JudikaturVfGH

G46/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
29. November 2011

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Mit seinem auf Art140 B-VG gestützten Antrag

begehrt der Antragsteller die "Absätze 3 und 5 des §38 der ÖO Bauordnung 1994 zuletzt geändert durch LGBL. Nr. 36/2008 zur Gänze", in eventu "das Wort 'keine' in §38 Abs5 OÖ Bauordnung zuletzt geändert durch LGBL. Nr. 36/2008 als verfassungswidrig" aufzuheben und ihm die Kosten des Verfahrens zu ersetzen.

2.1. Seine Antragslegitimation begründet der Antragsteller mit folgenden Argumenten: Der Antragsteller sei Eigentümer einer Liegenschaft, welche ca. 8 m von einem Grundstück entfernt liege, auf welchem kürzlich mit Bauarbeiten zur Errichtung eines mehrstöckigen Wohnhauses begonnen worden sei. Der Antragsteller hätte von einer allenfalls durchgeführten Bauverhandlung keine Kenntnis erlangt; vielmehr habe er telefonisch beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz in Erfahrung gebracht, dass dem Bauvorhaben eine Baubewilligung vom 5. Februar 2003 zugrunde liege. Im damaligen Baubewilligungsverfahren wäre dem Rechtsvorgänger des Antragstellers als Liegenschaftseigentümer keine Parteistellung zugekommen, weil die damals in Geltung stehende Bestimmung des §31 Abs1 Z1 OÖ BauO 1994 vorgesehen habe, dass nur die Eigentümer und Miteigentümer der an das zu bebauende Grundstück unmittelbar angrenzenden Grundstücke Parteistellung hätten. Diese Bestimmung sei jedoch vom Verfassungsgerichtshof mit dem Erkenntnis VfSlg. 17.593/2005 als verfassungswidrig aufgehoben worden. Dies bedeute, dass dem Antragsteller nach der nunmehrigen Rechtslage in einem Baubewilligungsverfahren jedenfalls Parteistellung zukommen würde.

Die am 5. Februar 2003 erteilte Baubewilligung sei jedoch, wie dem Anragsteller über dessen Nachfragen telefonisch mitgeteilt wurde, vom Magistrat der Landeshauptstadt Linz zweimal, nämlich im Jahre 2006 und im Jahre 2009, jeweils um die Höchstfrist von drei Jahren verlängert worden. Das Vorliegen einer Baubewilligung und das Vorliegen jener Bescheide, durch die zweimal die Baubewilligung verlängert wurde, sei dem Antragsteller in keiner Weise bekannt gewesen; davon habe er erst erfahren, als er sich nach Beginn der Bauarbeiten telefonisch beim Magistrat der Landeshauptstadt Linz erkundigt habe. Die Bekanntgabe einer Geschäftszahl sei ihm mit Hinweis auf seine fehlende Parteistellung verweigert worden.

Der Antragsteller sieht sich durch den

undifferenzierten Ausschluss der Parteistellung des Nachbarn in den Verfahren betreffend die Fristverlängerung der Baubewilligung in den angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen in seinen Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzt. §38 Abs3 OÖ BauO 1994 sehe nämlich ua. vor, dass die Frist für den Beginn der Bauausführung über Antrag des Bauwerbers angemessen zu verlängern ist, wenn das Bauvorhaben dem zur Zeit der Verlängerung geltenden Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan entspricht. Dadurch, dass es der Behörde vorbehalten bleibe, ohne Beiziehung allfälliger Nachbarn über diese Frage abzusprechen, werde eben ein solcher Nachbar massiv benachteiligt, indem er dem "Gutdünken" der zur Entscheidung berufenen Behörde ausgeliefert sei. Vielmehr müsste man nach Ansicht des Antragstellers jedenfalls bei einer Änderung der Rechtslage (also einer Änderung auf gesetzlicher Ebene, aber auch des Bebauungsplanes oder des Flächenwidmungsplanes) eine neue Bauverhandlung durchführen. Gäbe es die vom Antragsteller als verfassungswidrig erachteten Bestimmungen in der ÖO BauO 1994 nicht, dann wäre dem Antragsteller in einem neuerlich durchzuführenden Bauverfahren Parteistellung zugekommen.

2.2. Der Antragsteller hält auch nicht für zumutbar, die angefochtenen Bestimmungen im Rahmen eines Bescheidbeschwerdeverfahrens zu bekämpfen. Diese würden für ihn unmittelbar und ohne Erlassung eines Bescheides wirksam. Dem Antragsteller sei mangels Kenntnis vom Vorliegen eines Baubewilligungsbescheides und der Fristverlängerungsbescheide zu keiner Zeit die Möglichkeit offengestanden, einen Bescheid zu erwirken.

Ein Antrag auf Zustellung der Baubewilligung bzw. der Verlängerungsbescheide mit der Behauptung, der Antragsteller sei übergangene Partei, wäre aufgrund des gesetzlich vorgesehenen Ausschlusses der Parteistellung des Nachbarn in einem Verfahren nach §38 OÖ BauO 1994 mutwillig und von vorneherein abzuweisen; es bestehe die Gefahr der Verhängung einer Mutwillensstrafe nach §35 AVG, was dem Antragsteller unzumutbar sei.

3. Die Oberösterreichische Landesregierung erstattete eine Äußerung, mit der sie die Zurückweisung, in eventu die Abweisung des Antrages begehrte.

