JudikaturVfGH

G65/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
03. Dezember 2011

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. Antragsvorbringen

1. Der Antragsteller begehrt mit auf Art140 Abs1 B-VG gestütztem Individualantrag, §33 Abs4 Z1 und den Ausdruck "Abs4 Z1" in §124b Z182 des Einkommensteuergesetzes 1988 (in der Folge: EStG 1988), BGBl. 400, idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 (in der Folge: BBG 2011), BGBl. I 111/2010, in eventu Art58 Z20 BBG 2011 als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Hinsichtlich der Prozessvoraussetzungen räumt der Antragsteller zwar ein, dass der Steuerpflichtige einen Bescheid über die Einkommensteuer erlangen und auf diesem Weg seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften an den Verfassungsgerichtshof herantragen könnte. Nach Auffassung des Antragstellers ist dieser Weg jedoch aus folgenden Gründen nicht zumutbar: Einen letztinstanzlichen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2011 könne ein Steuerpflichtiger erst im Jahr 2012 erwirken. Beim Verfassungsgerichtshof sei jedoch bereits ein (zu G27/11 protokollierter) Antrag der Kärntner Landesregierung anhängig, mit dem ebenfalls §33 Abs4 Z1 und der Ausdruck "Abs4 Z1" in §124b Z182 EStG 1988 angefochten werden. Im Falle einer Aufhebung dieser Bestimmungen durch den Verfassungsgerichtshof wäre das aufgehobene Gesetz auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis nicht ausspricht, dass das aufgehobene Gesetz nicht mehr anzuwenden ist. Ein solcher Ausspruch sei jedoch nicht mit Sicherheit zu erwarten, zumal die Kärntner Landesregierung in ihren Antrag kein darauf gerichtetes Begehren aufgenommen habe. Damit müsste ein Steuerpflichtiger trotz Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmung den Rechtsnachteil für die Zeit bis zum In-Kraft-Treten der Aufhebung endgültig tragen. Dieser Effekt würde sogar noch verschlimmert, sollte der Verfassungsgerichtshof für das Außer-Kraft-Treten der angefochtenen Bestimmungen eine Frist festsetzen. Es sei nicht zumutbar, einen Rechtsschutzsuchenden auf einen Umweg zu verweisen, auf dem er Gefahr läuft, eben deswegen den Rechtsnachteil zu erleiden, zu dessen Vermeidung ihm die Verfassung ein Instrument in die Hand gibt. Es könne auch nicht mehr von einer zu vermeidenden Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes die Rede sein, da die verfassungswidrige Bestimmung zu dem Zeitpunkt, zu dem frühestens eine Bescheidbeschwerde eingebracht werden könnte, für den Betroffenen bereits unangreifbar wäre. Die theoretische Möglichkeit, dass der Verfassungsgerichtshof das Gesetz rückwirkend aufheben könnte, müsse im Rahmen der Zumutbarkeitsabwägungen außer Betracht bleiben.

3. In der Sache bringt der Antragsteller im Wesentlichen vor, dass die durch das BBG 2011 novellierte Fassung des §33 Abs4 Z1 EStG 1988 zu einer Verletzung des aus dem Gleichheitssatz abzuleitenden Vertrauensschutzes führe, eine unsachliche Gleichbehandlung von Pensionistenhaushalten und Erwerbstätigenhaushalten im Hinblick auf die Gewährung des Alleinverdienerabsetzbetrages darstelle und in unsachlicher Weise die Minderung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit durch Unterhaltspflichten unberücksichtigt lasse.

II. Rechtslage

§33 Abs4 EStG 1988 lautet idF des BBG 2011

(auszugsweise) wie folgt (die angefochtene Z1 ist hervorgehoben):

"Darüber hinaus stehen folgende Absetzbeträge zu:

1. Alleinverdienenden steht ein Alleinverdienerabsetzbetrag zu. Dieser beträgt jährlich

Dieser Betrag erhöht sich für das dritte und jedes weitere Kind (§106 Abs1) um jeweils 220 Euro jährlich.

