JudikaturVfGH

B155/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Juni 2010

Spruch

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. 1.1. Mit Bescheid des Disziplinarrates der

Rechtsanwaltskammer Wien vom 12. Dezember 2008 wurde der Disziplinarbeschuldigte der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt und zur Streichung von der Liste der Rechtsanwälte verurteilt. Er soll sich von einem unbekannten Zeitpunkt an bis Juli 1995 ein ihm als bevollmächtigtem Rechtsanwalt und Treuhänder anvertrautes Gut in einem ATS 500.000,- übersteigenden Wert dadurch, dass er diese nicht an den Treugeber ablieferte, sondern für eigene Zwecke verwendete, mit dem Vorsatz, sich unrechtmäßig zu bereichern, zugeeignet haben.

1.2. Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 12. Oktober 2009 dahin Folge gegeben, dass die verhängte Disziplinarstrafe für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

1.3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde der Rechtsanwaltskammer Wien (Erstbeschwerdeführerin), des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer (Zweitbeschwerdeführer) Wien und des Kammeranwaltes der Rechtsanwaltskammer Wien (Drittbeschwerdeführer), in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art7 Abs1, 18 Abs1 und 83 Abs2 B-VG sowie gemäß Art6 und 7 EMRK geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

1.4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete keine Gegenschrift.

2. Zur Zulässigkeit der Beschwerde bzw. zur Beschwerdelegitimation der Beschwerdeführer wird ausgeführt:

"2. Die Erstbeschwerdeführerin ist eine öffentlich-rechtliche Körperschaft und die gesetzliche Interessenvertretung der Rechtsanwälte, die ihren Kanzleisitz in Wien haben. Ihr obliegt insbesonders die Wahrung der Ehre des Ansehens, der Rechte und der Unabhängigkeit sowie die Überwachung und Wahrung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes.

Die Liste der in Wien eingetragenen Rechtsanwälte (§23 RAO) wird durch den Ausschuß der Beschwerdeführerin (§22 RAO) geführt; in Disziplinarverfahren ist der Kammeranwalt gegenständlich von Amts wegen (allenfalls auch im Auftrag des Ausschusses) berufen, für die Erfüllung der Berufspflichten und für die Wahrung von Ehre und Ansehen des Berufsstandes einzutreten und sich an den Disziplinarverfahren zu beteiligen (§§5, 10, 21, 22 DSt).

Die Beschwerdeführer sind daher antragslegitimiert. Rein vorsorglich für den Fall, dass trotz §24 VfGG der Verfassungsgerichtshof der Meinung sein sollte, dass die Erstbeschwerdeführerin nur als reine Rechtsträgerin fungieren sollte und lediglich die Organe derselben aktiv antragslegitimiert seien, erheben die zuständigen Organe, nämlich der Ausschuß der Rechtsanwaltskammer Wien und der für die Disziplinarangelegenheiten berufene Kammeranwalt die vorliegende Beschwerde auch im eigenen Namen als Organe der Beschwerdeführerin. Die Berechtigung als Beschwerdeführer zu agieren, ergibt sich aus der RAO sowie dem

Disziplinarstatut BGBl. 474/90 idF. BGBl. I 2008/68 ... und dem

verfassungsimmanenten Gebot der Waffengleichheit."

II. Die Beschwerde ist nicht zulässig:

1.1. Gemäß Art144 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über Beschwerden gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden einschließlich der unabhängigen Verwaltungssenate, sofern der Beschwerdeführer behauptet, durch den Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt zu sein. Zur Erhebung einer solchen Beschwerde ist nur berechtigt, wer durch den angefochtenen Bescheid in irgendeinem subjektiven Recht verletzt worden sein kann (zB VfSlg. 11.764/1988 mwN). Die Einräumung eines Beschwerderechts an den Verfassungsgerichtshof ohne Vorliegen dieser Voraussetzung bedürfte (anders als nach Art131 Abs2 B-VG im verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren) einer verfassungsgesetzlichen Grundlage (vgl. VfSlg. 17.220/2004).

1.2. Gemäß §22 Abs1 und 2 Rechtsanwaltsordnung, RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 141/2009, (im Folgenden: RAO) sind die Rechtsanwaltskammern Körperschaften des öffentlichen Rechtes und werden durch sämtliche in die Liste eingetragenen Rechtsanwälte, die in dem derzeit bestehenden Sprengel jeder Kammer ihren Kanzleisitz haben, sowie durch sämtliche bei diesen in praktischer Verwendung stehenden und in die Liste der Rechtsanwaltsanwärter eingetragenen Rechtsanwaltsanwärter gebildet. Der Wirkungsbereich der Rechtsanwaltskammer erstreckt sich gemäß §23 Abs1 RAO auf das Bundesland, für das sie errichtet wurde, sowie auf alle Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, die in die Listen dieser Rechtsanwaltskammer eingetragen sind. §23 Abs2 RAO legt fest, dass die Rechtsanwaltskammer innerhalb ihres Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der der Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter wahrzunehmen, zu fördern und zu vertreten hat. Dabei obliegt der Rechtsanwaltskammer insbesondere die Wahrung der Ehre, des Ansehens und der Unabhängigkeit des Rechtsanwaltsstandes sowie die Wahrung der Rechte und die Überwachung der Pflichten ihrer Mitglieder.

