B575/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung:
I. Sachverhalt, Antragsvorbringen
Mit der auf Art144 B-VG gestützten, zu B1305/98 protokollierten Beschwerde wendete sich der Erstantragsteller gegen den im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Vorarlberger Landesregierung vom 2. Juni 1998, mit dem die Abweisung eines Bauantrages zur Errichtung eines Gästehauses mit Privatwohnung auf dem Grundstück Nr. 578/7, KG Lech, abgewiesen worden war. Tragender Grund der abweisenden Entscheidung war die Überschreitung der im Gesamtbebauungsplan der Gemeinde Lech für das Grundstück festgelegten Baunutzungszahl. Diese Zahl ergibt sich nach der Vbg. Baubemessungsverordnung nach der Formel 100 x (Gesamtgeschoßfläche/Nettogrundfläche), wobei zur Nettogrundfläche nur der als Bauland gewidmete Grundstücksteil zählt. Daher war in diesem Zusammenhang relevant, dass das Grundstück nach dem Flächenwidmungsplan nur zum Teil als Baufläche, zum anderen Teil aber als Freihaltefläche gewidmet war. Der Erstantragsteller begründete seine Beschwerde ausschließlich mit einer von ihm behaupteten Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplans im Hinblick auf diese unterschiedliche Widmung seines Grundstücks.
Mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Juni 2001, B1305/98, wurde die Behandlung der Beschwerde nach Art144 Abs2 B-VG in nichtöffentlicher Sitzung abgelehnt, wobei in der Begründung dargelegt war, warum der Verfassungsgerichtshof die Bedenken des Erstantragstellers im Hinblick auf die Gesetzmäßigkeit der Verordnung nicht teilte. Nachdem auch der Verwaltungsgerichtshof die ihm zur Behandlung abgetretene Beschwerde in nichtöffentlicher Sitzung abgewiesen hatte (Erkenntnis vom 20.3.2003, 2001/06/0105), erhob der Erstantragsteller eine Beschwerde an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wegen Verletzung des Art6 EMRK und des Art1
1. ZPEMRK. Mit Beschluss vom 27. November 2008 erklärte der EGMR die Beschwerde im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Art6 EMRK für zulässig, im Hinblick auf die behauptete Verletzung des Art1
1. ZPEMRK - die der Erstantragsteller wiederum mit der Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplanes bzw. der daraus resultierenden Unmöglichkeit, das Baugrundstück der Einreichung entsprechend zu bebauen, begründet hatte - jedoch für offenbar unzulässig im Sinne des Art35 Abs3 EMRK (idF vor dem 14. ZPEMRK).
Mit dem Urteil vom 14. Oktober 2010, Fall Kugler, Appl. 65631/01, gab der EGMR der Beschwerde teilweise Folge und erkannte, dass der Erstantragsteller in seinem Recht nach Art6 EMRK dadurch verletzt worden sei, dass einerseits das Baubewilligungsverfahren zu lange gedauert habe (Z35 ff.) und andererseits über die behauptete Rechtswidrigkeit des Flächenwidmungsplanes vom Verfassungsgerichtshof trotz entsprechender Antragstellung keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden sei (Z43 ff.). Dem Erstantragsteller wurde nach Art41 EMRK Schadenersatz in Höhe von € 4.000,- sowie zusätzlich ein Prozesskostenersatz in Höhe von € 5.000,- zuerkannt. Ein Antrag der Republik Österreich auf Entscheidung durch die Große Kammer wurde vom Ausschuss nach Art43 Abs2 EMRK nicht angenommen, wodurch das Urteil am 11. April 2011 in Rechtskraft erwuchs. Davon wurde der Rechtsvertreter der Antragsteller mit einem Schreiben des EGMR vom 15. April 2011 informiert, das ihm am 20. April 2011 zugestellt wurde.
Der Erstantragsteller ist mittlerweile nicht mehr Eigentümer des verfahrensgegenständlichen Grundstücks. Laut Grundbuch hat er es mit Kaufvertrag vom 27. August 2008 an die Zweitantragstellerin veräußert. Auf dem Grundstück ist nunmehr ein anderes Bauvorhaben verwirklicht.
