JudikaturVfGH

B334/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
22. Februar 2011

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1.1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Tirol. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Tirol vom 31. März 2009 wurde er der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes schuldig erkannt, weil er

"ohne Auftrag seines Mandanten den Bürgermeister der Gemeinde V mit E-Mail vom 9. August 2007 beschuldigt habe, im Rahmen der für den 10. August 2007 angesetzten Ortsaugenscheinverhandlung die grundbücherlichen Rechte seines Mandanten schmälern zu wollen und dem Bürgermeister der Gemeinde V überdies vorgeworfen habe, sich tatbildlich im Sinne des strafbaren Tatbestandes der Amtsanmaßung nach §314 StGB verhalten zu haben".

Der Beschwerdeführer wurde zu einer Geldbuße in Höhe von € 2.000,- verurteilt.

1.2. Dieser Verurteilung liegt zu Grunde, dass der Beschwerdeführer einen Mandanten in einem seit mehreren Jahren anhängigen Verfahren vor dem BG L vertritt. In diesem Gerichtsverfahren hat der Beschwerdeführer wiederholt Aufträge durch den Vater bzw. den Bruder seines Mandanten erhalten. Dies - behaupteterweise - mit Billigung durch den Mandanten.

2. Der gegen das Straferkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Tirol erhobenen Berufung wurde mit als Bescheid zu wertendem Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 30. November 2009 keine Folge gegeben. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass für das Tätigwerden des Beschwerdeführers gegenüber dem Bürgermeister der Gemeinde V kein Auftrag seines Mandanten bestanden habe. Der Beschwerdeführer habe davon ausgehen müssen, dass die Interessenlage seines Mandanten eine andere ist als die seines Bruders, der ihm den Auftrag erteilt hat. Die vom Beschwerdeführer erhobenen Vorwürfe gegen den Bürgermeister der Gemeinde V seien nach Ansicht der belangten Behörde nicht von der in der "Grundangelegenheit" erteilten Vollmacht seines Mandanten gedeckt. Der Berufung des Beschwerdeführers sei daher der Erfolg zu versagen.

3. In der gegen diesen Bescheid gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde wird zunächst die "Verfassungswidrigkeit" des §11 RL-BA behauptet. Diese Bestimmung lege nicht "näher" fest, in welchen Fällen eine Vollmacht an einen Rechtsanwalt durch Dritte erteilt werden darf und in welchen nicht. Darüber hinaus habe die belangte Behörde bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt. Der Beschwerdeführer habe darauf vertrauen dürfen, dass er Aufträge vom Bruder seines Mandanten entgegennehmen kann, weil er dies in einem Zivilrechtsstreit vor dem BG L über Jahre hinweg auch getan habe. Weiters sei das Verfahren unter "Verletzung der Verfahrensgarantien der EMRK" geführt worden, weil sein Mandant nicht als Zeuge vernommen wurde.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Rechtslage

1. §37 Rechtsanwaltsordnung (im Folgenden: RAO), RGBl. 96/1868 idF BGBl. I 111/2007, lautet auszugsweise:

"§37. (1) Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1. zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

1a. - 7. …

(2) Die vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag erlassenen Richtlinien sind im Internet auf der Homepage des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags (http://www.rechtsanwaelte.at) dauerhaft bereitzustellen."

2. §11 der Richtlinie für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und des Rechtsanwaltsanwärters (im Folgenden: RL-BA) lautet:

"Der Rechtsanwalt darf Auftrag und Vollmacht in der Regel nur von demjenigen annehmen, dessen Interessen ihm anvertraut werden."

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, §11 RL-BA sei "verfassungswidrig", weil diese Bestimmung nicht hinreichend bestimmt sei. Der Verordnungsgeber habe es unterlassen, näher zu bestimmen, was unter dem Begriff "in der Regel" zu verstehen sei.

1.2. Gesetzliche Grundlage für die RL-BA insgesamt - und somit auch für §11 RL-BA - ist §37 RAO. Nach dieser Bestimmung kann der Österreichische Rechtsanwaltskammertag Richtlinien (u.a.) zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufes erlassen. Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfSlg. 16.482/2002 ausgesprochen hat, ist §37 RAO iSd Art18 B-VG hinreichend bestimmt. Die Verordnungsermächtigung des §37 RAO erfährt nämlich insbesondere in den Bestimmungen des II. Abschnittes der RAO sowie im Disziplinarstatut 1990 eine nähere gesetzliche Determinierung. Auch sonst bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen §37 RAO.

