JudikaturVfGH

G204/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 2011

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. Sachverhalt

1. Vor dem Oberlandesgericht Wien (im Folgenden: OLG Wien) ist ein Verfahren über eine Klage der beteiligten Partei auf Zuerkennung einer Betriebsrente nach dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz, BGBl. 559/1978 idF BGBl. I 31/2007 (im Folgenden: BSVG), anhängig.

2. Dem beim antragstellenden OLG Wien anhängigen Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

2.1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens war von Beruf Richter und bezieht seit 2004 einen Ruhegenuss nach dem Pensionsgesetz. Als Inhaber eines landwirtschaftlichen Betriebes ist er in der Unfallversicherung nach dem BSVG pflichtversichert. Er erlitt nach Vollendung des 65. Lebensjahres am 16. Mai 2008 bei Arbeiten in der Landwirtschaft einen Arbeitsunfall.

2.2. Für die Folgen dieses Arbeitsunfalls begehrte der Kläger des Ausgangsverfahrens vom beklagten Sozialversicherungsträger (Sozialversicherungsanstalt der Bauern - SVB) die Gewährung einer Betriebsrente gemäß §149d BSVG. Das Landesgericht Korneuburg als Arbeits- und Sozialgericht hat das Klagebegehren mit Urteil vom 18. Juni 2010 mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger bereits einen Ruhegenuss als öffentlicher Bediensteter beziehe und daher nach dem klaren Wortlaut des §149d BSVG keinen Anspruch auf eine Betriebsrente habe.

3. Aus Anlass der Behandlung der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung stellt das OLG Wien mit Beschluss vom 25. November 2010 den auf Art89 Abs2 B-VG (iVm Art140 Abs1 B-VG) gestützten Antrag, in §149d Abs1 Z2 BSVG idF der 32. BSVG-Novelle BGBl. I 31/2007, die Wortfolgen "oder einem anderen" und "keinen Ruhegenuss" sowie "oder im Falle eines Pensionsanspruches aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG oder der Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG oder eines Ruhegenusses wegen Dienstunfähigkeit das Regelpensionsalter nicht erreicht hat" als verfassungswidrig aufzuheben. Das OLG Wien hegt gegen die angefochtenen Gesetzesstellen aus dem Blickwinkel des Gleichheitssatzes im Wesentlichen das folgende Bedenken:

"Sachlich nicht gerechtfertigt erscheint, dass die Betriebsrente infolge der Änderung des §149d Abs1 BSVG durch das BGBl I Nr. 31/2007 trotz einer die Pflichtversicherung in der Unfallversicherung begründenden Weiterführung des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes im Falle eines Arbeitsunfalles auch dann nicht anfällt, wenn der Versehrte, der zum Zeitpunkt des Rentenanfalles bereits das Regelpensionsalter erreicht hat, eine Pensionsleistung aus einer anderen Beschäftigung bezieht. Dass ein Sachzusammenhang zwischen einer solchen Pensionsleistung und dem Bezug einer Betriebsrente aufgrund eines Arbeitsunfalles nach dem BSVG nicht besteht, stellte der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 10.3.2005, G147/04, bereits klar.

[...]

Nach Ansicht des anfechtenden Gerichts gibt es keine sachliche Rechtfertigung dafür, dass die eine Pension aufgrund einer anderen Beschäftigung beziehenden Versehrten im Falle eines Rentenanfalles nach dem 65./60 Lebensjahr weder Anspruch auf Bezug dieser Rente noch auf (zumindest teilweise) Abfindung derselben haben. Dies auch dann nicht, wenn man berücksichtigt, dass §148a BSVG noch weitere Leistungen aus der Unfallversicherung vorsieht."

4. Die Bundesregierung erstattete eine schriftliche Äußerung, in der sie die Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesstellen bezweifelt und die angefochtene Bestimmung inhaltlich unter Hinweis auf die Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 17.502/2005 und 17.870/2006) sowie auf die Gesetzesmaterialien verteidigt. Für den Fall der Aufhebung wird beantragt, gemäß Art140 Abs5 B-VG für das Außer-Kraft-Treten eine Frist von einem Jahr zu bestimmen.

