G243/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Begründung:
I. 1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten
Antrag vom 22. September 2009 begehrt die antragstellende Gesellschaft, in §28b Abs2 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG), BGBl. 218/1975 in der Fassung BGBl. I 68/2002, das Wort "entweder" sowie weiters die Wortfolge "oder gegen ein verantwortliches Organ (§9 Abs1 VStG) oder einen verantwortlichen Beauftragten (§9 Abs2 oder 3 VStG)", in eventu die Wortfolge "oder gegen ein verantwortliches Organ (§9 Abs1 VStG)", in eventu in §72 Abs1 Satz 2 des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2006 - BVergG), BGBl. I 17/2006 in der Fassung BGBl. I 86/2007, die Wortfolge "und deren Subunternehmern", in eventu das Wort "Bewerbern," sowie die Wortfolge "und deren Subunternehmern", in eventu die Wort- und Zeichenfolge ", Bietern und deren Subunternehmern", als verfassungswidrig aufzuheben.
2. §28b des Bundesgesetzes vom 20. März 1975, mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG), lautet wie folgt (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):
"Zentrale Verwaltungsstrafevidenz
§28b. (1) Der Bundesminister für Finanzen hat öffentlichen Auftraggebern für die Zwecke der Auftragsvergabe auf Verlangen binnen zwei Wochen Auskunft darüber zu geben, ob dem im Auskunftsersuchen genannten Unternehmen (Bewerber, Bieter, Subunternehmer) eine rechtskräftige Bestrafung gemäß §28 Abs1 Z1 zuzurechnen ist. In dieser Auskunft ist entweder die Anzahl der nach Abs2 zu berücksichtigenden Bestrafungen einschließlich der maßgeblichen Daten der Strafbescheide (Strafbehörde, Aktenzahl, Bescheid- und Rechtskraftdatum, Name und Geburtsdatum des Bestraften, Tatzeit, Zahl der beschäftigten Ausländer, verhängte Geldstrafen) anzugeben oder festzustellen, dass keine zu berücksichtigende Bestrafung vorliegt.
(2) Eine Bestrafung gemäß §28 Abs1 Z1 ist dem im Auskunftsersuchen genannten Unternehmen zuzurechnen, wenn diese Bestrafung entweder gegen den Bewerber, Bieter oder Subunternehmer selbst oder gegen ein verantwortliches Organ (§9 Abs1 VStG) oder einen verantwortlichen Beauftragten (§9 Abs2 oder 3 VStG) rechtskräftig verhängt wurde. Die erste registrierte rechtskräftige Bestrafung ist dabei nicht zu berücksichtigen. Die zweite Bestrafung ist nach Ablauf eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft, jede weitere jeweils nach Ablauf von zwei Jahren nach Eintritt der Rechtskraft nicht mehr zu berücksichtigen. Rechtskräftige Bestrafungen wegen unberechtigter Beschäftigung mehrerer Ausländer zählen als eine Bestrafung, wenn diese Ausländer gleichzeitig oder in zeitlichem Zusammenhang am selben Ort beschäftigt wurden.
(3)-(4) ..."
3. §72 Abs1 des Bundesgesetzes über die Vergabe von Aufträgen (Bundesvergabegesetz 2006 - BVergG), BGBl. I 17/2006 in der Fassung BGBl. I 86/2007, lautet wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Nachweis der beruflichen Zuverlässigkeit
§72. (1) Als Nachweis für die berufliche Zuverlässigkeit gemäß §70 Abs1 Z2 hat der Auftraggeber von Unternehmern den Nachweis zu verlangen, dass kein Ausschlussgrund gemäß §68 Abs1 vorliegt. Der Auftraggeber hat überdies von für die Zuschlagserteilung in Betracht kommenden Bewerbern, Bietern und deren Subunternehmern eine Auskunft aus der zentralen Verwaltungsstrafevidenz des Bundesministers für Finanzen gemäß §28b des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975, einzuholen, ob diesen eine rechtskräftige Bestrafung gemäß §28 Abs1 Z1 AuslBG zuzurechnen ist. Diese Auskunft darf nicht älter als sechs Monate sein."
4. Zur Antragslegitimation bringt die antragstellende Gesellschaft Folgendes vor:
Die antragstellende Gesellschaft sei durch die bekämpften Normen unmittelbar, ohne Dazwischentreten einer gerichtlichen Entscheidung oder eines Bescheides in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt: Ihr stehe weder gegen die verwaltungsrechtliche Bestrafung eines ihrer (allenfalls auch ehemaligen) verantwortlichen Organe nach dem AuslBG noch gegen die - im Rahmen der Auskunftserteilung durch den Bundesminister für Finanzen gemäß §72 Abs1 BVergG 2006 erfolgende - Zurechnung dieser Bestrafung ein Rechtsmittel zu. Bei der Auskunftserteilung aus der zentralen Verwaltungsstrafevidenz nach §28b Abs1 AuslBG handle es sich um keinen Bescheid, sondern um einen Realakt; die Einstufung als Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt komme nicht in Betracht, daher bestünde weder die Möglichkeit der Erhebung einer Berufung mit nachfolgender Bescheidbeschwerde an den Verfassungsgerichtshof noch die Möglichkeit der Einbringung einer Maßnahmebeschwerde an den Unabhängigen Verwaltungssenat. Ihr stehe somit kein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung, ihre Bedenken gegen die angefochtenen Normen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.
Sodann behauptet die antragstellende Gesellschaft mit näherer Begründung einen Verstoß der angefochtenen Wortfolgen gegen die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf ein faires Verfahren, Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, Unversehrtheit des Eigentums sowie Freiheit der Erwerbsbetätigung.
