JudikaturVfGH

G44/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
03. Dezember 2011

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. Antragsvorbringen

1. Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten (Individual)Antrag begehrt das antragstellende Kreditinstitut die Aufhebung des ersten Satzes des §1 Stabilitätsabgabegesetz (in der Folge: StabAbgG) in der Fassung des Budgetbegleitgesetzes 2011 (in der Folge: BBG 2011), BGBl. I 111/2010, in eventu die Aufhebung des §2 Abs2 Z1 StabAbgG, der Wortfolge "unkonsolidierte Bilanzsumme" in §2 Abs1 und Abs2 StabAbgG, der Wortfolge "einer Milliarde Euro überschreiten und" in §3 Z1 StabAbgG und des Wortes "unkonsolidierte" in §2 Abs1 und Abs2 StabAbgG als verfassungswidrig.

2. Zur Begründung der Antragslegitimation wird wörtlich Folgendes ausgeführt:

"Gemäß §6 Abs1 StabAbgG sind wir als Kreditinstitut Abgabenschuldner iSd §1 StabAbgG. Die Abgabenschuld entsteht mit 1. Jänner des Kalenderjahres, für das die Abgabe zu entrichten ist; erstmals 2011 (§6 Abs2 StabAbgG - auf die Sonderregelung für den Fall der Neugründung braucht hier nicht eingegangen werden). Zwar ist im §7 Abs1 StabAbgG vorgesehen, dass bis zum 31. Oktober des Kalenderjahres, für das die Abgabe zu berechnen ist, eine Abgabenerklärung abzugeben ist, wodurch es dann in der Folge zu Bescheiden kommen wird, wobei sowohl das Finanzamt als auch der Unabhängige Finanzsenat 6 Monate bis zur Entscheidung ohne weiteres verstreichen lassen kann (auf weitere Erstreckungsmöglichkeiten im Abgabenverfahren - vgl. §276 BAO - sei hier lediglich verwiesen), allenfalls weitere 3 bis 4 Monate, wenn das Vorverfahren beim Verwaltungsgerichtshof infolge einer Beschwerde gemäß Art132 B-VG eingeleitet wird. Andererseits sieht §7 Abs2 StabAbgG vor, dass die Abgabe vom Kreditinstitut selbst zu berechnen ist und vierteljährlich zum 31. Jänner, 30. April, 31. Juli und 31. Oktober zu gleichen Teilen zu entrichten ist, wobei für das erste Jahr, für das die Abgabe zu berechnen ist, die Regelung des §5 den Durchschnitt der Verhältnisse im Jahre 2010 für maßgeblich erklärt und dies auch in der Folge für weitere drei Jahre gilt."

Das antragstellende Kreditinstitut habe daher am 31. Jänner 2011 eine Abgabe in der Höhe von 1,5 Mio. Euro an das zuständige Finanzamt abgeführt, da es sich sonst "wegen Abgabenhinterziehung nach §33 Abs3 litb FinStrG strafbar gemacht hätte", für seine Organe die Gefahr einer Freiheitsstrafe bestanden habe und die Haftung für diese Strafen gemäß §28 FinStrG drohte.

Das antragstellende Kreditinstitut sieht sich damit vor die Wahl gestellt, entweder ein Strafverfahren erdulden zu müssen oder die Abgabe sofort abzuführen. Dadurch erleide es jedenfalls einen nicht mehr abwendbaren Schaden; das Warten auf einen Veranlagungsbescheid würde zudem den Zeitraum, in dem es die Abgabe abzuführen gehabt hätte, über Jahre weiter ausdehnen. Der dadurch entstandene Zinsenschaden bliebe dennoch, da kein Amtshaftungsanspruch bestehe.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie primär die Zurückweisung des Antrags begehrt. Sie pflichtet zwar dem antragstellenden Kreditinstitut bei, dass die Provokation eines Strafverfahrens unzumutbar ist, ist jedoch der Ansicht, dass mit §201 BAO ein anderer, zumutbarer Weg zur Geltendmachung der behaupteten Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Bestimmungen zur Verfügung steht, da es sich bei der nach §7 Abs2 StabAbgG zu entrichtenden Abgabe um eine Selbstbemessungsabgabe handle.

II. Rechtslage

1. Die maßgeblichen Bestimmungen des StabAbgG, BGBl. I 111/2010, lauten (die angefochtenen Bestimmungen sind hervorgehoben):

"Steuergegenstand

§1. Der Stabilitätsabgabe unterliegt der Betrieb von Kreditinstituten. Kreditinstitute im Sinne dieses Bundesgesetzes sind solche, die über eine Konzession nach dem Bankwesengesetz (BWG), BGBl. Nr. 532/1993, verfügen und Zweigstellen von ausländischen Kreditinstituten, die gemäß BWG berechtigt sind, Dienstleistungen im Wege einer Zweigstelle in Österreich anzubieten. BV-Kassen im Sinne des Betrieblichen Mitarbeiter- und Selbständigenvorsorgegesetzes (BMSVG), BGBl. I Nr. 100/2002, sind keine Kreditinstitute im Sinne dieses Bundesgesetzes.