5. Auch die Sozialversicherungsanstalt der Bauern erstattete eine schriftliche Äußerung, in der sie den Bedenken des antragstellenden Gerichtes entgegentritt.

II. Rechtslage

Die maßgeblichen Bestimmungen stehen in folgendem rechtlichen Zusammenhang:

1. Personen, die auf ihre Rechnung und Gefahr einen land(forst)wirtschaftlichen Betrieb führen, sowie die in §3 Abs1 Z2 BSVG bezeichneten Angehörigen dieser Personen und die in §2 Abs1 Z1a BSVG genannten GesellschafterInnen sind in der Unfallversicherung nach dem BSVG pflichtversichert (§3 Abs1 BSVG), sofern der Einheitswert des land(forst)wirtschaftlichen Betriebes mindestens EUR 150,-- beträgt oder die betreffende Person aus dem Ertrag des Betriebes überwiegend ihren Lebensunterhalt bestreitet (§3 Abs2 BSVG).

2. Bis zum Ablauf des 31. Dezember 1998 galten für die Leistungen der bäuerlichen Unfallversicherung die einschlägigen Bestimmungen des ASVG sinngemäß (§148 BSVG aF). Mit der 22. Novelle zum BSVG, BGBl. I 140/1998, wurde das Leistungsrecht der bäuerlichen Unfallversicherung neu geregelt; die sonach erlassenen Bestimmungen (§§148-148z, 149-149s BSVG) traten mit 1. Jänner 1999 in Kraft (§266 Abs1 BSVG). Als Leistung der Unfallversicherung wird demnach u.a. die Betriebsrente gewährt, deren Anspruchsvoraussetzungen in §149d BSVG umschrieben sind.

3. Aus Anlass von Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs wurden die Bestimmungen über den Pensionsbezug und den Wegfall der Betriebsrente im BSVG mehrmals novelliert (vgl. dazu im Detail VfSlg. 17.502/2005 und 17.870/2006). Die nunmehr angefochten Bestimmungen lauten in der 32. BSVG-Novelle, BGBl. I 31/2007, wie folgt (die angefochtenen Gesetzesstellen sind hervorgehoben):

"Wegfall von Renten bei Pensionsanfall oder Betriebsaufgabe

§148i. (1) Betriebsrenten, die als Dauerrenten

(§149e) festgestellt wurden, fallen, soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist, mit dem Tag der Aufgabe des Betriebes, spätestens mit dem Tag des Anfalls einer Pension aus dem Versicherungsfall des Alters nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz oder einer Pension aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach diesem Bundesgesetz weg; hiebei ist der Bezug eines Ruhegenusses einer Pension aus dem Versicherungsfall des Alters gleichzuhalten. [...]

(2) - (5) [...]

[...]

Anspruch auf Betriebsrente und Anfall der Betriebsrente

§149d. (1) Anspruch auf Betriebsrente besteht, wenn

1. die Erwerbsfähigkeit der/des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit über ein Jahr nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus um mindestens 20% vermindert ist und

2. die/der Versehrte zum Zeitpunkt des Rentenanfalles nach Abs3 noch keine Pension aus dem Versicherungsfall des Alters nach diesem oder einem anderen Bundesgesetz, keinen Ruhegenuss bezieht oder im Falle eines Pensionsanspruchs aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG oder der Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG oder eines Ruhegenusses wegen Dienstunfähigkeit das Regelpensionsalter noch nicht erreicht hat; bei einem Anspruch auf eine Pension aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach diesem Bundesgesetz gilt dies unter der Voraussetzung, dass der Pensionsbezug kausal durch den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit herbeigeführt worden und der Pensionsanfall binnen Jahresfrist nach dem Eintritt des Versicherungsfalles gelegen ist.

Die Voraussetzung der Z2 entfällt, wenn sich der Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit in Ausübung der sich aus einer Jagd- oder Fischereipachtung ergebenden Berechtigung ereignet, sofern nicht aus dem Ertrag dieser Tätigkeit überwiegend der Lebensunterhalt bestritten wird (§5 Abs1 Z1), oder der Versicherungsfall in einem Versicherungsverhältnis eintritt, welches erstmals nach dem Anfall einer Pension aus dem Versicherungsfall der Erwerbsunfähigkeit nach diesem Bundesgesetz, aber noch vor Erreichen des Regelpensionsalters begründet wurde. Die Betriebsrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 20%.

