B54/12 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Dem in der Beschwerdesache der E GmbH Co KG, ..., vertreten durch die B E I Rechtsanwälte GmbH, ..., gegen den Bescheid der Energie-Control Austria für die Regulierung der Elektrizitäts- und Erdgaswirtschaft vom 6. Dezember 2011, Z ..., gestellten Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wird gemäß §85 Abs2 und 4 VfGG vorerst bis einschließlich 22. Februar 2012 Folge gegeben.
Begründung:
1. Mit Schreiben vom 30. August 2011 ersuchte die belangte Behörde die antragstellende Gesellschaft um Beantwortung und Übermittlung eines ausgefüllten Erhebungsformulars im Rahmen einer gemäß §21 Abs2 Energie-Control-Gesetz, BGBl. I 110/2010 idF BGBl. I 107/2011 (im Folgenden: E-ControlG) eingeleiteten Marktuntersuchung in Bezug auf die Erlös- und Kostenstruktur nach Produkt- bzw. Kundengruppen im Stromvertrieb. Mit Schreiben vom 19. September 2011 stellte die antragstellende Gesellschaft die Verpflichtung zur Auskunftserteilung in Frage. Offenbar unter einem stellte sie einen Antrag auf Erlassung eines Feststellungsbescheides. Die verlangten Daten wurden bisher nicht übermittelt.
2. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2011 verpflichtete die belangte Behörde die antragstellende Gesellschaft zur Übermittlung der in einer Beilage näher bezeichneten Daten in elektronischer Form bis 20. Jänner 2011 [gemeint wohl: 2012].
2.1. Begründend führt sie aus, dass es gemäß §4 Z7 E-ControlG Aufgabe der Regulierungsbehörde sei, Maßnahmen zur Förderung eines effektiven Wettbewerbs und zur Gewährleistung des Verbraucherschutzes und dafür zu setzen, dass Kunden Vorteile aus dem effizienten Funktionieren des nationalen Marktes ziehen können. Darüber hinaus sei der Regulator verpflichtet, gemäß §4 Z1 leg.cit. Maßnahmen zu setzen, um einen wettbewerbsbestimmten Markt zu fördern, und gemäß §4 Z4 leg.cit. dafür zu sorgen, dass sich das Marktsystem verbraucherorientiert entwickelt. Gemäß §21 Abs2 E-ControlG habe die belangte Behörde die Aufgabe, Untersuchungen, Gutachten und Stellungnahmen über die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse im Elektrizitätsbereich durchzuführen, um durch die im Rahmen dieser Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse Aussagen über die Markt- und Wettbewerbsverhältnisse und aller damit implizit notwendige Maßnahmen treffen zu können.
Die von der antragstellenden Gesellschaft verlangten Daten sollten für eine Marktuntersuchung über die Erlös- und Kostenstruktur nach Produkt- und Kundengruppen im Stromvertrieb abgefragt werden, welche die Grundlage für eine Marktuntersuchung bezüglich der Entwicklung der Endkundenpreise für elektrische Energie und der im gleichen Zeitraum beobachteten Veränderung der Großhandelspreise dienen. Hierfür sei eine Untersuchung der Preisbildung ein zentrales Element. Es sei sicherzustellen, dass die Preisbildung einem wettbewerblichen Markt angemessen sei und zB die Preisentwicklung am Großmarkt in den Endkundenpreisen abgebildet werde. Um abschätzen zu können, ob Endkunden mit Preisen konfrontiert würden, die den tatsächlichen Beschaffungskosten widerspiegeln, müsse daher das Einkaufsverhalten der Stromlieferanten am Großhandelsmarkt bekannt sein. Ohne über die entsprechenden Daten zu verfügen, könne in einer Durchschnittsbetrachtung nur festgestellt werden, dass die Korrelation zwischen Großhandels- und Endkundenpreis gering sei und letzterer im internationalen Vergleich in den letzten Jahren stärker gestiegen sei, als in anderen Staaten.
2.2. Unter Hinweis auf Art37 Abs4 litb und c der Richtlinie 2009/72/EG über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt, ABl. 2009 L 211, S 55, verweist die belangte Behörde darauf, dass sie zur Erfüllung dieser Aufgaben gemäß §34 E-ControlG befugt sei, in alle Unterlagen von Marktteilnehmern, Netzbetreibern, Speicherunternehmen, Bilanzgruppenverantwortlichen und Bilanzgruppenkoordinatoren Einsicht zu nehmen und über alle auf ihre Tätigkeit Bezug habenden Umstände Auskunft zu verlangen.
Elektrizitätsunternehmen seien zudem auch ohne konkreten Anlassfall, wenn diese Unterlagen oder Auskünfte zur Klärung oder zur Vorbereitung der Klärung entscheidungsrelevanter Sachverhalte in künftig durchzuführenden Verfahren erforderlich sind, gemäß §10 Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz 2010, BGBl. I 110/2010 (im Folgenden: ElWOG 2010), verpflichtet, auch den Regulierungsbehörden jederzeit Einsicht in alle betriebswirtschaftlich relevanten Unterlagen und Aufzeichnungen zu gewähren sowie Auskünfte über alle, den jeweiligen Vollzugsbereich betreffenden Sachverhalte zu erteilen.
Die Auskunftspflicht gemäß §10 ElWOG 2010 und §34 E-ControlG sei durch einen Leistungsbescheid zu präzisieren und zu individualisieren. Die von der antragstellenden Gesellschaft beantragte Erlassung eines Feststellungsbescheides habe als nur subsidiärer Rechtsbehelf angesichts der Notwendigkeit zur Erlassung eines Leistungsbescheids hinter diesen zurücktreten müssen.
