B259/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. Die Beschwerdeführerin veräußerte im Jahr 2007 ihren Anteil
an einem Mietwohngrundstück innerhalb der Spekulationsfrist. Bei der Ermittlung des Spekulationsgewinns beantragte sie die Berücksichtigung von Zinsen, soweit diese bei den Vermietungseinkünften in den Vorjahren mangels hinreichender positiver Einkünfte nicht in Abzug gebracht werden konnten, als Werbungskosten.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid wurde der Beschwerdeführerin Einkommensteuer für das Jahr 2007 vorgeschrieben, wobei die (nunmehr) belangte Behörde die Auffassung vertrat, dass die fehlende steuerliche Verrechnungsmöglichkeit von Verlusten nicht dazu führen könne, dass die Zinsen aus den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung herausgelöst und einer anderen Einkunftsquelle zugeordnet werden. Die Voraussetzungen eines Verlustabzuges nach §18 Abs6 EStG 1988 lägen nicht vor.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige -
Beschwerde erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 30. September 2010, G35/10, die Wortfolge "- wenn die Verluste durch ordnungsmäßige Buchführung ermittelt worden sind und" in §18 Abs6 EStG 1988, BGBl. 400, sowie des letzten Satzes dieser Bestimmung, jeweils in der Fassung BGBl. 201/1996, als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. II.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 30. September 2010. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 22. Februar 2010 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
III. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,-- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,-- enthalten.