(2) Wegen einer Berufskrankheit im Sinne des §148e Abs2 besteht nur dann Anspruch auf Betriebsrente, wenn die dadurch bewirkte Minderung der Erwerbsfähigkeit über ein Jahr nach dem Eintritt des Versicherungsfalles hinaus mindestens 50% beträgt; die Betriebsrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 50%.

(3) Die Betriebsrente fällt ein Jahr nach dem Eintritt des Versicherungsfalles an."

Zur Neuregelung der Anspruchsvoraussetzungen heißt es in den Gesetzesmaterialien (AB 110 BlgNR 23. GP, 9 f.) wie folgt:

"Nach geltender Rechtslage schließt der Bezug einer Pension auf Grund einer anderen versicherungspflichtigen Erwerbstätigkeit (z. B. nach dem ASVG) einen Anspruch auf eine Betriebsrente nach dem BSVG nicht aus, der Anspruch auf die Gewährung einer Betriebsrente ist demnach zeitlich nicht begrenzt.

In konsequenter Umsetzung der Entscheidungsgründe im Erkenntnis 16/06 betreffend den Wegfall einer Betriebsrente soll auch die Regelung des Anfalles einer Betriebsrente bei laufendem Pensionsbezug (§149d BSVG) entsprechend angepasst werden:

a) Demnach soll für Bezieher/innen einer Alterspension nach dem ASVG, GSVG oder BSVG, einer vorzeitigen

Alterspension nach dem ASVG, GSVG oder BSVG oder eines Ruhegenusses kein Anspruch auf eine Betriebsrente entstehen.

b) - c) [...]."

III. Erwägungen

1. Das OLG Graz hat aus Anlass der Klage eines ASVG-Pensionisten beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, in §149d Abs1 Z2 BSVG idF der 32. BSVG-Novelle BGBl. I 31/2007, die Wortfolgen "oder einem anderen" und "keinen Ruhegenuss" sowie "oder im Falle eines Pensionsanspruches aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG oder der Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG oder eines Ruhegenusses wegen Dienstunfähigkeit das Regelpensionsalter nicht erreicht hat" als verfassungswidrig aufzuheben. Dieser Antrag wurde mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 2. März 2011, G246/09, abgewiesen. Das OLG Wien ficht nun mit dem vorliegenden Antrag dieselben Wortfolgen des §149d Abs1 Z2 BSVG an, wobei dieser Antrag aufgrund des fortgeschrittenen Prozessgeschehens nicht mehr in das Verfahren zu G246/09 einbezogen werden konnte.

2. Abgesehen davon, dass dem Anspruch des Klägers des Anlassverfahrens nach dem Antragsvorbringen der Bezug eines Ruhegenusses nach den Bestimmungen des Pensionsgesetzes entgegensteht, unterscheidet sich die Begründung des vorliegenden Antrages nicht von jener des Antrages des OLG Wien, über den der Verfassungsgerichtshof mit dem vorhin genannten Erkenntnis abgesprochen hat. Der Verfassungsgerichtshof kann aber über dieselben Bedenken gegen dieselbe Bestimmung nur einmal absprechen; dem Antrag des OLG Graz steht daher die Rechtskraftwirkung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 2. März 2011, G246/09, entgegen (vgl. auch VfSlg. 17.870/2006).

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Der Antrag des OLG Wien auf Aufhebung der Wortfolgen "oder einem anderen" und "keinen Ruhegenuss" sowie "oder im Falle eines Pensionsanspruches aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit nach dem ASVG oder der Erwerbsunfähigkeit nach dem GSVG oder eines Ruhegenusses wegen Dienstunfähigkeit das Regelpensionsalter nicht erreicht hat" in §149d Abs1 Z2 BSVG idF der 32. BSVG-Novelle BGBl. I 31/2007, war daher wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 VfGG sowie §72 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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