B1401/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen vierzehn Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer brachte mit Schriftsatz vom 16. April
2009 beim Bezirksgericht Imst eine Klage auf Räumung und Zahlung von Mietzinsrückständen ein. Dafür entrichtete er eine Pauschalgebühr gemäß TP1 GGG iVm §19a GGG auf Basis der Bemessungsgrundlage von € 1.374,-- (€ 694,-- für die Räumung zuzüglich € 680,-- rückständiger Mietzins) in Höhe von € 100,10. In der Tagsatzung vom 13. Oktober 2009 schloss er mit dem Drittbeklagten einen Vergleich; darin verpflichtete sich der Drittbeklagte zunächst, den Mietgegenstand bis längstens 31. Dezember 2009 zu räumen und dem Beschwerdeführer geräumt zu übergeben (Pkt. 1). Pkt. 2 des Vergleiches lautet:
"Die drittbeklagte Partei verpflichtet sich weiters den Betrag von € 380,00 an Rückstand gemeinsam mit dem Mietzins für November am 01.11.2009 zu bezahlen."
2. Mit einem Zahlungsauftrag vom 1. Juni 2010 wurde dem Beschwerdeführer für den Vergleich gemäß TP1 GGG (unter Annahme einer in Pkt. 2 des Vergleichs enthaltenen Verpflichtung zu einer Leistung auf unbestimmte Dauer) eine restliche Pauschalgebühr von € 2.518,-- samt Einhebungsgebühr iHv € 8,-- auf Basis des 10-fachen Jahresbetrages des (monatlichen) Mietzinses zur Zahlung vorgeschrieben. Mit Bescheid der Präsidentin des Landesgerichtes Innsbruck vom 1. Juli 2010 wurde dem dagegen erhobenen Berichtigungsantrag des Beschwerdeführers unter Hinweis auf §14, §18 Abs2 Z2 GGG und §58 Abs1 JN keine Folge gegeben, wobei der Zahlungsauftrag insofern korrigiert wurde, als der Betrag von € 2.518,-- auf € 2.517,90 herabgesetzt wurde.
Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, die beklagte Partei hätte sich in Pkt. 2 des Räumungsvergleiches zur Bezahlung künftig fällig werdender monatlicher Mietzinse verpflichtet. Nachdem die Räumung des Bestandobjektes für 31. Dezember 2009 vereinbart worden sei und mangels anderer Absprache nur davon ausgegangen werden könne, dass weiterhin künftige Miete zu bezahlen sein werde, könne dem Vergleich kein Endzeitpunkt hinsichtlich dieser Verpflichtung entnommen werden. Die in einem Vergleich übernommene Verpflichtung zur Leistung eines Benützungsentgelts oder Mietzinses sei als Recht auf den Bezug auf wiederkehrende Nutzungen und Leistungen von unbestimmter Dauer anzusehen, welche mit dem Zehnfachen der Jahresleistung zu bewerten sei.
3. Gegen diesen - keinem weiteren Rechtszug unterliegenden (vgl. §7 Abs7 GEG 1962) - Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, in welcher die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
4. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens und des Zivilrechtsstreites vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. §§14 und 18 des Gerichtsgebührengesetzes (GGG), BGBl. 501/1984, lauten:
"I. Bewertung des Streitgegenstandes
a) Im Zivilprozeß
Allgemeine Grundsätze
§14. Bemessungsgrundlage ist, soweit nicht im folgenden etwas anderes bestimmt wird, der Wert des Streitgegenstandes nach den Bestimmungen der §§54 bis 60 JN.
...
Wertänderungen
§18. (1) Die Bemessungsgrundlage bleibt für das ganze Verfahren gleich.
(2) Hievon treten folgende Ausnahmen ein:
1. Wird der Streitwert gemäß §7 RATG geändert, so bildet - unbeschadet des §16 - der geänderte Streitwert die Bemessungsgrundlage. Bereits entrichtete Mehrbeträge sind zurückzuzahlen.
2. Wird der Wert des Streitgegenstandes infolge einer Erweiterung des Klagebegehrens geändert oder ist Gegenstand des Vergleiches eine Leistung, deren Wert das Klagebegehren übersteigt, so ist die Pauschalgebühr unter Zugrundelegung des höheren Streitwertes zu berechnen; die bereits entrichtete Pauschalgebühr ist einzurechnen.
3. Betrifft das Rechtsmittelverfahren oder das Verfahren über eine Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklage nur einen Teil des ursprünglichen Streitgegenstandes, so ist in diesem Verfahren für die Berechnung nur der Wert dieses Teiles maßgebend. Bei wechselseitig erhobenen Rechtsmitteln sind die Pauschalgebühren nach Maßgabe der Anträge eines jeden der beiden Streitteile gesondert zu berechnen und vom jeweiligen Rechtsmittelwerber zu entrichten. Ist der von der Anfechtung betroffene Teil nicht nur ein Geldanspruch, so hat ihn der Rechtsmittelwerber in der Rechtsmittelschrift zu bewerten; unterläßt er dies, ist der Bemessung der Pauschalgebühr für das Rechtsmittelverfahren der ganze Wert des ursprünglichen Streitgegenstandes zugrunde zu legen.
4. Wenn ausschließlich der Ausspruch über die Zinsen angefochten wird, ist als Endzeitpunkt für die Zinsenberechnung der Zeitpunkt maßgebend, zu dem dem Rechtsmittelwerber die angefochtene Entscheidung zugestellt worden ist.
(3) Eine Änderung des Streitwertes für die Pauschalgebühren tritt nicht ein, wenn das Klagebegehren zurückgezogen oder eingeschränkt wird oder wenn ein Teil- oder Zwischenurteil gefällt wird."
