V119/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung:
I. Sachverhalt, Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Der Antragsteller ist Studierender der Wirtschaftsuniversität Wien und seit 31. August 2010 zum Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zugelassen. Er befindet sich in diesem Studium in der Studieneingangs- und Orientierungsphase.
2. Mit seinem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller,
"§6 Abs1 des Studienplans für das Bachelorstudium 'Wirtschafts- und Sozialwissenschaften', beschlossen in der 54. Sitzung des Senats der Wirtschaftsuniversität Wien am 30.6.2010, womit der Beschluss der Studienkommission vom 24.6.2010 genehmigt wurde, veröffentlicht im Mitteilungsblatt der Wirtschaftsuniversität Wien vom 30.6.2010, 41. Stück, Nr. 305, als gesetzwidrig aufzuheben".
2.1. Zur Antragslegitimation bringt der Antragsteller vor, er sei durch die in §6 Abs1 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften festgelegten Zugangsbeschränkungen unmittelbar nachteilig betroffen, da es ihm verwehrt sei, von den insgesamt 14 Lehrveranstaltungen und Prüfungen der Studieneingangs- und Orientierungsphase andere als die in dieser Bestimmung angeführten Lehrveranstaltungen zu besuchen und darüber Prüfungen abzulegen, bevor er nicht sämtliche dieser vier angeführten Prüfungen positiv absolviert hat. Es sei ihm insbesondere verwehrt, leistungsgerecht andere Prüfungen vorzuziehen, falls er für eines der vier genannten Fächer nicht unmittelbar beim ersten Antreten einen positiven Abschluss erziele. Dies könne zu deutlichen Studienzeitverlängerungen und damit auch zu materiellen Nachteilen für den Antragsteller führen.
Für den Antragsteller bestehe aber auch kein anderer Weg, die Frage der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen: Es sei ihm nicht zumutbar abzuwarten, ob/bis er eine der vier genannten Prüfungen negativ abschließt, und/oder seine Zulassung zu einer anderen Prüfung, die nicht jenen vier Fächern entspricht, die in der angefochtenen Bestimmung angeführt sind, bescheidmäßig ablehnen zu lassen, weil dadurch geradezu zwingend eine (allenfalls weitere) Zeitverzögerung in seinem Studium eintrete.
2.2. Die Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung wird im Antrag damit begründet, dass die angefochtene Bestimmung eine quantitative Zugangsbeschränkung darstelle, obwohl die Studieneingangs- und Orientierungsphase gemäß §66 Abs5 UG der Orientierung über die wesentlichen Studieninhalte diene und nicht als quantitative Zugangsbeschränkung gestaltet werden dürfe (der Antragsteller verweist in diesem Zusammenhang auf die RV 225 BlgNR
24. GP).
3. Der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien legte fristgerecht die Verordnungsakten vor und erstattete eine Äußerung, in der die Zurückweisung des Individualantrags, in eventu dessen Abweisung, beantragt wird. Für den Fall der Aufhebung der angefochtenen Verordnungsbestimmung beantragt der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien, für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen. Zur Zulässigkeit des Antrags führt der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien in seiner Äußerung Folgendes aus:
3.1. Es sei dem Antragsteller durchaus zumutbar, den Zugang zu einer anderen als der vier in §6 Abs1 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften genannten Lehrveranstaltungen zu beantragen oder einen Antrag auf Aufhebung einer Prüfung gemäß §79 Abs1 UG zu stellen, sollte er eine der vier in §6 Abs1 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften genannten Prüfungen negativ absolvieren. Über einen solchen Antrag sei mit Bescheid abzusprechen, sodass dem Antragsteller nach Ausschöpfung des Instanzenzuges die Möglichkeit offen stehe, seine Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.
3.2. Der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien bringt weiters vor, dass eine Verlängerung der Studienzeit beim Antragsteller tatsächlich nicht eingetreten sei, sondern dieser bereits im Oktober 2010 zwei der vier in Rede stehenden Prüfungen positiv absolviert habe. Ein allfälliger späterer Berufseintritt sei reine Spekulation, weshalb die angefochtene Norm weder aktuell noch tatsächlich nachteilig in die Rechtssphäre des Antragstellers eingreife.
4. Der Antragsteller replizierte, wobei er den Ausführungen des Senats der Wirtschaftsuniversität Wien zur Zulässigkeit im Wesentlichen entgegenhält, dass sowohl ein Antrag auf Zulassung zu einer andere Prüfung als den in §6 Abs1 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften genannten als auch ein Antrag auf Aufhebung einer Prüfung das weitere Studium verzögerten, zu wirtschaftlichen Nachteilen für den Antragsteller führten und damit unzumutbar wären. Darüber hinaus handle es sich entgegen der Auffassung des Senats der Wirtschaftsuniversität Wien um einen Eingriff in die Rechtssphäre des Antragstellers, weil es um das Recht gehe, weitere Prüfungen zu absolvieren, und die angefochtene Bestimmung daher nicht nur wirtschaftliche, sondern auch rechtliche Nachteile für den Antragsteller mit sich bringe.