Mit dem nunmehrigen Antrag begehren die Antragsteller die Wiederaufnahme des mit dem Beschluss vom 12. Juni 2001 abgeschlossenen Bescheidbeschwerdeverfahrens. Sie stützen dieses Begehren unmittelbar und alleine auf Art41 EMRK.
II. Rechtslage
1. Art41 und 46 EMRK lauten:
"Artikel 41 - Gerechte Entschädigung
Stellt der Gerichtshof fest, dass diese Konvention oder die Protokolle dazu verletzt worden sind, und gestattet das innerstaatliche Recht des beteiligten Hohen Vertragschließenden Teiles nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen dieser Verletzung, so spricht der Gerichtshof der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zu, wenn dies notwendig ist.
[...]
Artikel 46 - Verbindlichkeit und Durchführung der Urteile
(1) Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.
(2) Das endgültige Urteil des Gerichtshofs ist dem Ministerkomitee zuzuleiten; dieses überwacht seine Durchführung.
(3) Wird die Überwachung der Durchführung eines endgültigen Urteils nach Auffassung des Ministerkomitees durch eine Frage betreffend die Auslegung dieses Urteils behindert, so kann das Ministerkomitee den Gerichtshof anrufen, damit er über diese Auslegungsfrage entscheidet. Der Beschluss des Ministerkomitees, den Gerichtshof anzurufen, bedarf der Zweidrittelmehrheit der Stimmen der zur Teilnahme an den Sitzungen des Komitees berechtigten Mitglieder.
(4) Weigert sich eine Hohe Vertragspartei nach Auffassung des Ministerkomitees, in einer Rechtssache, in der sie Partei ist, ein endgültiges Urteil des Gerichtshofs zu befolgen, so kann das Ministerkomitee, nachdem es die betreffende Partei gemahnt hat, durch einen mit Zweidrittelmehrheit der Stimmen der zur Teilnahme an den Sitzungen des Komitees berechtigten Mitglieder gefassten Beschluss den Gerichtshof mit der Frage befassen, ob diese Partei ihrer Verpflichtung nach Absatz 1 nachgekommen ist.
(5) Stellt der Gerichtshof eine Verletzung des Absatzes 1 fest, so weist er die Rechtssache zur Prüfung der zu treffenden Maßnahmen an das Ministerkomitee zurück. Stellt der Gerichtshof fest, dass keine Verletzung des Absatzes 1 vorliegt, so weist er die Rechtssache an das Ministerkomitee zurück; dieses beschließt die Einstellung seiner Prüfung."
2. Die §§530, 531, 536 und 538 ZPO lauten:
"§530. (1) Ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen worden ist, kann auf Antrag einer Partei wieder aufgenommen werden,
1. wenn eine Urkunde, auf welche die Entscheidung gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht ist;
2. wenn sich ein Zeuge, ein Sachverständiger oder der Gegner bei seiner Vernehmung einer falschen Beweisaussage (§288 StGB) schuldig gemacht hat und die Entscheidung auf diese Aussage gegründet ist;
3. wenn die Entscheidung durch eine als Täuschung (§108 StGB), als Unterschlagung (§134 StGB), als Betrug (§146 StGB), als Urkundenfälschung (§223 StGB), als Fälschung besonders geschützter Urkunden (§224 StGB) oder öffentlicher Beglaubigungszeichen (§225 StGB), als mittelbare unrichtige Beurkundung oder Beglaubigung (§228 StGB), als Urkundenunterdrückung (§229 StGB), oder als Versetzung von Grenzzeichen (§230 StGB) gerichtlich strafbare Handlung des Vertreters der Partei, ihres Gegners oder dessen Vertreters erwirkt wurde;
4. wenn sich der Richter bei der Erlassung der Entscheidung oder einer der Entscheidung zugrunde liegenden früheren Entscheidung in Beziehung auf den Rechtsstreit zum Nachteil der Partei einer nach dem Strafgesetzbuch zu ahndenden Verletzung seiner Amtspflicht schuldig gemacht hat;
5. wenn ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf welches die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben ist;
6. wenn die Partei eine über denselben Anspruch oder über dasselbe Rechtsverhältnis früher ergangene, bereits rechtskräftig gewordene Entscheidung auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, welche zwischen den Parteien des wiederaufzunehmenden Verfahrens Recht schafft;
7. wenn die Partei in Kenntnis von neuen Tatsachen gelangt oder Beweismittel auffindet oder zu benützen in den Stand gesetzt wird, deren Vorbringen und Benützung im früheren Verfahren eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.
