JudikaturVfGH

V25/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2012

Spruch

I. Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft

Innsbruck vom 24. Mai 2007, Z4-767-2-3-2006, war, soweit auf der L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt wurde, gesetzwidrig.

II. Die Tiroler Landesregierung ist zur

unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt verpflichtet.

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren, Antragsvorbringen und Vorverfahren

1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol ist ein Verfahren über eine Berufung gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 13. Oktober 2010 anhängig, mit dem der Beschuldigte wegen einer Übertretung nach §52 lita Z10a StVO bestraft wurde, weil er durch das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf der L32 Aldranser Straße, Rinnerstraße (Kilometrierung bei ca. km 3,700) die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 11 km/h überschritten hat.

2. Aus Anlass dieses Verfahrens stellte der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol gemäß Art139 Abs1 B-VG den Antrag, "der Verfassungsgerichtshof möge die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 24.05.2007 zur Zahl 4-767-2-3-2006, mit der auf der L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt wird, als gesetzwidrig aufheben".

2.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol

erachtet die genannte Verordnung hinsichtlich der Verfügung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h auf der L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 aus mehreren Gründen für gesetzwidrig. Vor Erlassung der Verordnung sei ein verkehrstechnisches Fachgutachten erstellt worden, das die Verfügung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h auf dem Straßenabschnitt der L32 Aldranser Straße vom "Zentrum bis nach Stützmauer (Brantlhof)" empfehle. Die Kilometrierung der "Stützmauer (Brantlhof)" laute auf km 3,560. Entgegen der Empfehlung im Gutachten sei die Geschwindigkeitsbeschränkung aber nicht von km 2,920 bis km 3,560, sondern von km 2,920 bis km 3,850 verordnet worden. Ein solches Abweichen von Empfehlungen eines Fachgutachtens sei ohne entsprechende sachliche Rechtfertigung nicht geboten. Recherchen bei der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck hätten ergeben, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens ein Lokalaugenschein durchgeführt worden sei, anlässlich dessen beschlossen worden sei, die Geschwindigkeitsbeschränkung bis km 3,850 auszudehnen. Aufzeichnungen darüber seien nach Auskunft der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck jedoch in Verstoß geraten. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, welche Gründe die getroffene Ausweitung der Geschwindigkeitsbeschränkung sachlich rechtfertigen.

2.2. Darüber hinaus sei auch das der Verordnung zu Grunde liegende Fachgutachten widersprüchlich. Nach den Ausführungen des Gutachtens sei das Ende der

30 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung bei der "Stützmauer (Brantlhof)" bei km 3,560 festzusetzen. Die generelle 50 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung solle nach dem Gutachten bereits ab dem "Knoten Larch" - der im Gutachten an zwei verschiedenen Stellen angegeben sei, nämlich bei km 3,365 und km 3,480 - gelten. Diese beiden Punkte liegen jedoch vor der "Stützmauer (Brantlhof)" bei km 3,560, weshalb unklar sei, ab welchem Kilometer die generelle 50 km/h-Beschränkung wieder gelten solle.

2.3. Schließlich leide das Fachgutachten an Unbestimmtheit, weil es den "Knoten Larch" an zwei verschiedenen Stellen (km 3,365 und km 3,480) angebe.

2.4. Auf Grund der Widersprüchlichkeiten und der Unbestimmtheit des Fachgutachtens stelle dieses nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol keine sachliche Rechtfertigung für die verordnete Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h auf der L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 dar.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck als verordnungserlassende Behörde legte die auf die Verordnung Bezug habenden Akten vor und erstattete eine Äußerung, in der sie zunächst auf eine verkehrstechnische Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 26. April 2011 verweist, wonach bei systematischer Interpretation des Fachgutachtens keine Widersprüchlichkeit oder Unbestimmtheit desselben vorliege.

3.1. Nach der verkehrstechnischen Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 26. April 2011 komme der Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol, wonach das Ende der vom Gutachten empfohlenen Geschwindigkeitsbeschränkung bei km 3,560 liege, keine Berechtigung zu. Das Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung solle laut Gutachten "nach der Stützmauer (Brantlhof)" liegen. Nun sei der Beginn der "Stützmauer (Brantlhof)" bei km 3,560 und das Ende der "Stützmauer (Brantlhof)" bei km 3,600 zu verzeichnen. Berücksichtige man die Zufahrt zum Wirtschaftsgebäude des Brantlhofes, bedeute die Empfehlung des Gutachtens, wonach das Ende der Geschwindigkeitsbeschränkung "nach der Stützmauer (Brantlhof)" liegen solle, dass die Geschwindigkeitsbeschränkung bis zu km 3,650 reichen solle.

