JudikaturVfGH

B308/11 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2011

Spruch

I. Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesministerin für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.640,-

bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Mit den angefochtenen Bescheiden des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg wurden die Berufungen der nunmehrigen Beschwerdeführer gegen die Straferkenntnisse der Bundespolizeidirektion Salzburg vom 3. September 2010 - mit welchen über die Beschwerdeführer gemäß §120 Abs1 FPG jeweils eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000,- bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 14 Tagen verhängt sowie der Ersatz der Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben wurde, da sie sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hätten - als unbegründet abgewiesen; zudem wurde den Beschwerdeführern ein Beitrag zu den Kosten der Berufungsverfahren in der Höhe von je € 200,- vorgeschrieben.

2. Gegen diese Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen u.a. die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, nämlich §120 Abs1 FPG, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt wird.

3. Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und teilte dem Verfassungsgerichtshof mit, dass die Bezug habenden Verwaltungsakten dem Verwaltungsgerichtshof zum dortigen Verfahren übermittelt wurden. Der Verfassungsgerichthof nahm in die Verwaltungsakten Einsicht.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 9. März 2011, G53/10 ua., ausgesprochen, dass die Wortfolge "von 1 000 Euro" in Abs1 und die Wendung "1," in Abs4 des §120 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2009, (FPG) als verfassungswidrig aufgehoben werden und dass die aufgehobenen Bestimmungen nicht mehr anzuwenden sind. Die Kundmachung der Aufhebung durch den Bundeskanzler erfolgte am 4. April 2011 (BGBl. I Nr. 17/2011).

2.1. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung der angefochtenen Bescheide vom 14. Dezember 2010 die vom Verfassungsgerichtshof mit dem eben zitierten Erkenntnis als verfassungswidrig erkannte Wortfolge in §120 Abs1 FPG an (was ihr im Hinblick auf die mit 4. April 2011 erfolgte Kundmachung freilich subjektiv nicht vorzuwerfen ist). Die Beschwerdefälle sind jedoch einem Anlassfall im Sinne des Art140 Abs7 B-VG nicht gleichzuhalten, da die an den Verfassungsgerichthof gerichteten Beschwerden (respektive die Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe) zum Zeitpunkt des Beginns der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren am 24. Februar 2011 noch nicht beim Verfassungsgerichtshof anhängig waren (die Verfahrenshilfeanträge langten am 3. März 2011 ein).

2.2. Durch den Ausspruch, dass die aufgehobenen Bestimmungen "nicht mehr anzuwenden" sind, wirkt die Aufhebung der zitierten Bestimmungen aber jedenfalls auch auf die vorliegenden Beschwerdefälle zurück (vgl. etwa VfSlg. 12.954/1991, 15.401/1999 sowie VfGH 14.12.2005, B1025/04).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.

Die Bescheide waren daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer (ein Ehepaar) durch ein und denselben zum Vertreter zur Verfahrenshilfe bestellten Rechtsanwalt vertreten sind und es diesem zumutbar gewesen wäre, eine gemeinsame Beschwerde gegen die im Wesentlichen gleichartigen Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg einzubringen, war insgesamt nur ein Pauschalsatz, erhöht um einen entsprechenden Streitgenossenzuschlag, zuzusprechen (vgl. VfGH 26.6.1998, B259/96). Den Beschwerdeführern waren somit Kosten von insgesamt € 2.640,- zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 440,-

enthalten.

3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.

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