B978/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführer sind durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesministerin für Justiz) ist
schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.620,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahren
1. Mit Gesuch vom 10. Februar 2011 beantragten die Beschwerdeführer beim Bezirksgericht Graz-Ost zu TZ 2113/11 in EZ 13 KG 63110 Engelsdorf die Einverleibung des Eigentumsrechts, die am 16. Februar 2011 im Grundbuch vollzogen wurde. Nach erfolgloser Zahlungsaufforderung hat der Kostenbeamte des Bezirksgerichts Graz-Ost mit Zahlungsauftrag vom 07. April 2011 die Eintragungsgebühr nach Tarifpost (TP) 9 litb Z1 Gerichtsgebührengesetz (in der Folge: GGG) von € 6.533,-- sowie die Einhebungsgebühr gemäß §6 Abs1 GGG von € 8,-- (insgesamt somit € 6.541,--) auf Basis einer nach §26 GGG ermittelten Bemessungsgrundlage von € 593.856,-- zur Zahlung vorgeschrieben.
2. Einem dagegen erhobenen Berichtigungsantrag der Beschwerdeführer, mit welchem verfassungsrechtliche Bedenken gegen §26 GGG insoweit vorgebracht wurden, als dort der für die Berechnung der Eintragungsgebühr maßgebliche Wert mit dem Betrag bestimmt ist, der der Ermittlung der Grunderwerbsteuer zugrunde zu legen wäre, wurde mit Bescheid des Präsidenten des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 30. Juni 2011 nicht stattgegeben. Dagegen richtet sich die auf Art144a B-VG (richtig: Art144 B-VG) gegründete Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof vom 16. August 2011. Die Beschwerdeführer machen darin die Verletzung näher bezeichneter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte infolge Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes geltend und beantragen die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
3. Der Präsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz erstattete als belangte Behörde eine Gegenschrift, in der er beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde zurück-, in eventu abweisen und die Beschwerdeführer zum Kostenersatz verpflichten.
4. Aus Anlass zweier Beschwerden gegen Bescheide des Präsidenten des Landesgerichtes Wien, B1306/09 und B773/10, hat der Verfassungsgerichtshof am 2. März 2011 beschlossen, die Verfassungsmäßigkeit der Absätze 1 und 1a des §26 des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz - GGG), BGBl. Nr. 501 idF BGBl. I Nr. 131/2001, von Amts wegen zu prüfen. Der Verfassungsgerichtshof hatte Bedenken, dass die Anknüpfung der Eintragungsgebühr an die grunderwerbsteuerliche Bemessungsgrundlage zu einer differenzierten Behandlung von verschiedenen Arten des Grundstückserwerbes führt, die mit dem Belastungskonzept der Eintragungsgebühr, die sich gegenwärtig - verfassungsrechtlich zulässig - am Wert des Grundstückes orientiert, nicht vereinbar und daher unsachlich zu sein scheint.
II. Erwägungen
1. Der Verfassungsgerichtshof hat über die -
zulässige - Beschwerde erwogen:
1.1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 21. September 2011, G34/11, die Absätze 1 und 1a des §26 des Bundesgesetzes vom 27. November 1984 über die Gerichts- und Justizverwaltungsgebühren (Gerichtsgebührengesetz - GGG), BGBl. Nr. 501 idF BGBl. I Nr. 131/2001, als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2012 in Kraft.
1.2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlassfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlassfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrunde gelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlassfall (im engeren Sinn), anlässlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988). Im - hier allerdings nicht gegebenen - Fall einer Beschwerde gegen einen Bescheid, dem ein auf Antrag eingeleitetes Verwaltungsverfahren vorausgegangen ist, muss dieser verfahrenseinleitende Antrag überdies vor Bekanntmachung des dem unter Pkt. 1.1. genannten Erkenntnis zugrunde liegenden Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes eingebracht worden sein (VfSlg. 17.687/2005).
1.3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 21. September 2011. Die vorliegende Beschwerde ist beim Verfassungsgerichtshof am 18. August 2011 eingelangt, war also zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihr zugrunde liegende Fall ist somit einem Anlassfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wendete bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführer nachteilig war. Die Beschwerdeführer wurden somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
2. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3. Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG abgesehen.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 220,- enthalten.