JudikaturVfGH

SV1/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 2011

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung:

1. Mit seinem auf Art140a B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, "aus Artikel 24 des Auslieferungsvertrages zwischen der Republik Österreich und den Vereinigten Staaten von Amerika die Wortfolgen 'vor und' sowie 'before as well as', in eventu bloß die Wortfolge 'vor und'", als verfassungswidrig aufzuheben und ihm die Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

Weiters wird beantragt, "der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die Wortfolgen 'vor und' bzw. 'before as well as' im Artikel 24 des Auslieferungsvertrages bis zur Entscheidung über diesen Individualantrag nicht angewendet werden dürfen".

2. Aus dem Akteninhalt ergibt sich folgender Sachverhalt:

2.1. Der Antragsteller, ein deutscher Staatsangehöriger, der aufgrund eines in den USA erlassenen gerichtlichen Haftbefehls aus dem Jahr 1997 - u.a. wegen Verstoßes gegen das Artenschutzgesetz - zur Festnahme ausgeschrieben war, reiste am 8. April 2011 nach Österreich ein. Anlässlich der Grenzkontrolle wurde er zufolge der bestehenden Personenfahndung zum Zwecke der Auslieferung festgenommen.

2.2. Mit Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 10. April 2011 wurde über ihn gemäß §29 Abs1 des Bundesgesetzes vom 4. Dezember 1979 über die Auslieferung und die Rechtshilfe in Strafsachen, BGBl. 529/1979 idF BGBl. I 112/2007 (Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz - ARHG), aus dem Haftgrund der Fluchtgefahr die Auslieferungshaft zur Strafverfolgung in den USA verhängt und in der Folge mit Beschluss vom 26. April 2011 fortgesetzt. Am 25. Mai 2011 wurde vom selben Gericht die Aufhebung der Auslieferungshaft unter Anwendung gelinderer Mittel gemäß §173 Abs5 Strafprozessordnung (StPO) beschlossen.

2.3. Da seitens der Behörden der USA innerhalb der vom Bundesministerium für Justiz gesetzten Frist (1. Juni 2011) die Übermittlung der erforderlichen Auslieferungsunterlagen unterblieb, wurde seitens der österreichischen Justizbehörden vom Verzicht auf die Auslieferung ausgegangen; nach Beendigung des Auslieferungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft und mit deren Zustimmung erfolgte mit Beschluss des Landesgerichtes Feldkirch vom 7. Juni 2011 die Aufhebung der Anordnung der gelinderen Mittel gemäß §177 Abs4 StPO.

2.4. Der Antragsteller hat Österreich seinem Vorbringen zufolge zwischenzeitig verlassen.

3. Zu seiner Legitimation bringt er vor, dass das Gerichtsverfahren bereits beendet sei, weshalb ihm kein anderer zumutbarer Weg zur Geltendmachung seiner Bedenken ob der Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Vorschriften offen stehe. Mit Blick auf seine mehrwöchige Anhaltung in Auslieferungshaft und das Fortbestehen des Auslieferungshaftbefehls sei seine direkte Betroffenheit gegeben.

In der Sache vermeint der Antragsteller im Wesentlichen, dass die Regelung des Art24 des Auslieferungsvertrages zwischen der Republik Österreich und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, BGBl. III 216/1999, angesichts der Anordnung der Anwendbarkeit des Vertrages auf vor und nach dessen In-Kraft-Treten begangene strafbare Handlungen gegen das in Art7 EMRK verankerte Rückwirkungsverbot verstoße.

4. Der Antrag ist - auch auf Grundlage seiner Umdeutung in einen solchen auf Feststellung, dass die angefochtene Wortfolge verfassungswidrig ist (vgl. VfSlg. 19.085/2010 [S 734]) - unzulässig.

4.1. Gemäß Art140a Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Rechtswidrigkeit von Staatsverträgen. Dabei ist auf die mit Genehmigung des Nationalrates gemäß Art50 B-VG abgeschlossenen Staatsverträge und die gesetzesändernden oder gesetzesergänzenden Staatsverträge gemäß Art16 Abs1 B-VG der Art140 B-VG, auf alle anderen Staatsverträge der Art139 B-VG anzuwenden.

4.2. Bei dem vom Antragsteller angefochtenen Auslieferungsvertrag handelt es sich um einen gemäß Art50 Abs1 Z1 B-VG idF BGBl. I 2/2008 genehmigten Staatsvertrag, auf den somit Art140 B-VG sinngemäß Anwendung findet.

4.3. Voraussetzung der Antragslegitimation gemäß Art140 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

4.4. Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

4.5. Die Antragslegitimation muss jedenfalls im Zeitpunkt des Ergehens der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs gegeben sein (VfSlg. 16.661/2002).

5. Legt man diese Grundsätze auf den vorliegenden, auf Art140a B-VG gestützten Antrag um, ergibt sich Folgendes:

5.1. Der Antragsteller hatte Gelegenheit, im angeführten Verfahren über die Zulässigkeit der Auslieferung gemäß §31 ARHG insbesondere vor dem gemäß Art89 B-VG zur Vorlage an den Verfassungsgerichtshof legitimierten Gerichtshof zweiter Instanz als Rechtsmittelgericht (§31 Abs6 ARHG idF BGBl. I 112/2007) die Einleitung eines Verfahrens nach Art140a B-VG in Bezug auf die behauptete Verfassungswidrigkeit des Art24 des Auslieferungsvertrages anzuregen. Das Rechtsmittelgericht wäre im Fall, dass es die vorgetragenen Bedenken teilte, verpflichtet gewesen, ein Verfahren gemäß Art140a B-VG beim Verfassungsgerichtshof zu initiieren.

5.2. Dieser Weg wäre dem Antragsteller entgegen seinem Vorbringen auch zumutbar gewesen: Anders als nach der Fassung des ARHG (BGBl. 529/1979 idF BGBl. I 108/2000), die dem zitierten Erkenntnis VfSlg. 16.772/2002 (mit dem der damals normierte Rechtsmittelausschluss gegen gerichtliche Entscheidungen über die Zulässigkeit der Auslieferung für verfassungswidrig erklärt wurde) zugrunde lag, räumt der zwischenzeitig erlassene (und hier maßgebliche) §31 Abs6 ARHG (BGBl. I 15/2004 idF BGBl. I 112/2007) ausdrücklich eine Beschwerdemöglichkeit gegen den Beschluss über die Auslieferung an das Oberlandesgericht ein. Die Beschreitung dieses Weges hat der Antragsteller indes unterlassen, weshalb sich sein Antrag schon deshalb als unzulässig erweist.

6. Auch das weiters vorgetragene Begehren, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die bezeichneten Wortfolgen bis zur Entscheidung über den Individualantrag nicht angewendet werden dürfen, ist zufolge Fehlens einer gesetzlichen Grundlage für eine derartige Maßnahme unzulässig (vgl. hiezu Art139 B-VG betreffend VfSlg. 13.706/1994 mwN; sowie Art140 B-VG betreffend VfSlg. 16.127/2001, 17.520/2005, 18.983/2010).

7. Da die Nichtzuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes offenbar ist, wurde dieser Beschluss gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gefasst.

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