Alleinverdienende sind Steuerpflichtige mit

mindestens einem Kind (§106 Abs1), die mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragene Partner sind und von ihren unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten oder eingetragenen Partnern nicht dauernd getrennt leben oder die mehr als sechs Monate mit einer unbeschränkt steuerpflichtigen Person in einer Lebensgemeinschaft leben. Für Steuerpflichtige im Sinne des §1 Abs4 ist die unbeschränkte Steuerpflicht des Ehegatten oder eingetragenen Partners nicht erforderlich. Voraussetzung ist, dass der (Ehe )Partner (§106 Abs3) Einkünfte von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt. Die nach §3 Abs1 Z4 lita, weiters nach §3 Abs1 Z10, 11 und 32 und auf Grund zwischenstaatlicher oder anderer völkerrechtlicher Vereinbarungen steuerfreien Einkünfte sind in diese Grenzen mit einzubeziehen. Andere steuerfreie Einkünfte sind nicht zu berücksichtigen. Der Alleinverdienerabsetzbetrag steht nur einem der (Ehe )Partner zu. Erfüllen beide (Ehe )Partner die Voraussetzungen im Sinne der vorstehenden Sätze, hat jener (Ehe )Partner Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag, der die höheren Einkünfte im Sinne der Z1 erzielt. Haben beide (Ehe )Partner keine oder gleich hohe Einkünfte im Sinne der Z1, steht der Absetzbetrag dem haushaltsführenden (Ehe )Partner zu.

2. - 3. ..."

Die In-Kraft-Tretens-Bestimmung des §124b Z182

EStG 1988 idF des BBG 2011, lautet (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):

"§16 Abs1 Z6, §26 Z5, §33 Abs4 Z1, Abs6, 8 und 9, §34 Abs6, §35 Abs1, §40 und §76 Abs1, jeweils in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011, BGBl. I Nr. 111/2010, sind anzuwenden, wenn

Mit dem (mit Eventualantrag angefochtenen) Art58 Z20 BBG 2011 wird angeordnet, dass "§34 Abs7 Z3 [EStG 1988] entfällt". §34 Abs7 Z3 EStG 1988 idF vor dem BBG 2011 normiert, dass "Unterhaltsleistungen für den (Ehe)Partner

(§106 Abs3) ... durch den Alleinverdienerabsetzbetrag abgegolten

[sind]".

III. Erwägungen

1. Voraussetzung der Antragslegitimation ist

einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, dass das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 11.868/1988, 15.632/1999, 16.616/2002, 16.891/2003).

Ein solcher zumutbarer Weg besteht grundsätzlich

dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist oder anhängig gemacht werden kann, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahren durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Wie der Verfassungsgerichtshof in Zusammenhang mit nach Art139 und 140 B-VG gestellten Individualanträgen mehrfach ausgeführt hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände das Recht auf Einbringung eines Verordnungs- oder Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 11.344/1987, 18.182/2007).

2. Der Antragsteller räumt selbst ein, dass der Steuerpflichtige einen Bescheid über die Einkommensteuer erlangen und auf diesem Weg seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der dem Bescheid zugrunde liegenden Rechtsvorschriften, darunter auch der angefochtenen Wortfolgen, an den Verfassungsgerichtshof herantragen könnte. Der Antragsteller vertritt hiezu jedoch die Rechtsauffassung, der Weg über ein verwaltungsbehördliches Verfahren sei ihm nicht zumutbar, weil beim Verfassungsgerichtshof bereits ein (zu G27/11 protokollierter) Antrag der Kärntner

Landesregierung anhängig sei, mit dem ebenfalls §33 Abs4 Z1 und der Ausdruck "Abs4 Z1" in §124b Z182 EStG 1988 angefochten werden; im Falle der Aufhebung wären die aufgehobenen Gesetzesbestimmungen auf die vor der Aufhebung verwirklichten Tatbestände weiterhin anzuwenden, sofern der Verfassungsgerichtshof nicht anderes ausspricht, sodass der Antragsteller den Rechtsnachteil trotz Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Wortfolgen endgültig zu tragen hätte.

3. Dem ist zunächst ganz allgemein die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes entgegenzuhalten, wonach das dem einzelnen Normunterworfenen mit Art140 Abs1 B-VG eingeräumte Rechtsinstrument dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen - gleichsam lückenschließend - nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hierfür nicht zur Verfügung steht, weil man anderenfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes gelangte, die mit dem Charakter eines sogenannten Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 11.479/1987, 15.927/2000, 16.614/2002, 18.796/2009 uva.). Auf den vorliegenden Fall bezogen kann weiters auch von ins Gewicht fallenden Nachteilen, insbesondere einer besonderen Härte für den Antragsteller (siehe dazu zB VfSlg. 17.636/2005, 18.151/2007) nicht gesprochen werden, wenn er auf den erörterten Weg verwiesen wird, zumal der Verfassungsgerichtshof über den vom Antragsteller erwähnten Antrag der Kärntner Landesregierung bereits mit Erkenntnis vom 29. September 2011, G27/11, entschieden hat.

Dem Antragsteller steht somit die Möglichkeit offen, seine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Rechtsgrundlagen der ihn betreffenden Einkommensteuer im Rahmen einer Beschwerde gemäß Art144 B-VG an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Damit erweist sich der Antrag schon mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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