G70/10 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung:
1. Mit seinem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller "a) die Wortfolge ', der kein Angehöriger des wissenschaftlichen Personals einer solchen Einrichtung ist,' in §128 Abs2 StPO idF BGBI. I Nr. 40/2009, b) §125 Abs14 UG 2002 idF BGBI. I Nr. … 81/2009 und c) §43 Abs1 Z2e GebAG" als verfassungswidrig aufzuheben.
1.1. Der Antragsteller verweist zunächst darauf, seit 1979
als "promovierter Mediziner ... im Dienstverhältnis zur Universität
Wien bzw. der Medizinischen Universität Wien" zu stehen und seit 1985 als Facharzt für Gerichtsmedizin "u.a. [zur] Durchführung von gerichtlichen Leichenöffnungen" berechtigt zu sein. Er sei habilitiert, seit 1987 als Beamter definitiv gestellt, seit 1997 außerordentlicher Professor für Gerichtliche Medizin und werde seit 1985 beim Landesgericht für Zivilrechtsachen Wien in der Sachverständigenliste geführt; er betreibe ein eigenes Sachverständigenbüro mit drei Angestellten und beziehe "ca. 50% seines außeruniversitären Einkommens" aus gerichtlich beauftragten Leichenöffnungen.
Durch die gesetzlichen Änderungen - "Obduktionsauftrag der Staatsanwaltschaft ausschließlich an Universitätseinheiten oder an Sachverständige, die nicht Mitglieder einer Universitätseinheit sind (§128 Abs2 StPO neu), bei gleichzeitig neu eingeführter Dienstpflicht zur Erstellung von Befund und Gutachten (§125 Abs14 UG 2002 neu)" - werde es dem "verbeamteten" Antragsteller in Zukunft unmöglich sein, "seinem Erwerb als Sachverständiger und Facharzt in bisheriger Weise und Umfang nachzugehen".
Die Universität beabsichtige, Gebühren in sinngemäßer Anwendung des Gebührenanspruchsgesetzes geltend zu machen, wobei die Gebühr für Mühewaltung - nach Abzug der Gebühren für die Nutzung der Untersuchungsräumlichkeiten, einschließlich der Infrastruktur - jener Person im Wege der Besoldung überwiesen werden soll, der die Verantwortung für die Obduktion übertragen wurde. Damit würde die Abgeltung für den Sachverständigen "gegen Null gehen"; bei "ca. 100 Obduktionen pro Jahr" entspreche dies "einem Einkommensverlust von ca. EUR 20.000,00 pro Jahr."
1.2. Zu seiner Antragslegitimation führt der Antragsteller aus:
"Der Antragsteller ist Universitätsbediensteter in aufrechtem Beschäftigungsverhältnis am Department für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Wien, als Sachverständiger für Gerichtsmedizin gem. §6 Abs1 SDG in die Sachverständigenliste beim Landesgericht für ZRS Wien bis 31.12.2018 eingetragen und zur Ausübung des ärztlichen Berufes als Facharzt für Gerichtsmedizin berechtigt. Er ist von der hiermit als verfassungswidrig bekämpften Norm unmittelbar betroffen. Ein zumutbarer Umweg zur Überprüfung der Norm (Gerichts- bzw. Verwaltungsweg) steht dem Antragsteller nicht offen."
1.3. In der Sache behauptet der Antragsteller mit näherer Begründung Verstöße der angefochtenen Bestimmungen im Hinblick auf die verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsausübung, das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit, auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, den Grundsatz der Unabhängigkeit der Justiz und das Recht auf Entscheidung durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht sowie die Wissenschaftsfreiheit.
2. Die Bundesregierung erstattete eine umfängliche Äußerung, in der sie unter Darstellung der Motive des Gesetzgebers für die Neuregelung begehrt, den Antrag mangels Vorliegens eines unmittelbaren Eingriffs in die Rechtssphäre des Antragstellers, wegen Offenstehens eines zumutbaren anderen Weges zur verfassungsgerichtlichen Normenkontrolle, wegen nicht hinreichender Darlegung der Bedenken sowie wegen unrichtiger Abgrenzung des Anfechtungsumfangs als unzulässig zurückzuweisen, in eventu, den Antrag abzuweisen.
3. Die im gegebenen Zusammenhang relevanten Vorschriften der Strafprozessordnung 1975, BGBl. 631, idF BGBI. I 52/2009 (im Folgenden: StPO), lauten auszugsweise (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"Leichenbeschau und Obduktion
§128. (1) …
(2) Eine Obduktion ist zulässig, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Tod einer Person durch eine Straftat verursacht worden ist. Sie ist von der Staatsanwaltschaft anzuordnen, die mit der Durchführung eine Universitätseinheit für Gerichtliche Medizin oder einen Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Gerichtsmedizin, der kein Angehöriger des wissenschaftlichen Personals einer solchen Einrichtung ist, zu beauftragen hat.
