U3061/09 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Beschwerdeführer, ein serbischer Staatsangehöriger,
stellte am 14. September 2004 einen Antrag auf Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 8. Februar 2005 gemäß §7 Asylgesetz 1997 (im Folgenden: AsylG 1997) ab und stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß §8 Abs1 AsylG 1997 zulässig sei und wies ihn gemäß §8 Abs2 AsylG 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.
Die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. Februar 2005 erhobene Berufung (nunmehr: Beschwerde) wurde mit Entscheidung des Asylgerichtshofes durch eine Einzelrichterin vom 13. Oktober 2009
2. Die rechtlichen Erwägungen des Asylgerichtshofes in Bezug auf die Einzelrichterzuständigkeit lauten wie folgt:
"Gemäß §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 idF Art2 BG BGBl. I 4/2008 sind Verfahren, die am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängig sind, vom Asylgerichtshof weiterzuführen; Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
Da im vorliegenden Verfahren bereits vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung vor der nunmehr zuständigen Richterin stattgefunden hat, ist von einer Einzelrichterzuständigkeit auszugehen."
3. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt.
4. Der Asylgerichtshof legte die Verwaltungsakten des Bundesasylamtes sowie die Gerichtsakten vor und verzichtete auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Die für das Verfahren maßgebliche Rechtslage stellt sich wie
folgt dar:
1. Die maßgebliche Bestimmung des Bundesgesetzes über den Asylgerichtshof, BGBl. I 4/2008 idgF, lautet:
"Senate und Kammersenate
§9. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten, sofern bundesgesetzlich nicht die Entscheidung durch Einzelrichter oder verstärkte Senate (Kammersenate) vorgesehen ist.
..."
2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 29/2009 (im Folgenden: AsylG 2005) lauten:
"Asylgerichtshof
§61. (1) Der Asylgerichtshof entscheidet in Senaten oder, soweit dies in Abs3 vorgesehen ist, durch Einzelrichter über
1. Beschwerden gegen Bescheide des Bundesasylamtes und
2. Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht des Bundesasylamtes.
(2) ...
(3) Der Asylgerichtshof entscheidet durch Einzelrichter über Beschwerden gegen
1. zurückweisende Bescheide
...
Übergangsbestimmungen
(7) Am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren sind vom Asylgerichtshof nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen weiterzuführen:
1. Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, haben alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen.
2. Verfahren gegen abweisende Bescheide, in denen eine mündliche Verhandlung noch nicht stattgefunden hat, sind von dem nach der ersten Geschäftsverteilung des Asylgerichtshofes zuständigen Senat weiterzuführen.
3. ...
..."
III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt (zB VfSlg. 15.372/1998, 15.738/2000, 16.066/2001, 16.298/2001 und 16.717/2002) oder wenn sie in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt, etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 15.482/1999, 15.858/2000, 16.079/2001 und 16.737/2002).
Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 10.022/1984, 14.731/1997, 15.588/1999, 15.668/1999, 15.731/2000, 16.572/2002 und VfGH vom 9.12.2008, B1110/08). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken. Dies bedeutet, dass das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter dann verletzt wird, wenn statt eines Senates ein Einzelrichter entscheidet oder umgekehrt.
2. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Asylgerichtshof unterlaufen:
2.1. Neben der Einzelrichterzuständigkeit in den Fällen des §61 Abs3 AsylG 2005 sieht die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 vor, dass am 1. Juli 2008 beim unabhängigen Bundesasylsenat anhängige Verfahren vom Asylgerichtshof nach der Maßgabe weiterzuführen sind, dass die Mitglieder des unabhängigen Bundesasylsenates, die zu Richtern des Asylgerichtshofes ernannt worden sind, alle bei ihnen anhängigen Verfahren, in denen bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, als Einzelrichter weiterzuführen haben. Dazu hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.610/2008 Folgendes ausgesprochen:
"§75 Abs7 Z1 AsylG 2005 soll ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des UBAS, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. Für diese überschaubare Zahl von Übergangsfällen ist festzustellen, dass der Gesetzgeber an ein Verfahrensstadium anknüpft, in dem bereits - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - eine entscheidungsreife Rechtssache vorliegt. Eine Übergangsbestimmung dieser Art, die - wie erwähnt - auf das fortgeschrittene Verfahrensstadium und die Identität des zur Entscheidung berufenen Organwalters abstellt, ist verfassungsrechtlich noch unbedenklich."
2.2. Im vorliegenden Fall fanden am 8. September 2005, 12. Dezember 2005 und 15. Februar 2006 - also vor dem 1. Juli 2008 - vor dem zuständigen Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates mündliche Verhandlungen statt.
Am 14. September 2009, also nach ca. vier Jahren nach der ersten Verhandlung, fand erneut vor dem zuvor für das Verfahren beim unabhängigen Bundesasylsenat zuständigen Mitglied, welches mittlerweile zur Richterin des Asylgerichtshofes ernannt worden war, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes durch die Einzelrichterin vom 13. Oktober 2009 wurde schließlich die gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 8. Februar 2005 erhobene Beschwerde abgewiesen.
Im vorliegenden Fall haben demnach bereits vor dem 1. Juli 2008 drei mündliche Verhandlungen vor der später entscheidenden Richterin des Asylgerichtshofes stattgefunden. Daraus alleine kann jedoch nicht auf eine Einzelrichterzuständigkeit geschlossen werden.
Wie der Verfassungsgerichthof nämlich schon in seinem Erkenntnis VfSlg. 18.610/2008 festgestellt hat, soll die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 ermöglichen, dass Asylverfahren, in denen vor dem 1. Juli 2008 eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat, möglichst rasch durch das vormals zuständige Mitglied des unabhängigen Bundesasylsenates, das zum Richter des Asylgerichtshofes ernannt wurde, erledigt werden können. In Fällen, welche unter die Übergangsbestimmung des §75 Abs7 Z1 AsylG 2005 fallen, muss daher - bei verfassungskonformer Interpretation der Bestimmung - bereits eine "entscheidungsreife Rechtssache" vorliegen.
Diese Voraussetzung war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben, was sich einerseits aus der Vertagung der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2005 zur weiteren Parteieneinvernahme und in Bezug auf zu setzende Ermittlungsschritte auf unbestimmte Zeit und andererseits aus der Notwendigkeit der Fortsetzung bzw. neuerlichen Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14. September 2009 ergibt. Daraus geht vielmehr hervor, dass der erkennenden Einzelrichterin nach dem 1. Juli 2008 nicht eine bereits "entscheidungsreife Rechtssache" vorlag, weshalb der Asylgerichtshof nicht durch eine Einzelrichterin, sondern in einem Senat zu entscheiden gehabt hätte.
Der belangte Asylgerichtshof hat demnach durch die Entscheidung durch eine Einzelrichterin den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. VfGH 27.4.2010, U634/10).
3. Die Entscheidung war daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen eingegangen zu werden brauchte.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88a iVm §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.