JudikaturVfGH

G77/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2012

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I.

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag wird begehrt, §54b Abs2 zweiter Satz des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 idgF als verfassungswidrig aufzuheben.

II.

§54b des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. I 52/1991 (Wv) idF BGBl. I 100/2011, lautet (der angefochtene Satz ist hervorgehoben):

"Vollstreckung von Geldstrafen

§54b. (1) Rechtskräftig verhängte Geldstrafen oder sonstige in Geld bemessene Unrechtsfolgen sind zu vollstrecken.

(2) Soweit eine Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist, ist die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen. Der Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe hat zu unterbleiben, soweit die ausstehende Geldstrafe erlegt wird. Darauf ist in der Aufforderung zum Strafantritt hinzuweisen.

(3) Einem Bestraften, dem aus wirtschaftlichen

Gründen die unverzügliche Zahlung nicht zuzumuten ist, hat die Behörde auf Antrag einen angemessenen Aufschub oder Teilzahlung zu bewilligen."

III.

1. Zur Antragslegitimation wird Folgendes ausgeführt:

Der Antragsteller sei wegen illegaler Beschäftigung mehrerer slowakischer Arbeiter nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz zu einer Verwaltungsstrafe verurteilt worden. Auf Grund der Nachforderungen betreffend Lohnsteuer, Lohnnebenkosten und Sozialversicherungsbeiträge iHv insgesamt ca. € 250.000,-- für die illegal beschäftigten Arbeitnehmer sei es dem Antragsteller schließlich nicht mehr möglich gewesen, den Restbetrag der Geldstrafe iHv € 48.200,-- zu bezahlen. Der Antragsteller sei daher mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 30. Mai 2011 und vom 1. Juni 2011 zum Antritt der Ersatzfreiheitsstrafe im Gesamtausmaß von 1.694 Stunden aufgefordert worden. Da es sich bei dieser Aufforderung weder um einen Bescheid noch um einen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt handle, stehe dem Antragsteller kein anderer Weg offen, seine Bedenken gegen die den Bescheid tragenden Rechtsgrundlagen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Schließlich führt der Antragsteller im Zusammenhang mit dem Anfechtungsgegenstand aus, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - wie im vorliegenden Fall - auch das Fehlen einer gesetzlichen Regelung mittels eines Individualantrages moniert werden könne.

2. In der Sache bringt der Antragsteller vor, die bekämpfte Regelung des VStG verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz, da in §54b Abs2 leg.cit. - anders als in den §§3 und 3a Strafvollzugsgesetz - keine Möglichkeit vorgesehen sei, den Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Erbringung gemeinnütziger Leistungen abzuwenden.

3. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie zunächst die Zulässigkeit des vorliegenden Individualantrages in Zweifel zieht, da dieser nicht den sich aus der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ergebenden Anforderungen an die Antragslegitimation bzw. an den Anfechtungsumfang entsprechen würde. Den Bedenken des Antragstellers hält die Bundesregierung die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes, wonach es grundsätzlich im rechtspolitischen Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers liege, in unterschiedlichen Ordnungssystemen unterschiedliche Regelungen zu treffen, solange die jeweiligen Verfahrensgesetze in sich sachlich seien, entgegen und beantragt - sollte der Antrag nicht als unzulässig zurückgewiesen werden - auszusprechen, dass die angefochtene Bestimmung nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.

IV.

Der Antrag ist unzulässig.

1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist. Wie der Verfassungsgerichtshof in seiner mit VfSlg. 8009/1977 beginnenden ständigen Rechtsprechung ausgeführt hat, ist daher grundlegende Voraussetzung für die Antragslegitimation, dass das Gesetz in die Rechtssphäre der betroffenen Person unmittelbar eingreift und sie - im Fall seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt. Hiebei hat der Verfassungsgerichtshof vom Antragsvorbringen auszugehen und lediglich zu prüfen, ob die vom Antragsteller ins Treffen geführten Wirkungen solche sind, wie sie Art140 Abs1 letzter Satz B-VG als Voraussetzung für die Antragslegitimation fordert (vgl. zB VfSlg. 11.730/1988, 15.863/2000, 16.088/2001, 16.120/2001).

2. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass das Ziel eines Individualantrages in der Behebung der geltend gemachten Rechtsverletzung zu erblicken ist, sodass die Antragslegitimation nur dann bejaht werden kann, wenn die Aufhebung der angefochtenen Gesetzesbestimmung die Rechtsposition des Antragstellers dergestalt verändert, dass die behaupteten belastenden Rechtswirkungen entfallen. Würde dies trotz Aufhebung der bekämpften Bestimmung nicht eintreten, liegt die Antragslegitimation nicht vor (vgl. etwa VfSlg. 10.593/1985, 12.750/1991, 13.397/1993, 16.825/2003, 18.235/2007, 18.512/2008).

3. Ein solcher Fall liegt hier vor:

Die vom Antragsteller als verfassungswidrig bekämpfte Bestimmung des §54b Abs2 zweiter Satz VStG ordnet an, dass der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe zu unterbleiben hat, soweit die ausstehende Geldstrafe erlegt wird. Der - mit dem vorliegenden Individualantrag nicht bekämpfte - erste Satz des §54b Abs2 VStG lautet: "Soweit eine Geldstrafe uneinbringlich ist oder dies mit Grund anzunehmen ist, ist die dem ausstehenden Betrag entsprechende Ersatzfreiheitsstrafe zu vollziehen." Die Bedenken des Antragstellers gehen dahin, dass §54b Abs2 zweiter Satz leg.cit. - anders als die entsprechenden Bestimmungen im Strafvollzugsgesetz - keine Möglichkeit vorsieht, den Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe durch die Erbringung gemeinnütziger Leistungen abzuwenden. Dabei übersieht er jedoch, dass selbst für den Fall der Aufhebung der von ihm bekämpften Bestimmung des §54b Abs2 zweiter Satz VStG die von ihm behaupteten belastenden Rechtswirkungen, nämlich der Mangel einer Möglichkeit, den Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe durch die Erbringung gemeinnütziger Leistungen abzuwenden, mangels einer entsprechenden positiven Regelung nicht beseitigt würden. Die Grundlage für den (sofortigen) Vollzug der Ersatzfreiheitsstrafe befände sich vielmehr nach wie vor in §54b Abs2 erster Satz VStG.

V.

1. Der Antrag auf Aufhebung des §54b Abs2 zweiter

Satz Verwaltungsstrafgesetz 1991 idgF ist daher schon mangels Legitimation als unzulässig zurückzuweisen.

2. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne

weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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