3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die gemäß
Art144 B-VG erhobene Beschwerde, verbunden mit dem Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
3.1. Diesen Antrag begründet die antragstellende Gesellschaft im Wesentlichen damit, dass der Bescheid mit Ablauf der Leistungsfrist einem Vollzug zugänglich sei: Die Verpflichtung zur Datenübermittlung sei gemäß §1 Abs1 Z2 lita VVG vollstreckbar. Zudem stelle die Nichtbefolgung des Übermittlungsauftrags eine Verwaltungsübertretung gemäß §10 iVm §99 Abs2 Z2 ElWOG 2010 dar.
3.2. Der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung
stünden auch keine zwingenden öffentlichen Interessen entgegen, weil die Durchführung einer "Marktuntersuchung", für die die Wirtschaftsdaten der beschwerdeführenden Gesellschaft vorgelegt werden sollten, ohne konkret erforderliches wirtschaftsaufsichtsrechtliches Verwaltungsverfahren schon per se kein zwingendes öffentliches Interesse begründe. Das angestrebte Ziel einer Marktuntersuchung könne auch bei Übermittlung der Daten durch die beschwerdeführende Gesellschaft nicht erreicht werden, weil die belangte Behörde nur drei Unternehmen der Branche bescheidmäßig zur Übermittlung der Daten verpflichtet hätte. Gegen die Notwendigkeit der umgehenden Vollstreckung des Bescheides spräche auch der Umstand, dass die belangte Behörde mehr als zwei Monate verstreichen habe lassen, bevor sie über den Feststellungsantrag der beschwerdeführenden Gesellschaft entschieden habe.
3.3. Mit dem Vollzug des angefochtenen Bescheides
wäre für die beschwerdeführende Gesellschaft hingegen ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden: Bei den Wirtschaftsdaten, deren Übermittlung aufgetragen werde, handle es sich um Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie um Eckdaten der Geschäftstätigkeit der beschwerdeführenden Gesellschaft, die den Kernbereich ihres Verhaltens am Markt beträfen. Durch die sofortige Bekanntgabe der Daten würde ein Faktum geschaffen, das nicht mehr rückgängig gemacht werden könnte, weil eine vollständige Rückabwicklung der Datenübermittlung im Falle der Rechtswidrigkeit des Bescheides auf Grund der dadurch bewirkten Kenntnis der belangten Behörde von den Daten nicht mehr möglich wäre. Die Anzahl der "befragten Unternehmen" sei überdies so gering, dass bei einer Veröffentlichung der Daten direkte Rückschlüsse auf die Wirtschaftsdaten der beschwerdeführenden Gesellschaft möglich seien. Eine Verletzung der Verpflichtung zur Datenübermittlung berechtige die belangte Behörde überdies, die Wirtschaftsdaten der beschwerdeführenden Gesellschaft zu schätzen und diese Schätzung ihrer Marktuntersuchung zu Grunde zu legen. Die Begründung des angefochtenen Bescheides mache aber deutlich, dass die belangte Behörde von einer mangelnden Korrelation zwischen Großhandels- und Endkundenpreis ausgeht. Eine auf diesen Schätzungen basierende Marktuntersuchung könne bei ihrer Veröffentlichung zu negativen Schlagzeilen für die beschwerdeführende Gesellschaft führen; auch diese wären nicht wieder rückgängig zu machen. Schließlich würde der hohe Aufwand, der zur Zusammenstellung der zu übermittelnden Daten - dies wird im Antrag näher dargelegt - notwendig sei, im Falle der Aufhebung des angefochtenen Bescheides eine frustrierte Aufwendung darstellen.
4. Gemäß §85 Abs2 VfGG hat der Verfassungsgerichtshof über Antrag des Beschwerdeführers der Beschwerde mit Beschluss aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, insoweit dem nicht zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen und nach Abwägung aller berührten Interessen mit dem Vollzug des Bescheides für den Beschwerdeführer ein unverhältnismäßiger Nachteil verbunden wäre.
4.1. Der angefochtene Bescheid verpflichtet die antragstellende Gesellschaft unmittelbar zu einer Leistung. Die Verpflichtung zur Übermittlung von Daten kann von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde allenfalls gemäß §1 Abs1 Z2 lita, §5 Abs1 iVm Abs4 VVG durch Zwangsstrafen (Geldstrafen bis € 726,-) vollstreckt werden. Der Bescheid ist daher einem Vollzug im Sinne des §85 Abs2 VfGG zugänglich.
4.2. Die Frage, ob der Bewilligung der aufschiebenden Wirkung zwingende öffentliche Interessen entgegenstehen, vermag der Verfassungsgerichtshof derzeit nicht abschließend zu beurteilen. Um der belangten Behörde Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und der beschwerdeführenden Gesellschaft zugleich den vom Verfassungsgerichtshof vorerst als erforderlich angesehenen Rechtsschutz zu gewähren, ist daher vorerst - in Anwendung des §85 Abs4 VfGG - die aufschiebende Wirkung zu bewilligen, jedoch nur für einen Zeitraum bis 22. Februar 2012. Über den darüber hinausgehenden Teil des Antrages wird der Verfassungsgerichtshof unter Berücksichtigung einer von der belangten Behörde zum Antrag auf aufschiebende Wirkung noch zu erstattenden Stellungnahme entscheiden. Insoweit ist daher die Entscheidung vorzubehalten.
4.3. Dem Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, ist daher in dem im Spruch angeführten Umfang stattzugeben.