II. Rechtslage

1. §38 Abs1 bis 4 der Oberösterreichischen

Bauordnung 1994 (OÖ BauO 1994), LGBl. Nr. 66 idF

LGBl. Nr. 70/1998, lautet:

"§38

Erlöschen der Baubewilligung

(1) Die Baubewilligung erlischt mit Ablauf von drei Jahren nach dem Eintritt der Rechtskraft des Bewilligungsbescheides, wenn nicht innerhalb dieser dreijährigen Frist mit der Bauausführung begonnen wurde.

(2) Wird mit der Bauausführung innerhalb der dreijährigen Frist begonnen, erlischt die Baubewilligung, wenn das Bauvorhaben nicht innerhalb von fünf Jahren nach Beginn der Bauausführung fertiggestellt wurde.

(3) Die Frist für den Beginn der Bauausführung ist über Antrag des Bauwerbers angemessen zu verlängern, wenn das Bauvorhaben dem zur Zeit der Verlängerung geltenden Flächenwidmungsplan und Bebauungsplan entspricht und der Bauwerber überdies glaubhaft macht, daß sich der Beginn der Bauausführung ohne sein Verschulden verzögert hat.

(4) Die Frist für die Fertigstellung des Bauvorhabens ist über Antrag des Bauwerbers angemessen zu verlängern, wenn er glaubhaft macht, daß er an der rechtzeitigen Fertigstellung gehindert war und die Fertigstellung innerhalb der Nachfrist möglich ist.

(5) In den Verfahren um Fristverlängerung gemäß Abs3 und 4 kommt den Nachbarn keine Parteistellung zu."

2. §35 des Allgemeinen

Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG), BGBl. Nr. 51 idF BGBl. I Nr. 137/2001, lautet:

"Mutwillensstrafen

§35. Gegen Personen, die offenbar mutwillig die Tätigkeit der Behörde in Anspruch nehmen oder in der Absicht einer Verschleppung der Angelegenheit unrichtige Angaben machen, kann die Behörde eine Mutwillensstrafe bis 726 Euro verhängen."

III. Erwägungen

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

2. Der Antragsteller erachtet sich nach seinem Antrag durch die angefochtenen gesetzlichen Bestimmungen in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG ua.) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzt. Diese Verletzung sieht er nach der Antragsbegründung allein dadurch gegeben, dass ihm in einer spezifischen Situation (eine als verfassungswidrig erkannte Bestimmung bewirkte, dass er auch im ursprünglichen Bewilligungsverfahren nicht Nachbar und damit nicht Partei war) im Verfahren über die Verlängerung einer Baubewilligung nach §38 Abs3 OÖ BauO 1994 keine Parteistellung zukommt. Im Hinblick auf die Verlängerungsmöglichkeit an sich (also §38 Abs3 OÖ BauO 1994) ist der Antragsbegründung keine Behauptung einer Rechtsverletzung zu entnehmen. Daher fehlt hinsichtlich des §38 Abs3 OÖ BauO 1994 schon die Behauptung einer Rechtsverletzung, so dass der Antrag insoweit jedenfalls zurückzuweisen ist.

3. Aber auch darüber hinaus ist der Antrag nicht zulässig. Der Antragsteller erwähnt selbst die ihm offen stehende Möglichkeit, die Zustellung des Bescheides über die Verlängerung der Baubewilligung zu beantragen. Sein Argument, dies sei ihm nicht zumutbar, weil ihm sonst die Verhängung einer Mutwillensstrafe nach §35 AVG drohe, ist nicht überzeugend. Die Verhängung einer solchen Strafe setzt dem Wortlaut des (hier allein in Betracht kommenden) ersten Tatbestandes nach eine offenbar mutwillige Inanspruchnahme der Behörde voraus. Dies ist dann gegeben, wenn an der Aussichtslosigkeit des gestellten Antrages kein Zweifel besteht (Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I² (1998), §35 AVG, E 9). Ein Antrag, der in der erkennbaren Absicht gestellt wird, eine Sache letztlich im Wege einer Beschwerde nach Art144 B-VG wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, kann jedenfalls dann nicht als offenbar mutwillig im Sinne des §35 AVG angesehen werden, wenn wie hier noch keine Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes vorliegt, durch die die Rechtskonformität der Norm als gegeben anzusehen ist.

Aus dem Antrag geht auch hervor, dass der Antragsteller in der Lage ist, den zuletzt die Verlängerung der Baubewilligung aussprechenden Bescheid in einem Ausmaß zu umschreiben, wie es für die Erhebung der soeben genannten Rechtsbehelfe (jedenfalls eines Antrages auf Zustellung) erforderlich ist. Die Kenntnis einer Geschäftszahl ist dafür nicht erforderlich, vielmehr sind dafür die Grundstücksnummer und das Jahr der Erlassung als ausreichend anzusehen.

IV. Ergebnis

Im Hinblick auf §38 Abs3 OÖ BauO 1994 fehlt dem Antrag die Behauptung einer Verletzung von Rechten des Antragstellers. Was §38 Abs5 OÖ BauO 1994 anlangt, ist dem Antragsteller der Weg, zunächst einen Antrag auf Zustellung des Bescheides nach §38 Abs3 leg.cit. zu erwirken, zumutbar. Aus dem letztgenannten Grund ist auch der nur auf ein Wort in §38 Abs5 OÖ BauO 1994 gerichtete Eventualantrag unzulässig, sodass der Antrag zur Gänze zurückzuweisen war.

Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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