JudikaturVfGH

U3130/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
24. Juni 2010

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Entscheidung wird im angefochtenen Umfang aufgehoben.

Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger,

stellte am 3. April 2004 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 28. Juni 2004 gemäß §7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 zulässig ist und wies den Beschwerdeführer gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.

Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde mit der Entscheidung des Asylgerichtshofes durch eine Einzelrichterin vom 19. November 2009 - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 1. März 2005 sowie am 14. Oktober 2009 - gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 nicht zulässig ist und gemäß §8 Abs3 AsylG 1997 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 18. November 2010 erteilt.

2. Die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes in Bezug auf die Einzelrichterzuständigkeit lauten wie folgt:

"Gemäß §75 Abs7 AsylG 2005 sind am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

Mitglieder des Unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

...

Zwar ist das gegenständliche Verfahren gemäß §75 Abs1 AsylG 2005 nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 (AsylG) zu Ende zu führen, im welchem der Asylgerichtshof keine Erwähnung findet, dennoch ist aus den bereits im Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 12.08.2008, GZ. C5 251212-0/2008/11E, dargelegten Argumenten von einer sinngemäßen Anwendung des §75 Abs7 AsylG 2005 und sonstiger im AsylG 2005 enthaltener, auf den Asylgerichtshof bezogener Verfahrensbestimmungen in sogenannten - nach dem Asylgesetz 1997 (AsylG) fortzuführenden - Altverfahren auszugehen. Demnach hat über die vorliegende Beschwerde unter sinngemäßer Anwendung von §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 der Asylgerichtshof, und zwar durch einen Einzelrichter zu entscheiden. Die Voraussetzungen der zitierten Z1 sind deshalb erfüllt, weil bereits vor dem 01.07.2008 eine Verhandlung vor dieser nunmehrigen Einzelrichterin stattgefunden hatte, die damals Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates war und nunmehr zur Richterin des Asylgerichthofes ernannt wurde."

3. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofes (und zwar nur gegen Spruchpunkt I der Entscheidung, mit dem der Antrag des Beschwerdeführers gemäß §7 AsylG 1997 abgewiesen wurde) richtet sich die vorliegende, auf Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt wird.

4. Der belangte Asylgerichtshof legte die Verwaltungs- und Gerichtsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er unter Verweis auf den Untersuchungsbericht des Bundeskriminalamtes vom 20. Mai 2009 dem Beschwerdevorbringen entgegentritt.

II. Die für das Verfahren maßgebliche Rechtslage stellt sich wie

folgt dar:

1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I 4/2008 idgF, lautet:

"Senate und Kammersenate

§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.

(2) bis (5) ..."

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 idgF, (im Folgenden: AsylG 2005) lauten:

"Asylgerichtshof

§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs3 oder 3a vorgesehen ist, durch Einzelrichter über

(2) ...

(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen

1. zurückweisende Bescheide

...

Übergangsbestimmungen

(7) Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:

1. Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.

2. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.

3. ...

(8) bis (14) ..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).

Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und VfGH vom 9.12.2008, B1110/08). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt einem Senat ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.

2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:

2.1. Neben der Einzelrichterzuständigkeit in den Fällen des '61 Abs3 AsylG 2005 sieht die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 vor, dass am 1. Juli 2008 beim Unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach der Maßgabe weiterzuführen sind, dass die Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen haben. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. November 2008, U97/08, Folgendes ausgesprochen:

"§75 Abs7 Z1 AsylG 2005 soll ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. Für diese überschaubare Zahl von Übergangsfällen ist festzustellen, dass der Gesetzgeber an ein Verfahrensstadium anknüpft, in dem bereits - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - eine entscheidungsreife Rechtssache vorliegt. Eine Übergangsbestimmung dieser Art, die - wie erwähnt - auf das fortgeschrittene Verfahrensstadium und die Identität des zur Entscheidung berufenen Organwalters abstellt, ist verfassungsrechtlich noch unbedenklich."

2.2. Im vorliegenden Fall fand am 1. März 2005 - also vor dem 1. Juli 2008 - vor dem zuständigen Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates eine mündliche Verhandlung statt. In dieser erklärte sich der Beschwerdeführer damit einverstanden, dass "...weitere Ermittlungen getätigt werden" (vgl. Seite 8 der Verhandlungsschrift vom 1. März 2005). Anschließend wurde die Verhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.

Am 14. Oktober 2009, also nach mehr als vier Jahren nach der ersten Verhandlung, fand erneut vor dem zuvor für das Verfahren beim unabhängigen Bundesasylsenat zuständigen Mitglied, welches mittlerweile zur Richterin des Asylgerichtshofes ernannt worden war, eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes durch die Einzelrichterin vom 19. November 2009 wurde schließlich die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 28. Juni 2004 erhobene Beschwerde mit der Maßgabe abgewiesen, dass gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia für nicht zulässig erklärt wurde und gemäß §8 Abs3 leg.cit diesem eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 18. November 2010 erteilt wurde.

Im vorliegenden Fall hat demnach zwar bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der später entscheidenden Richterin des Asylgerichtshofes stattgefunden. Daraus alleine kann jedoch nicht auf eine Einzelrichterzuständigkeit geschlossen werden.

Wie der Verfassungsgerichthof nämlich schon in seinem Erkenntnis vom 6. November 2008, U97/08, festgestellt hat, soll die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. In Fällen, welche unter die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 fallen, muss daher - bei verfassungskonformer Interpretation der Bestimmung - bereits eine "entscheidungsreife Rechtssache" vorliegen.

Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, was sich einerseits aus der Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 1. März 2005 auf unbestimmte Zeit, und andererseits aus der Notwendigkeit der neuerlichen Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung am 14. Oktober 2009 ergibt. Daraus geht vielmehr hervor, dass die erkennende Einzelrichterin nach dem 1. Juli 2008 nicht an ein Verfahrensstadium anknüpfen konnte, in dem bereits eine "entscheidungsreife Rechtssache" vorgelegen ist, weshalb der Asylgerichtshof nicht durch eine Einzelrichterin, sondern in einem Senat zu entscheiden gehabt hätte.

Der belangte Asylgerichtshof hat demnach durch die Entscheidung durch eine Einzelrichterin den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.

3. Die Entscheidung war daher im angefochtenen Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.

4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie der Ersatz der gemäß §17a VfGG entrichteten Eingabengebühr in Höhe von € 220,- enthalten.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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