U2197/09 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das BVG BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 1.320,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin, eine am 9. Mai 1948 geborene
armenische Staatsbürgerin, stellte am 30. Dezember 2003 einen Antrag auf Asylerstreckung und bezog sich dabei auf die Fluchtgründe ihres Ehegatten. Ihren Asylerstreckungsantrag begründete sie damit, dass ihr in Armenien Verfolgung durch die Polizei und das Militär drohe. Man erhoffe sich, von ihr Informationen über den Aufenthaltsort ihres Sohnes zu bekommen. Es sei bereits zu Anhaltungen gekommen, im Zuge derer die Beschwerdeführerin misshandelt und vergewaltigt worden sei. Bei der Vergewaltigung sei ihr auch der Knöchel gebrochen worden.
2. Das Bundesasylamt (im Folgenden: BAA) wies den Antrag mit Bescheid vom 29. März 2005 gemäß §§10, 11 Asylgesetz 1997, BGBl. I 76/1997 "idgF" (im Folgenden: AsylG 1997), ab. In diesem Bescheid wird das Vorbringen, wie unter I.1. geschildert, zwar wortwörtlich wiedergegeben, eine Auseinandersetzung damit bleibt aber aus.
3. Die dagegen erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) vom 18. April 2005 hat der Asylgerichtshof mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 2. Juli 2009 gemäß §§10, 11 AsylG 1997 abgewiesen.
4. Gegen diese Entscheidung des Asylgerichtshofs richtet sich die auf Art144a B-VG, BGBl. I 2/2008, gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 23. Oktober 2009. Die Beschwerdeführerin macht darin die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. 390/1973 sowie nach Art8 EMRK geltend und beantragt die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Die Beschwerdeführerin leide unter einer Angstsymptomatik und befände sich derzeit in medizinischer, teilweise auch in stationärer Behandlung.
5. Der Asylgerichtshof hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die gesammelten Verfahrensakten übermittelt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:
1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist. Eine Verletzung dieses Grundrechts liegt unter anderem vor, wenn die Behörde Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
2. Ein solches willkürliches Verhalten ist dem belangten Asylgerichtshof vorzuwerfen:
2.1. Gemäß dem - aus dem Blickwinkel des Falles verfassungsrechtlich unbedenklichen - §23 AsylGHG sind auf das Verfahren vor dem Asylgerichtshof die Bestimmungen des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, dass an die Stelle des Begriffs "Berufung" der Begriff "Beschwerde" tritt. Nach §60 AVG sind in der Begründung eines Bescheides die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammenzufassen.
Der Asylgerichtshof ist - ungeachtet der sinngemäßen Anwendbarkeit des AVG - nicht als Berufungsbehörde eingerichtet. Anders als die Unabhängigen Verwaltungssenate und insbesondere auch der Unabhängige Bundesasylsenat ist der Asylgerichtshof nicht eine Verwaltungsbehörde, sondern ein Gericht; anders als die Bescheide jener Behörden unterliegen seine Entscheidungen nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verwaltungsgerichtshofes.
Bereits aus diesen Unterschieden wird deutlich, dass die zu §67 iVm §60 AVG ergangene Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Berufungsbehörde berechtigt ist, näher bezeichnete Teile des angefochtenen Bescheides zum Inhalt ihrer Entscheidung zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (zB VwGH 4.10.1995, 95/01/0045; 24.11.1999, 99/01/0280; 8.3.1999, 98/01/0278; 25.3.1999, 98/20/0559; 30.11.2000, 2000/20/0356), auf Entscheidungen des Asylgerichtshofes nicht übertragbar ist.
Mag eine entsprechende Verweisung auf unterinstanzliche Bescheide in Bescheiden von Berufungsbehörden noch im Interesse der Verfahrensökonomie gelegen sein, so ist diese Begründungstechnik dann nicht mehr hinnehmbar, wenn die verweisende Entscheidung von einem (nicht im Instanzenzug übergeordneten) Gericht erlassen wird, welches überdies seinerseits nicht mehr der Kontrolle durch ein weiteres Gericht unterliegt.
Es widerspricht auch grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichts, wenn sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006; VfGH 3.12.2008, U131/08).
2.2. Das Erkenntnis des Asylgerichtshofes enthält keine wie auch immer gearteten Feststellungen zur eigenen Fluchtgeschichte der Beschwerdeführerin, sondern begnügt sich mit dem lapidaren Verweis auf das Verfahren des Ehemanns der Beschwerdeführerin. Wie sich aber aus dem Bescheid des BAA und den vorliegenden Gerichts- und Verwaltungsakten ergibt, schilderte die Beschwerdeführerin sehr wohl eine eigene Fluchtgeschichte, deren Würdigung unter Außerachtlassung des §11 Abs2 AsylG 1997 völlig unterbleibt. Auch ist nicht erkenntlich, welche Länderfeststellungen dem Vertreter der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 23. März 2009 übermittelt worden sein sollen.
3. Dieses Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in mehreren entscheidungswesentlichen Punkten führt dazu, dass die Beschwerdeführerin in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt ist.
4. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88 VfGG. Jedoch ist zu beachten, dass im gegenständlichen Fall eine Beschwerde für insgesamt zwei Beschwerdeführer zu zwei gleichartigen Erkenntnissen des Asylgerichtshofs (U 2197, 2198/09) eingebracht wurde, die mittels getrennter Erkenntnisse zu entscheiden ist. Hier gebührt insgesamt nur ein Pauschalsatz in Höhe von € 2.000,--. Ein Streitgenossenzuschlag in der Höhe von € 200,-- ist dennoch zu gewähren (vgl. VfSlg. 14.788/1997; VfGH 26.6.1998, B259/96 ua; 12.12.2001, B1798/00 ua.). Beiden Beschwerdeführern ist somit jeweils die Hälfte der gesetzlich zustehenden Kosten von insgesamt € 2.640,-- zuzusprechen. In den jeweils zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 220,--, insgesamt € 440,--, enthalten.
Eine mündliche Verhandlung war entbehrlich (§19 Abs4 erster Satz VfGG).