Bemessungsgrundlage der Abgabe

§2. (1) Bemessungsgrundlage für die Stabilitätsabgabe ist die durchschnittliche unkonsolidierte Bilanzsumme (Abs2) des Kreditinstitutes, vermindert um die in Abs2 genannten Beträge. Für die Kalenderjahre 2011, 2012 und 2013 ist die durchschnittliche unkonsolidierte Bilanzsumme jenes Geschäftsjahres zugrunde zu legen, das im Jahr 2010 endet. Ab dem darauf folgenden Kalenderjahr ist die durchschnittliche unkonsolidierte Bilanzsumme jenes Geschäftsjahres, das im Jahr vor dem Kalenderjahr endet, für das die Stabilitätsabgabe zu entrichten ist, zugrunde zu legen.

(2) Die durchschnittliche unkonsolidierte Bilanzsumme errechnet sich aus dem arithmetischen Mittel der für die ersten drei Kalendervierteljahre des Geschäftsjahres übermittelten Vermögensausweise gemäß §74 BWG und der Bilanzsumme des Jahresabschlusses des Geschäftsjahres. Die Bilanzsumme des Kreditinstitutes ist nach den Vorschriften des §43 ff BWG und der Anlage 2 zu §43 BWG zu ermitteln. Die Bilanzsumme des Jahresabschlusses und die Vermögensausweise gemäß §74 BWG sind dabei jeweils um folgende Beträge zu vermindern:

1. gesicherte Einlagen gemäß §93 BWG;

2. gezeichnetes Kapital und Rücklagen;

3. Verpflichtungen gegenüber Kreditinstituten, soweit diese aus der Erfüllung des Liquiditätserfordernisses gemäß §25 BWG entstanden sind. Eine Verminderung ist nur in jenem Ausmaß zulässig, als Forderungen an das Zentralinstitut oder ein anderes Kreditinstitut im Sinne des §25 Abs13 BWG bestehen, die der Erfüllung der eigenen Liquiditätshaltungspflicht gemäß §25 BWG dienen und das Zentralinstitut oder das andere Kreditinstitut im Sinne des §25 Abs13 BWG der Stabilitätsabgabe gemäß diesem Bundesgesetz oder einer vergleichbaren Abgabe in einem Mitgliedstaat (§2 Z5 BWG) unterliegt;

4. Verbindlichkeiten und andere Passivposten von Kreditinstituten, die der Europäischen Kommission nach den unionsrechtlichen Vorschriften über staatliche Beihilfen gemäß Art107 ff AEUV einen Abwicklungs- oder Restrukturierungsplan vorzulegen haben, sofern das Kreditinstitut abgewickelt wird und kein Neugeschäft abgeschlossen werden darf; dies umfasst auch Verbindlichkeiten von Kreditinstituten aus Anleiheemissionen, deren Gegenwert solchen Kreditinstituten zur Verfügung gestellt wurde und diese Transaktion Teil des Restrukturierungsplanes ist;

5. Verbindlichkeiten, für die der Bund die Haftung nach dem Ausfuhrfinanzierungsförderungsgesetz 1981, (AFFG), BGBl. Nr. 216/1981, übernommen hat sowie Verbindlichkeiten aus Guthaben des Bundes auf dem gemäß §7 Ausfuhrförderungsgesetz, (AusFG), BGBl. Nr. 215/1981, eingerichteten Konto;

6. Verbindlichkeiten auf Grund von Treuhandgeschäften, für die das Kreditinstitut lediglich das Gestionsrisiko trägt, soweit sie in der Bilanzsumme enthalten sind.

(3) Bei ab dem Jahr 2010 neu gegründeten Kreditinstituten, die nicht unter Abs5 fallen, ist die durchschnittliche unkonsolidierte Bilanzsumme jenes Geschäftsjahres, das im Jahr vor dem Kalenderjahr endet, für das die Stabilitätsabgabe zu entrichten ist, zugrunde zu legen.

(4) Kommen in einem Kalenderjahr mehrere Bilanzsummen des Jahresabschlusses als Bemessungsgrundlage in Betracht, dann ist jener Jahresabschluss maßgebend, der für das zuletzt im Kalenderjahr endende Geschäftsjahr aufgestellt wird. Endet in einem Kalenderjahr kein Geschäftsjahr, dann ist die Bilanzsumme der Eröffnungsbilanz maßgebend. Bei einem Rumpfgeschäftsjahr ist Abs1 letzter Satz entsprechend der Anzahl der vorhandenen Kalendervierteljahre sinngemäß anzuwenden.