(2) Wegen der in Z6 und 7 angegebenen Umstände ist die Wiederaufnahme nur dann zulässig, wenn die Partei ohne ihr Verschulden außerstande war, die Rechtskraft der Entscheidung oder die neuen Tatsachen oder Beweismittel vor Schluss der mündlichen Verhandlung, auf welche die Entscheidung erster Instanz erging, geltend zu machen.
§531. Die Wiederaufnahme kann auch zur Ausführung der im Sinne des §279 Absatz 2 von der Verhandlung ausgeschlossenen Beweise bewilligt werden, wenn die Benützung dieser Beweise im früheren Verfahren offenbar eine der Partei günstigere Entscheidung zur Folge gehabt haben würde.
[...]
§536. Die Klage muss insbesondere enthalten:
1. die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung;
2. die Bezeichnung des gesetzlichen Anfechtungsgrundes (Nichtigkeits-, Wiederaufnahmsgrund);
3. die Angabe der Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist für die Klage ergibt, und die Bezeichnung der hiefür vorhandenen Beweismittel;
4. die Angabe der für die Beurteilung der Zuständigkeit wesentlichen Umstände;
5. die Erklärung, inwieweit die Beseitigung der angefochtenen Entscheidung, und welche andere Entscheidung in der Hauptsache beantragt wird.
[...]
§538. (1) Das Gericht hat vor Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Verhandlung, und zwar bei Gerichtshöfen in nicht öffentlicher Sitzung, zu prüfen, ob die Klage auf einen der gesetzlichen Anfechtungsgründe (§§529 bis 531) gestützt und in der gesetzlichen Frist erhoben sei. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse oder ist die Klage wegen eines der im §230 Absatz 2 angeführten Gründe unzulässig, so ist sie als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet durch Beschluss zurückzuweisen.
(2) Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Kläger auf Verlangen des Gerichtes glaubhaft zu machen."
III. Erwägungen
1. Zur Zulässigkeit des Begehrens des Erstantragstellers
Der Erstantragsteller hat das Baugrundstück mittlerweile an die Zweitantragstellerin veräußert und hat im Antrag kein Recht behauptet, dieses weiterhin bebauen zu dürfen. Somit ist die Zweitantragstellerin (Einzel )Rechtsnachfolgerin des Erstantragstellers im Eigentumsrecht am Baugrundstück und damit auch in dem grundsätzlich damit einhergehenden Recht (vgl. §354 ABGB, §25 Abs3 Vbg. BauG, LGBl. 39/1972), das Grundstück zu bebauen, über das im seinerzeitigen Verwaltungsverfahren abgesprochen wurde. Der Erstantragsteller ist damit von den Wirkungen des abweisenden Baubescheides vom 2. Juni 1998 nicht mehr erfasst. Auch der die Beschwerde erledigende Beschluss des Verfassungsgerichtshofes entfaltet daher keine Wirkungen mehr für ihn (VfSlg. 16.676/2002).
Die Bescheid- und Erkenntniswirkungen sind vielmehr mit dem Eigentumserwerb am Baugrundstück auf die Zweitantragstellerin übergegangen, die damit auch prozessual Rechtsnachfolgerin des Erstantragstellers ist. Somit kommt ein zulässiger Wiederaufnahmeantrag jedenfalls nur hinsichtlich der Zweitantragstellerin in Betracht, während die Parteistellung des Erstantragstellers vor dem Verfassungsgerichtshof weggefallen ist. Damit fehlt ihm die Legitimation zur Stellung eines Wiederaufnahmeantrages. Der Antrag ist daher, soweit er vom Erstantragsteller gestellt wurde, unzulässig und nach §34 iVm §19 Abs3 Z2 lite VfGG zurückzuweisen.
