgegentritt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Soweit die Beschwerde insofern verfassungsrechtliche Fragen berührt, als die Rechtswidrigkeit der den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften behauptet wird, lässt ihr Vorbringen vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (hinsichtlich der behaupteten Verfassungswidrigkeit der §§21 und 43 ff. NAG vgl. etwa VfSlg. 14.078/1995 und die dort zitierte Vorjudikatur zur Präjudizialität genereller Rechtsvorschriften) keine Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes oder in einem sonstigen Recht wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes erkennen.
2. Soweit jedoch eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens vorgebracht wird, erweist sich das Beschwerdevorbringen im Ergebnis als begründet:
2.1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht wäre dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hätte; ein solcher Fall läge nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hätte (vgl. VfSlg. 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
2.2. Ein derartiger in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist der belangten Behörde unterlaufen:
Im vorliegenden Fall hat die belangte Behörde die erstinstanzliche Ausweisung des Beschwerdeführers, der mit seiner Ehefrau und seinen zwei minderjährigen Söhnen im gemeinsamen Haushalt lebt, bestätigt.
Die belangte Behörde geht dabei zwar "von einem mit der Ausweisung verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Berufungswerbers" aus, bezieht jedoch die Ehefrau und die minderjährigen Söhne des Beschwerdeführers - trotz Wissens um das Bestehen eines aufrechten Familienverhältnisses - nicht in die im Lichte des Art8 EMRK durchzuführende Abwägung ein.
Dadurch, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer ausgewiesen hat, ohne den jeweiligen Aufenthaltsstatus seiner Kinder bzw. seiner Ehefrau in die Abwägung einzubeziehen, nimmt sie in Kauf, dass der Beschwerdeführer Österreich möglicherweise schon vor einer allfälligen Entscheidung über die Ausweisungen der übrigen Mitglieder seiner Kernfamilie verlassen muss. Dadurch wird der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens jedoch verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
III. 1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 VfGG; im zugesprochenen Betrag sind Umsatzsteuer in Höhe von € 400,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 220,- enthalten.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.