JudikaturVfGH

G79/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
29. September 2010

Spruch

Der Antrag (samt Eventualanträgen) wird zurückgewiesen.

Begründung:

1. Die Antragstellerin ist Ärztin für Allgemeinmedizin und vollendet am 27. November 2010 das 70. Lebensjahr. Ihren Angaben zufolge war sie zwischen 1981 und 1985 in Wien als Kassenärztin tätig, seit 1985 führt sie in Guntramsdorf eine Kassenordination. Ihre derzeitige Ordination bezog sie im Jahr 2001.

2. Die Antragstellerin begehrt mit dem vorliegenden Individualantrag die gänzliche, in eventu die teilweise Aufhebung von §342 Abs1 Z10 ASVG, §343 Abs2 Z7 ASVG sowie §647 Abs4 ASVG, BGBl. 189/1955 idF des 4. Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2009 - 4. SRÄG 2009, BGBl. I 147.

Nach Ansicht der Antragstellerin verstößt die Einführung einer Altersgrenze im Gesamtvertrag gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Erwerbsausübungsfreiheit, auf Achtung des Privatlebens und auf Unversehrtheit des Eigentums. In eventu behauptet sie, die vorgesehene höchstmöglichste Altersgrenze von 70 Jahren verstoße gegen diese Rechte, sowie auch gegen das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht aller Staatsbürger auf Gleichheit vor dem Gesetz, in eventu, die einjährige Übergangsfrist von nur einem Jahr (§647 Abs4 letzter Satz ASVG) verstoße gegen diese Rechte.

3. Mit dem 4. Sozialrechts-Änderungsgesetz 2009 - 4. SRÄG 2009, BGBl. I 147/2009, wurde in §342 Abs1 Z10 ASVG die Neuregelung geschaffen, wonach in den zwischen dem Hauptverband und den Ärztekammern abzuschließenden Gesamtverträgen für alle ab dem 1. Jänner 2010 (vgl. §647 Abs4 ASVG) geschlossenen Einzelverträge von Vertrags(zahn)ärztinnen und -(zahn)ärzten (Vertrags-Gruppenpraxen) und Dentisten/Dentistinnen eine Altersgrenze "längstens bis zur Vollendung des 70. Lebensjahres" festzulegen ist. Dazu ergänzend normiert §343 Abs2 Z7 ASVG, dass das Vertragsverhältnis zwischen einem Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung ohne Kündigung im Fall des Erreichens der jeweils festgelegten Altersgrenze mit Ablauf des jeweiligen Kalendervierteljahres endet. Eine Vertrags-Gruppenpraxis kann das Erlöschen des Einzelvertrages in diesem Fall dadurch verhindern, dass sie innerhalb von vier Wochen nach Ablauf des Kalendervierteljahres den betroffenen persönlich haftenden Gesellschafter aus der Vertrags-Gruppenpraxis ausschließt (§343 Abs2 vorletzter Satz ASVG). §342 Abs1 Z10 ASVG ist aufgrund der Übergangsvorschrift des §647 Abs4 erster Satz ASVG auf Einzelverträge von Vertrags(zahn)ärztinnen und -(zahn)ärzten (Vertrags-Gruppenpraxen) und Dentisten/Dentistinnen anzuwenden, die ab dem 1. Jänner 2010 geschlossen werden. Für vor dem 1. Jänner 2010 geschlossene Einzelverträge sind gemäß §647 Abs4 ASVG "in den Gesamtverträgen stufenweise Übergangsregelungen unter Berücksichtigung von Lebensalter und Vertrauensschutz vorzusehen."

Kommt bis zum Ablauf des 31. Dezember 2010 im jeweiligen Gesamtvertrag keine Einigung über die Altersgrenze zustande, so gilt das vollendete 70. Lebensjahr als Altersgrenze.

4. Der Antrag ist unzulässig:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

4.2. Die Antragstellerin übersieht, dass sowohl §342 Abs1 Z10 ASVG als auch §343 Abs2 Z7 ASVG iVm §647 Abs4 ASVG lediglich eine Vorgabe für die Regelung im jeweiligen Gesamtvertrag schaffen und im Hinblick auf die Regelung für das Erlöschen der Einzelverträge auf diese im Gesamtvertrag "jeweils festgelegte Altersgrenze" abstellen. Auch für die vor dem 1. Jänner 2010 geschlossenen Einzelverträge (wie jenen der Antragstellerin) wird für den Zeitraum ab 1. Jänner 2011 das 70. Lebensjahr nur unter der Bedingung als Altersgrenze mit der Rechtsfolge einer ipso iure Beendigung des Einzelvertrages eingeführt, dass bis zum 31. Dezember 2010 nicht durch Gesamtvertrag stufenweise Übergangsregelungen unter Berücksichtigung von Lebensalter und Vertrauensschutz zustande gekommen sind. Daraus ergibt sich, dass die Antragstellerin derzeit durch die angefochtenen Regelungen weder unmittelbar noch aktuell in ihrer Rechtssphäre betroffen ist und dass es ungewiss ist, ob sie sich überhaupt jemals unmittelbar auf ihre Rechtssphäre auswirken werden (vgl. den in einem gleichgelagerten Fall ergangenen Zurückweisungsbeschluss des Gerichtshofes vom 8. Juni 2010, G48/10).

5. Der Antrag (samt den gestellten Eventualanträgen) war daher schon aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

6. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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