1.3. Der Beschwerdeführer behauptet, dass aus §11 RL-BA nicht eindeutig hervorgehe, wann ein Rechtsanwalt einen Auftrag von jemand anderem als dem, dessen Interessen er vertreten soll, annehmen darf (arg. "in der Regel").

1.3.1. Gemäß §11 RL-BA sind Aufträge an einen Rechtsanwalt grundsätzlich durch denjenigen zu erteilen, dessen Interessen vom Rechtsanwalt vertreten werden, um sicherzustellen, dass die Handlungen des Vertreters auch tatsächlich vom Willen des Vertretenen umfasst sind. §11 RL-BA ermöglicht durch die Formulierung "in der Regel" aber in Ausnahmefällen die Auftragserteilung durch einen Dritten. Dies ergibt sich auch aus der dazu ergangenen Rechtsprechung der OBDK.

1.3.2. Der Verfassungsgerichtshof kann daher nicht finden, dass §11 RL-BA aus den vom Beschwerdeführer ins Treffen geführten Gründen gesetzwidrig ist.

1.3.3. Da auch sonst keine Bedenken gegen die dem Bescheid zu Grunde liegenden Bestimmungen entstanden sind, ist der Beschwerdeführer nicht durch die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

2.1. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, die belangte Behörde habe bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt. Der Beschwerdeführer habe davon ausgehen dürfen, dass ihm auch der Bruder seines Mandanten Aufträge erteilen dürfe. Darüber hinaus sei sein Mandant von den Disziplinarbehörden nicht vernommen worden, obwohl dies wesentlich für die Schuldbegründung gewesen sei. Auch sei dem Beschwerdeführer nicht vorwerfbar, dass er die "notwendigen und einfachsten" Ermittlungen unterlassen habe, um in Erfahrung zu bringen, wo sich sein Mandant aufhalte.

2.2. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.842/1997, 15.326/1998 und 16.488/2002) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Angesichts der verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

2.3. Ein solcher Vorwurf ist der belangten Behörde nicht zu machen. Sie hat ein ausreichendes Ermittlungsverfahren durchgeführt und sich mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers auseinander gesetzt. Es ist der belangten Behörde kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen. Die Rechtsansicht, der Beschwerdeführer habe keinen Auftrag vom Bruder seines Mandanten annehmen dürfen und daher ohne Vollmacht gehandelt, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht vertretbar.

Da der belangten Behörde insgesamt keine in die Verfassungssphäre reichenden Fehler vorzuwerfen sind, wurde der Beschwerdeführer nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2.4. Der Beschwerdeführer bringt weiters vor, das Disziplinarverfahren sei "unter Verletzung der Verfahrensgarantien der Europäischen Menschenrechtskonvention" geführt worden.

Im Erkenntnis VfSlg. 18.562/2008 hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich sei, wenn eine Zeugin, die nicht bereit ist, an der Disziplinarverhandlung teilzunehmen, nicht einvernommen werde. Darüber hinaus sei es vertretbar, wenn im Disziplinarverfahren nicht alle Zeugen, deren Vernehmung beantragt wurde, einvernommen werden (vgl. VfSlg. 17.760/2005). Auch der EGMR geht in seiner Rechtsprechung zu Art6 Abs3 litd davon aus, dass es faktische Gründe - wie etwa die Weigerung des Zeugen zu erscheinen - geben kann, die die Nichteinvernahme eines Zeugen rechtfertigen können (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4, 2009, 385 ff.).

Der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Tirol hat den Mandanten des Beschwerdeführers zur mündlichen Disziplinarverhandlung geladen. Laut Verhandlungsprotokoll sei dieser jedoch nicht gewillt gewesen, die Anreise aus dem Ausland für die Aussage vor dem Disziplinarrat auf sich zu nehmen. Gleichzeitig mit dieser Mitteilung hat er neuerlich eine Kopie des von ihm unterfertigten Schreibens vom 10. August 2007 übermittelt, in dem er angibt, das E-Mail des Beschwerdeführers an den Bürgermeister der Gemeinde V sei nicht von seinem Willen gedeckt und ohne seinen Auftrag verfasst worden.

Es ist der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, wenn sie davon ausgeht, dass im Hinblick auf die neuerliche Übermittlung oben zitierten Schreibens die Aussage des Zeugen vor der belangten Behörde nicht erforderlich ist.

Der Beschwerdeführer ist daher auch nicht in den durch Art6 EMRK garantierten Rechten verletzt worden.

2.5. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in einem anderen, von ihm nicht geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.

3. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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