2. Zur Zulässigkeit des Begehrens der Zweitantragstellerin
2.1. Nach §34 VfGG kann eine Wiederaufnahme des Verfahrens nur in den Fällen der Art137, 143, 144 und 144a B-VG stattfinden. Über ihre Zulässigkeit entscheidet der Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung. Die Wiederaufnahmegründe richten sich in Ermangelung einer besonderen Regelung im VfGG gemäß §35 leg.cit. nach der ZPO, insbesondere nach deren §§530 und 531. Nach §538 Abs1 ZPO ist eine Wiederaufnahmsklage unzulässig, wenn sich diese nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund stützt.
2.2. Der Antrag stützt sich unmittelbar auf Art41 EMRK. Entgegen dem Antragsvorbringen enthält Art41 EMRK aber - sowohl völkerrechtlich, als auch verfassungsrechtlich - keine Verpflichtung zur Wiederaufnahme von Verfahren. Vielmehr besteht bei der Umsetzung von Urteilen des EGMR ein Handlungsspielraum der Vertragstaaten (Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention4, 2009, 94, Rz 4 f mwN). Dementsprechend existiert auch keine Verpflichtung des österreichischen Gesetzgebers, in jedem Fall der Feststellung einer Rechtsverletzung durch ein Urteil des EGMR eine Wiederaufnahmemöglichkeit vorzusehen (so bereits VfSlg. 16.747/2002, 18.951/2009, 18.952/2009 und kürzlich auch EGMR, 16. 9. 2010, Fall Schelling, Appl. 46128/07). Dies muss insbesondere für Fälle gelten, in denen die festgestellte Konventionsverletzung offenkundig keine Auswirkungen auf den Ausgang des innerstaatlichen Verfahrens hat. Dies folgt im Übrigen nicht nur aus Art41 EMRK, sondern auch aus der - gleichheitsrechtlich relevanten - Überlegung, dass das in zahlreichen österreichischen Verfahrensrechtsordnungen vorgesehene Institut der Wiederaufnahme stets von der Möglichkeit einer anderen Sachentscheidung durch die Verwirklichung eines Wiederaufnahmegrundes ausgeht (vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts8, 2003, Rz 580). Daran ändert nichts, dass der Gesetzgeber mit der Festlegung so genannter absoluter Wiederaufnahmegründe (vor allem in Fällen der Begehung gerichtlich strafbarer Handlungen, die in die Entscheidungsfindung einfließen, zB §530 Abs1 Z1 bis 4 ZPO oder §69 Abs1 Z1 AVG) eine solche Möglichkeit gleichsam unwiderleglich vermutet.
2.3. Weder enthält also Art41 EMRK (allenfalls iVm Art46), auf den sich der Antrag stützt, einen im Verfassungsrang stehenden besonderen unmittelbar anwendbaren Wiederaufnahmegrund, noch wird von den Antragstellern einer der Wiederaufnahmegründe der §§530 f ZPO - ausdrücklich oder auch nur dem Inhalt nach - geltend gemacht. Selbst wenn man also das nationale Recht mit einbezieht, hat die Zweitantragstellerin entgegen §536 Z2 ZPO keinen Wiederaufnahmegrund bezeichnet. Vielmehr enthält der Antrag kein über das seinerzeitige Beschwerdevorbringen hinaus gehendes Tatsachenvorbringen. Dagegen, dass die Feststellung einer Konventionsverletzung einfachgesetzlich nicht generell als Wiederaufnahmegrund normiert ist, bestehen im Lichte der vorstehenden Ausführungen keine Bedenken.
IV. Ergebnis
Da somit der Erstantragsteller durch den im Verfahren B1305/98 bekämpften Bescheid nicht mehr beschwert ist und sich der Wiederaufnahmeantrag insgesamt auf keinen gesetzlichen Wiederaufnahmegrund stützt, ist er unzulässig und war daher gemäß §34 VfGG iVm §19 Abs3 Z2 lite leg. cit. bzw §538 Abs1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen (VfSlg. 18.444/2008).