5. Die Bundesregierung erstattete fristgerecht eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Anträge als unzulässig zurückweisen, in eventu aussprechen, dass die angefochtenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden.
Die Bundesregierung führt in ihrer Äußerung aus, dass die Anträge, soweit diese sich auf die Aufhebung von Wortfolgen in §28b Abs1 AuslBG richten, mangels eines aktuellen Eingriffs in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft unzulässig seien:
Mit Bescheid vom 12. Oktober 2009, Z MBA 16-S 315/08, sei das gegen den damaligen Geschäftsführer der antragstellenden Gesellschaft erlassene Straferkenntnis betreffend eine Übertretung nach §28 Abs1 Z1 iVm §3 Abs1 AuslBG von Amts wegen aufgehoben worden sowie gemäß §45 Abs1 Z2 VStG von der Fortführung des Strafverfahrens abgesehen und dessen Einstellung verfügt worden. Dieser Bescheid sei am 4. November 2009 in Rechtskraft erwachsen. Die Löschung der Bestrafung in der zentralen Verwaltungsstrafevidenz sei am 18. November 2009 erfolgt. Der Bundesminister hätte daher derzeit gemäß §28b Abs2 Satz 2 AuslBG bei der Einholung einer Auskunft durch einen öffentlichen Auftraggeber festzustellen, dass keine zu berücksichtigende Bestrafung vorliege.
Ebenso seien die Anträge, soweit sie auf Aufhebung von Wortfolgen in §72 Abs1 BVergG 2006 gerichtet sind, unzulässig, da die antragstellende Gesellschaft den Regelungsgegenstand des §72 Abs1 BVergG 2006 verkenne: Die Aufhebung der angefochtenen Wortfolgen in §72 Abs1 BVergG 2006 würde weder die von der antragstellenden Gesellschaft bekämpfte Zurechung einer Bestrafung gemäß §28 Abs1 Z1 AuslBG beseitigen, noch die auf Grund einer Auskunft über eine zurechenbare Bestrafung gemäß §28 Abs1 Z1 AuslBG gesetzlich vermutete Unzuverlässigkeit. Ferner hätte die Aufhebung keine Auswirkung auf die Parteistellung der antragstellenden Gesellschaft in Vergabeverfahren. Schließlich sei die antragstellende Gesellschaft nicht Normadressatin der Regelung des §72 Abs1 Satz 2 BVergG 2006:
Diese sei an öffentliche Auftraggeber gerichtet, die antragstellende Gesellschaft bringe jedoch vor, dass sie im Regelfall als Subunternehmerin auftrete und die angefochtene Regelung im Ergebnis ihr gegenüber nur mittelbare Wirkung entfalte. Die antragstellende Gesellschaft mache damit jedoch keine Verletzung in Rechten geltend, sondern lediglich wirtschaftliche Reflexwirkungen.
II. Die Anträge sind unzulässig.
1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
Wie die Bundesregierung in ihrer Äußerung zutreffend ausführt, vermag die antragstellende Gesellschaft mit ihrem Vorbringen keine aktuelle Betroffenheit in rechtlich geschützten Interessen darzutun: Nach Löschung der über den ehemaligen Geschäftsführer der antragstellenden Gesellschaft verhängten Verwaltungsstrafe aus der zentralen Verwaltungsstrafevidenz des Bundesministers für Finanzen scheint in dieser dem Antragsvorbringen zu Folge nunmehr lediglich eine - der antragstellenden Gesellschaft zuzurechnende - Bestrafung auf. Gemäß §28b Abs2 Satz 2 AuslBG ist die erste registrierte rechtskräftige Bestrafung bei Erteilung einer Auskunft aus der Zentralen Verwaltungsstrafevidenz jedoch nicht zu berücksichtigen. Auf Grund dieser Auskunft ist daher (derzeit) keine Vermutung der beruflichen Unzuverlässigkeit der antragstellenden Gesellschaft im Sinne der §§72f. BVergG 2006 gegeben.
Die auf die Aufhebung näher bezeichneter Wortfolgen des §28b Abs2 AuslBG gerichteten Anträge (Haupt- und erster Eventualantrag) sind daher schon mangels Darlegung eines aktuellen Eingriffs in die Rechtssphäre der antragstellenden Gesellschaft zurückzuweisen.
2. Ebenso sind die Eventualanträge, soweit sie sich auf die Aufhebung von Wortfolgen in §72 Abs1 BVergG 2006 richten, zurückzuweisen:
Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist grundlegende Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Individualantrags, dass die bekämpfte Norm nicht bloß faktische Wirkungen zeitigt, sondern in die Rechtssphäre der betreffenden Person eingreift und sie im Falle der Rechtswidrigkeit verletzt. Die Anfechtungslegitimation kann - wie der Verfassungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen hat (vgl. etwa VfSlg. 15.184/1998, 17.399/2004) - von vornherein nur einem Rechtsträger zukommen, an den oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (Normadressat).
§72 Abs1 BVergG 2006 schreibt ausschließlich die Verpflichtung für öffentliche Auftraggeber fest, Auskünfte zur Überprüfung der beruflichen Zuverlässigkeit von Unternehmen bei der zentralen Verwaltungsstrafevidenz des Bundesministers für Finanzen einzuholen. Es ist somit von vornherein auszuschließen, dass die antragstellende Gesellschaft Normadressatin der angefochtenen Bestimmung und daher in ihrer Rechtssphäre betroffen ist.
Die Anträge sind daher mangels Legitimation der antragstellenden Gesellschaft zurückzuweisen.
III. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.