3.2. Hinsichtlich der verordneten Geschwindigkeitsbeschränkung für den Straßenabschnitt zwischen km 3,650 und km 3,850 räumt die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck unter Hinweis auf die Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 26. April 2011 jedoch ein, dass das Fachgutachten keine Begründung enthalte. Die Verlängerung der Geschwindigkeitsbeschränkung bis km 3,850 sei offenbar anlässlich eines Lokalaugenscheins beschlossen worden. Da der Verordnungsakt jedoch keinerlei Aufzeichnungen über den Lokalaugenschein enthalte, könne zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr nachvollzogen werden, warum die Verlängerung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h iSd §43 Abs1 litb StVO als erforderlich erachtet wurde. Die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck nehme daher zur Kenntnis, dass die Verordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h betreffend den Abschnitt zwischen km 3,650 und km 3,850 mangels Übereinstimmung mit dem Fachgutachten gesetzwidrig zustande gekommen sei. Sie werde daher den Teil der Verordnung, mit dem auf der L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt wurde, einer neuerlichen Prüfung unterziehen und eine entsprechende Neu-Verordnung vornehmen.

4. Der am Verfahren beteiligte Beschwerdeführer des beim Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol anhängigen Verfahrens erstattete keine Äußerung.

5. Mit Schreiben vom 18. Jänner 2012 legte die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck die Verordnung vom 22. Juli 2011, Z4-767-2-6-2011, vor, mit der in §1 der Verordnung die vom Unabhängigen Verwaltungssenat in Tirol angefochtene Verordnung behoben und in §2 in Bezug auf die

L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,665 in beide Fahrtrichtungen eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt wurde.

II. Rechtslage

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 24. Mai 2007, Z4-767-2-3-2006, lautete auszugsweise (der angefochtene Satz ist hervorgehoben):

"Verordnung

Gemäß §43 Abs1 litb Zif 1 StVO 1960 i.V.m. §94b

StVO 1960 verordnet die Bezirkshauptmannschaft Innsbruck wie folgt:

Die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 03.04.2007, Zl. 4-767-2-2-2006 wird aufgehoben.

Auf der L32 Aldranser Straße wird von km 2,920 bis km 3,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt.

[...]"

III. Erwägungen

1. Prozessvoraussetzungen

1.1. Der Verfassungsgerichtshof ist nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes darf daher ein Antrag iSd Art140 B-VG bzw. des Art139 B-VG nur dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl. etwa VfSlg. 10.640/1985, 12.189/1989, 15.237/1998, 16.245/2001 und 16.927/2003).

1.2. Da der Tatort auf der L32 Aldranser Straße, Rinnerstraße bei ca. km 3,700 liegt, ist es jedenfalls nicht denkunmöglich, dass der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol die Verordnung anzuwenden hat.

Da auch sonst keine Prozesshindernisse hervorgekommen sind, ist das Verordnungsprüfungsverfahren zulässig.

2. In der Sache

Der Antrag des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol ist auch begründet.

2.1. Auf Seite 40 des im Ermittlungsverfahren eingeholten Fachgutachtens findet sich die Empfehlung, eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h auf der

L32 Aldranser Straße "vom Zentrum bis nach Stützmauer (Brantlhof)" zu verordnen. Das Ende der "Stützmauer (Brantlhof)" befindet sich nach einer im Verordnungsakt einliegenden Mitteilung des Baubezirksamtes Innsbruck vom 10. Februar 2011 bei km 3,560. Laut verkehrstechnischer Stellungnahme des Amtes der Tiroler Landesregierung vom 26. April 2011 liegt das Ende der "Stützmauer (Brantlhof)" ca. bei km 3,600. Jedenfalls liegt es aber nicht bei km 3,850. Für die Erstreckung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h bis zu km 3,850 ergibt sich daher aus dem Fachgutachten, das die Verordnung einer Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h bis "nach Stützmauer (Brantlhof)" empfiehlt, keine sachliche Rechtfertigung. Auch sonst ist dem Verordnungsakt kein Hinweis zu entnehmen, dass die Erstreckung der Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h bis zu km 3,850 iSd §43 Abs1 litb StVO erforderlich ist. Die Verordnung erweist sich daher, soweit auf der

L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt wurde, als gesetzwidrig.

2.2. Art139 Abs4 B-VG bestimmt, dass der Verfassungsgerichtshof, wenn die Verordnung im Zeitpunkt der Fällung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes bereits außer Kraft getreten ist und der Antrag von einem Unabhängigen Verwaltungssenat gestellt wurde, auszusprechen hat, ob die geprüfte Verordnung gesetzwidrig war.

Die im Spruch genannte Verordnung wurde mit

Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 22. Juli 2011, Z4-767-2-6-2011, behoben. Im Hinblick darauf hat der Verfassungsgerichtshof den Ausspruch darauf zu beschränken, dass die Verordnung im genannten Umfang gesetzwidrig war.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Es war daher auszusprechen, dass die Verordnung der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck vom 24.5.2007, Z4-767-2-3-2006, soweit auf der L32 Aldranser Straße von km 2,920 bis km 3,850 eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 30 km/h verfügt wurde, gesetzwidrig war.

2. Die Verpflichtung der Tiroler Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches gründet sich auf Art139 Abs5 zweiter Satz B-VG und §60 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 litk Tiroler Landes-Verlautbarungsgesetz.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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