2. §58 Abs1 Jurisdiktionsnorm (JN), RGBl. 111/1895 idF BGBl. 135/1983, lautet:
"Als Wert des Rechtes auf den Bezug von Zinsen, Renten, Früchten oder anderen wiederkehrenden Nutzungen und Leistungen ist bei immerwährender Dauer das Zwanzigfache, bei unbestimmter oder auf Lebenszeit beschränkter Dauer das Zehnfache, sofern es sich um Ansprüche auf Unterhalts- oder Versorgungsbeträge und auf Zahlung von Renten wegen Körperbeschädigung oder Tötung eines Menschen handelt, das Dreifache der Jahresleistung, bei bestimmter Dauer aber der Gesamtbetrag der künftigen Bezüge, jedoch in keinem Fall mehr als das Zwanzigfache der Jahresleistung anzunehmen."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Zwischen den Parteien des verfassungsgerichtlichen Verfahrens ist nur die Frage strittig, ob Pkt. 2 des Vergleiches die Verpflichtung des Drittbeklagten zu wiederkehrenden Leistungen, nämlich des laufenden Mietzinses (auf unbestimmte Zeit), enthält, sodass iS des §14 GGG iVm §58 Abs1 JN der zehnfache Jahresbetrag an Mietzins der Neuberechnung der Pauschalgebühr zugrunde zu legen war.
2.1. Mit dem angefochtenen Bescheid wird eine Abgabe vorgeschrieben; er greift somit in das Eigentumsrecht ein. Dieser Eingriff wäre nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 11.470/1987, 15.884/2000, 16.112/2001, 16.290/2001) dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage ergangen wäre oder auf einer verfassungswidrigen Rechtsgrundlage beruhte oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewandt hätte, ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre.
2.2. Der Verfassungsgerichtshof hatte in den mit den Erkenntnissen VfSlg. 16.701/2002, 17.004/2003 und 17.634/2005 entschiedenen Fällen die Gebührenpflicht von Vergleichen zu beurteilen, in denen es den jeweils beklagten Parteien offen stand, durch die Bezahlung der aushaftenden (den Gegenstand der Klage bildenden) ziffernmäßig bestimmten Monatsmieten die Räumung abzuwenden, sofern auch die laufenden Monatsmieten bezahlt würden. Der Verfassungsgerichtshof ging in diesen Fällen davon aus, dass der Beschwerdeführer durch seinen Verzicht darauf, vom zuvor geschaffenen Exekutionstitel Gebrauch zu machen, allenfalls über jenen Anspruch disponierte, der den Gegenstand des Exekutionstitels bildete, offenkundig aber über keinen anderen Anspruch. Der Anspruch, den jener Exekutionstitel betraf, war aber der Anspruch auf Zahlung der aushaftenden Mieten und auf Räumung. Diese Ansprüche hatte die jeweilige beschwerdeführende Partei bereits mit ihrer Klage geltend gemacht und dafür die Pauschalgebühr entrichtet. Über den Anspruch auf Zahlung des laufenden Mietzinses, also jenes Mietzinses, der zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses noch nicht fällig und daher auch nicht Gegenstand des Verfahrens sein konnte, wird aber in jenen Fällen dann nicht in einer die Gebührenpflicht auslösenden Weise disponiert, wenn der Verzicht auf die Räumung unter die (nahe liegende) Bedingung gestellt wird, dass der Schuldner seine offene Verbindlichkeit, die den Gegenstand des Titels bildet, nicht dadurch bloß auf die künftigen Mieten verlagert, indem er nur den Rückstand begleicht, die laufende Miete aber unberichtigt lässt. Insofern wird über künftige Mieten nicht disponiert, diese werden lediglich - im Sinne des genannten Zwecks: unvermeidlicherweise - im Vergleich "nebenher" erwähnt, ohne dadurch selbst zum Gegenstand der im Vergleich getroffenen Dispositionen zu werden.
Das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums wegen einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung wird im hier vorliegenden Zusammenhang also dann verletzt, wenn die Einhaltung einer schon bestehenden vertraglichen Verpflichtung zur Zahlung laufender Mietzinse, welche bloß als eine Bedingung für den Verzicht auf die Räumung durch die klagende Partei in einen Räumungsvergleich aufgenommen wurde, einer (gebührenpflichtigen) Disposition über eine Zahlungsverpflichtung gleichgesetzt wird (vgl. zuletzt die Erkenntnisse vom 22. Februar 2010, B1384/09 und vom 8. Juni 2010, B5/10).
2.3. Im vorliegenden Fall verpflichtete sich der Drittbeklagte zur geräumten Übergabe des Mietobjektes bis spätestens 31. Dezember 2009 sowie zur Zahlung rückständiger Mietzinse "gemeinsam mit dem Mietzins für November am 01.11.2009". Der Kläger und nunmehrige Beschwerdeführer verzichtete für den Fall der Einhaltung der sich aus dem Vergleich ergebenden Zahlungsverpflichtung nicht auf die Räumung. Das Mietverhältnis endete nach dem Vergleich jedenfalls mit 31. Dezember 2009. Umso weniger kann im vorliegenden Fall von der Begründung eines auf unbestimmte Dauer geschlossenen Mietverhältnisses ausgegangen werden.
Die belangte Behörde hat §18 Abs2 Z2 GGG und §14 GGG iVm §58 Abs1 JN somit in denkunmöglicher Weise angewandt und daher den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.
Der Bescheid war daher aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Die zugesprochenen Kosten enthalten Umsatzsteuer von EUR 400,-- sowie den Ersatz der entrichteten Eingabengebühr (§17a VfGG) von EUR 220,--.
3. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.