(5) Ist im Zeitraum zwischen dem nach Abs1 maßgeblichen Bilanzstichtag und dem Jahr, für das die Stabilitätsabgabe zu entrichten ist, Vermögen durch eine Umgründung im Sinne des Umgründungssteuergesetzes (UmgrStG), BGBl. Nr. 699/1991, auf ein Kreditinstitut im Sinne des §1 übergegangen, erfolgt eine Erfassung dieses Vermögens beim Rechtsnachfolger. Beim Rechtsvorgänger ist dieses Vermögen zum Abzug zu bringen.

(6) Für Kreditinstitute gemäß §1 mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat (§2 Z5 BWG), die in Österreich im Wege einer Zweigstelle tätig sind, ist eine fiktive Bilanzsumme des dieser Zweigstelle zuzurechnenden Geschäftsvolumens nach den Bestimmungen des Abs1 bis 5 zu errechnen und bildet diese die Bemessungsgrundlage.

Höhe der Stabilitätsabgabe

§3. Die Stabilitätsabgabe beträgt für jene Teile der Bemessungsgrundlage gemäß §2,

1. die einen Betrag von einer Milliarde Euro überschreiten und 20 Milliarden Euro

nicht überschreiten, 0,055%,

2. die einen Betrag von 20 Milliarden Euro

überschreiten, 0,085%.

...

Abgabenschuldner und Abgabenschuld

§6. (1) Abgabenschuldner ist das Kreditinstitut im Sinne des §1.

(2) Die Abgabenschuld entsteht mit 1. Jänner des Kalenderjahres, für das die Stabilitätsabgabe zu entrichten ist. Abweichend davon entsteht die Abgabenschuld bei unterjähriger Neugründung eines Kreditinstitutes mit der Eintragung des Kreditinstitutes im Firmenbuch.

(3) Bei unterjähriger Begründung oder Beendigung der Abgabepflicht ist die Stabilitätsabgabe anteilig nach der Zahl der vollen Kalendermonate zu entrichten, in denen die Steuerpflicht im Kalenderjahr bestanden hat.

Erhebung der Abgabe

§7. (1) Jedes Kreditinstitut im Sinne des §1 hat bis zum 31. Oktober des Kalenderjahres, für das die Stabilitätsabgabe zu berechnen ist, eine Abgabenerklärung über die Stabilitätsabgabe abzugeben. Dies hat elektronisch zu erfolgen. Der Bundesminister für Finanzen wird ermächtigt, den Inhalt und das Verfahren der elektronischen Übermittlung mit Verordnung festzulegen. In der Verordnung kann vorgesehen werden, dass sich der Abgabenschuldner einer bestimmten öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Übermittlungsstelle zu bedienen hat.

(2) Die Stabilitätsabgabe ist vom Kreditinstitut selbst zu berechnen und vierteljährlich jeweils bis zum 31. Jänner, 30. April, 31. Juli und 31. Oktober zu gleichen Teilen zu entrichten (Fälligkeitstage). Soweit sich aus der Abgabenerklärung und dem Betrag, der den vierteljährlichen Zahlungen zu Grunde gelegt wird, ein Unterschiedsbetrag ergibt, mindert oder erhöht dieser die Zahlung am 31. Oktober entsprechend.

(3) Bei Neugründung eines Kreditinstitutes nach dem 31. Oktober eines Kalenderjahres ist die Stabilitätsabgabe dieses Kalenderjahres erstmals zum 31. Jänner des Folgejahres zu entrichten. Die Abgabenerklärung für dieses Kalenderjahr ist bis zum 31. Jänner des Folgejahres abzugeben."

III. Erwägungen

Der Antrag ist unzulässig.

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeiten in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss

VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

2. Ein solcher zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normprüfungsverfahrens durch den Verfassungsgerichtshof anzuregen. Wie der Verfassungsgerichtshof in Zusammenhang mit nach Art139 und 140 B-VG gestellten Individualanträgen mehrfach ausgeführt hat, ist der Partei in einem solchen Fall nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände das Recht auf Einbringung eines Verordnungs- oder Gesetzesprüfungsantrages eingeräumt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht im Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 11.344/1987, 18.182/2007).

3. Zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Individualantrag ist beim Verfassungsgerichtshof zu B886/11 eine Bescheidbeschwerde des antragstellenden Kreditinstitutes protokolliert, die sich gegen einen Bescheid betreffend die Festsetzung der Stabilitätsabgabe gemäß §201 BAO richtet. Es fehlt daher schon aus diesem Grund an einer der für die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG geforderten Voraussetzungen.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Antrag ist daher mangels Antragslegitimation als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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