5. Im Juli 2011 erstattete der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien eine Stellungnahme, in der er darauf hinweist, dass mit Beschluss der Studienkommission vom 10. Mai 2011 u. a. der angefochtene §6 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften novelliert worden sei. Die Änderung des Studienplanes trete gemäß §26 Abs12 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften am 1. Oktober 2011 in Kraft. Es fehle somit die nicht nur im Zeitpunkt der Antragseinbringung, sondern auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes erforderliche Antragslegitimation.
Außerdem bringt der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien in seiner Stellungnahme vor, dass der Antragsteller alle Prüfungen des §6 Abs1 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften mit 25. Jänner 2011 erfolgreich abgelegt habe und die angefochtene Bestimmung für ihn daher keine rechtlichen Wirkungen (mehr) entfalte, sodass eine aktuelle Betroffenheit nicht vorliege.
II. Rechtslage
§6 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien lautet idF des Beschlusses der Studienkommission vom 24. Juni 2010, genehmigt vom Senat der Wirtschaftsuniversität Wien am 30. Juni 2010, veröffentlicht im Mitteilungsblatt der Wirtschaftsuniversität Wien vom 30. Juni 2010, 41. Stück, Nr. 305, wie folgt:
"§6 Besondere Voraussetzungen für die Zulassung zu Prüfungen im ersten Studienabschnitt
(1) Die Zulassung zu allen weiteren Lehrveranstaltungen und Prüfungen des Bachelorstudiums Wirtschafts- und Sozialwissenschaften setzt die positive Absolvierung der Prüfungen Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Mathematik, Grundlagen der Volkswirtschaftslehre I und Wirtschaft im rechtlichen Kontext - Europäisches und öffentliches Wirtschaftsrecht I voraus.
(2) Die Zulassung zur Prüfung aus Accounting Management Control II setzt die positive Absolvierung der Prüfung aus Accounting Management Control I voraus."
Diese Bestimmung trat in der zitierten Fassung am 1. Oktober 2010 in Kraft (vgl. §26 Abs10 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien). Mit Beschluss der Studienkommission vom 10. Mai 2011, genehmigt vom Senat der Wirtschaftsuniversität Wien am 18. Mai 2011, veröffentlicht im Mitteilungsblatt der Wirtschaftsuniversität Wien vom 25. Mai 2011, 34. Stück, Nr. 228, wurde u.a. §6 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften novelliert. Die Änderung des Studienplanes tritt gemäß §26 Abs12 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften am 1. Oktober 2011 in Kraft; ordentliche Studierende, die vor dem Wintersemester 2011/2012 bereits einmal zum Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften zugelassen waren, sind gemäß §28 Abs4 leg.cit. berechtigt, das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften nach jenem Studienplan abzuschließen, dem sie am 30. September 2011 unterstellt waren.
III. Erwägungen
1. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 Abs1 letzter Satz B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).
2. Der Verfassungsgerichtshof kann die Frage, ob die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers derzeit aktuell beeinträchtigt, dahin gestellt sein lassen. Es steht nämlich dem Antragsteller jedenfalls ein anderer zumutbarer Weg zur Wahrung seiner Rechte offen:
Wie der Senat der Wirtschaftsuniversität Wien zu Recht einwendet, kann der Antragsteller die Zulassung zu einer "weiteren" Lehrveranstaltung bzw. Prüfung iSd §6 Abs1 des Studienplanes für das Bachelorstudium Wirtschafts- und Sozialwissenschaften beantragen. Über diesen Antrag ist bescheidmäßig abzusprechen. Im Zuge eines derartigen Verfahrens böte sich dem Antragsteller Gelegenheit, seine Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit der angefochtenen Vorschrift an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Das Bestehen dieser Rechtsverfolgungsmöglichkeit räumt auch der Antragsteller dem Grunde nach ein, wenn er auch die Unzumutbarkeit dieses Weges mit der Begründung behauptet, er führe zu verlängerten Studienzeiten und damit zu einer "existenziellen Bedrohung".
Diesem Vorbringen des Antragstellers ist jedoch die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes entgegen zu halten, wonach das dem einzelnen Normunterworfenen mit Art139 Abs1 B-VG eingeräumte Rechtsinstrument dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen - gleichsam lückenschließend - nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht, weil man anderenfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit dem Charakter eines Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 11.479/1987 uva.).
Da das Verfahren über das Begehren des Antragstellers parallel zur Absolvierung der in §6 Abs1 des Studienplanes genannten Prüfungen abgewickelt werden könnte und da angesichts der klaren Sach- und Rechtslage ein aufwändiges Verfahren nicht zu erwarten ist, kann auch nicht von einer besonderen Härte (vgl. zB VfSlg. 13.057/1992 mwN; zu wirtschaftlichen Härten zB VfSlg. 8433/1978), insbesondere nicht von einer "existenziellen Bedrohung" für den Antragsteller, gesprochen werden, wenn er auf den erörterten Weg verwiesen wird.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Antrag war sohin zurückzuweisen.
2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.