1.3. Zur Ausübung der Disziplinargewalt ist gemäß §20 Abs1 des Disziplinarstatutes für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl. 474/1990 idF BGBl. I 141/2009, (im Folgenden: DSt) der Disziplinarrat derjenigen Rechtsanwaltskammer zuständig, bei der der Beschuldigte in dem Zeitpunkt, in dem der Kammeranwalt vom Verdacht des Disziplinarvergehens Kenntnis erlangt, in die Liste der Rechtsanwälte oder Rechtsanwaltsanwärter eingetragen ist. Gemäß Abs2 leg.cit. schreitet der Disziplinarrat auf Antrag des Kammeranwalts ein und führt sodann das Verfahren von Amts wegen. Gegen Entscheidungen des Disziplinarrates können gemäß §47 DSt der Beschuldigte, der Kammeranwalt und die Oberstaatsanwaltschaft, in deren Sprengel der Disziplinarrat seinen Sitz hat, das Rechtsmittel der Berufung oder Beschwerde an die OBDK erheben. Gegen Erkenntnisse der OBDK kann durch den Disziplinarbeschuldigten gemäß Art144 B-VG Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden, wogegen die Erhebung einer Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde gemäß Art133 Z4 B-VG ausgeschlossen ist.

2.1. Der Erstbeschwerdeführerin wird durch die unter Punkt II.1.2. und II.1.3. wiedergegebenen Normen keine Parteistellung in einem Disziplinarverfahren eingeräumt. Vielmehr werden in einem Disziplinarverfahren die Überwachung der Pflichten eines Rechtsanwaltes und die Sicherstellung der Nichtbeeinträchtigung von Ehre und Ansehens des Rechtsanwaltsberufes vom Disziplinarrat bzw. vom Kammeranwalt wahrgenommen. Da die Erstbeschwerdeführerin in einem Disziplinarverfahren keine Parteistellung hat, kommt ihr auch als Selbstverwaltungskörper kein subjektives Recht auf rechtmäßige Entscheidung der OBDK in einem Disziplinarverfahren zu, weshalb es ihr an der Beschwerdelegitimation im Sinne des Art144 B-VG mangelt (vgl. VfSlg. 14.575/1995). Auch aus Art120b Abs1 B-VG ist eine Beschwerdelegitimation der Erstbeschwerdeführerin im Sinne des Art144 B-VG in einem Disziplinarverfahren nicht ableitbar.

Wenn in der Beschwerde ausgeführt wird, §24 VfGG räume der Erstbeschwerdeführerin ein subjektives Recht auf rechtmäßige Entscheidung ein, ist ihr entgegenzuhalten, dass diese Bestimmung die Vertretung des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände, der Stiftungen, Fonds und Anstalten und der sonstigen Selbstverwaltungskörperschaften in Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zum Inhalt hat, nicht aber die Beschwerdelegitimation dieser Rechtsträger gemäß Art144 B-VG regelt.

2.2. Die Legitimation zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art144 B-VG zur Voraussetzung, dass der angefochtene Bescheid in die Rechtssphäre des Beschwerdeführers eingreift (vgl. Punkt II.1.1.). Der Zweit- und Drittbeschwerdeführer, die ausdrücklich im eigenen Namen Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben haben, sind Organe der Rechtsanwaltskammer Wien bzw. des Disziplinarrates. Für ein Organ eines Rechtsträgers kann die Legitimation zur Beschwerdeführung in einem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde mangels Möglichkeit der Verletzung eines subjektiven Rechtes nicht aus Art144 Abs1 B-VG abgeleitet werden. Es besteht auch keine sonstige Verfassungsnorm, die dem Organ eines Rechtsträgers unmittelbar die Legitimation zur Erhebung einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof einräumt. Daher sind der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer Wien und der Disziplinaranwalt in ihrer Eigenschaft als Organe zur Erhebung einer auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht legitimiert (vgl. VfSlg. 13.429/90, 15.079/1998, 17.234/2004, 17.838/2006; VfGH 30.11.2009, B1298/09).

3. Die Beschwerde war daher mangels Legitimation zurückzuweisen (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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