(2a) Im Fall einer Beauftragung einer Universitätseinheit hat die Leitung dieser Einheit die persönliche Verantwortung für die Obduktion im Sinne des §127 Abs2 einem Angehörigen des wissenschaftlichen Personals dieser Einheit zu übertragen, der die persönlichen und fachlichen Voraussetzungen für die Eintragung in die Liste der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Sachverständigen erfüllt. Ersucht eine Staatsanwaltschaft oder ein Gericht um die Übertragung an eine bestimmte Person, so hat die Leitung diesem Ersuchen zu entsprechen, es sei denn, dass wichtige Gründe entgegenstehen. Ist dies der Fall, so hat die Leitung die Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts zu einer anderweitigen Übertragung einzuholen. Die Universitätseinrichtung kann Gebühren in sinngemäßer Anwendung des Gebührensanspruchsgesetzes (GebAG), BGBl. Nr. 136/1975, geltend machen, wobei sie die Gebühr für Mühewaltung nach Abzug der Gebühren für die Nutzung der Untersuchungsräumlichkeiten, einschließlich der Infrastruktur der Person zu überweisen hat, der die Verantwortung für die Obduktion übertragen wurde.
(3) …"
Der weiters angefochtene (hervorgehobene) §125 Abs14 Universitätsgesetz 2002, BGBl. I 120, idF BGBI. I 81/2009 (im Folgenden: UG 2002), hat folgenden Wortlaut:
"Überleitung des Personals
Beamtinnen und Beamte des Bundes
§125. (1) - (13) …
(14) Beamtinnen und Beamte, die einer Einrichtung für Gerichtliche Medizin zugeordnet sind, haben im Rahmen ihrer Dienstpflichten an der Erstellung von Gutachten und Befunden in gerichtlichen Verfahren mitzuwirken. Auftraggeberin ist die jeweils zuständige Ermittlungs- oder Justizbehörde."
§43 Abs1 Gebührenanspruchsgesetz, BGBl. 136/1975 idF BGBl. I 111/2007 (im Folgenden: GebAG), lautet auszugsweise (die angefochtene Bestimmung ist ebenfalls hervorgehoben):
"TARIFE
Ärzte
§43. (1) Die Gebühr für Mühewaltung beträgt
1. ...
2. für die Leichenöffnung (Untersuchung von Leichenresten oder -teilen) samt Befund und Gutachten
a) - c) …
d) bei erschwerenden äußeren Umständen, wie etwa bei großer Kälte oder sonstigen widrigen Wetterverhältnissen, bei einer Veränderung der Leiche durch Fäulnis oder nach Enterdigung, das Eineinhalbfache der in den Buchstaben a bis c festgesetzten Gebühren
e) für die Nutzung von externen
Untersuchungsräumlichkeiten (einschließlich
Infrastruktur) ....................................... 130 Euro
bei Veränderung der Leiche in den Fällen der litd... 180 Euro
3. - 13. …
(2) …"
4. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Anfechtungsberechtigter ist also von Vornherein nur ein Rechtsträger, an den oder gegen den sich die angefochtene Norm wendet (Normadressat). Bei der Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzungen hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).
4.1. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
4.2. Nach §62 Abs1 VfGG hat ein Antrag auf Normenkontrolle, der von einer Person gestellt wurde, die unmittelbar durch die Rechtswidrigkeit einer Norm in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, demgemäß darzutun, inwieweit die Norm ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für die Person wirksam geworden ist, inwiefern die Norm also in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar nachteilig eingreift. Das Fehlen dieser Darlegung stellt einen inhaltlichen, nicht verbesserungsfähigen Mangel und somit ein Prozesshindernis dar (VfSlg. 17.111/2004, 18.187/2007; VfGH 7.10.2009, G142/09).
5. Der Antragsteller hat es entgegen der Vorschrift des §62 Abs1 letzter Satz VfGG unterlassen, seine unmittelbare und aktuelle Betroffenheit in Bezug auf die angefochtenen (in verschiedenen Materiengesetzen geregelten) Bestimmungen im Einzelnen (der jeweils bekämpften Vorschrift zuordenbar) darzulegen: Er beschränkt sich nämlich auf die pauschale Behauptung, "von der … Norm unmittelbar betroffen" zu sein, und den Hinweis, ihm stünde kein zumutbarer "Umweg" zur Herantragung seiner Bedenken an den Verfassungsgerichtshof offen (1.2.). Angaben, anhand derer eine Verletzung der Rechtssphäre des Antragstellers durch die jeweils angefochtenen Regelungen beurteilt werden könnte, sind dem Antrag indes nicht zu entnehmen. Schon deshalb leidet der Antrag an einem nicht behebbaren Prozesshindernis.
6. Angesichts dessen musste sich der Verfassungsgerichtshof nicht mit der Frage befassen, ob überhaupt ein Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers vorliegen kann bzw. ob allenfalls ein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Rechtswidrigkeit dieses Eingriffs besteht.
7. Der Antrag war daher zur Gänze als unzulässig zurückzuweisen.
8. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.