JudikaturVfGH

B641/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2012

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Rechtsanwalt in Feldkirch. Mit Beschluss des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer vom 31. August 2010 wurde gemäß §19 Abs1a Disziplinarstatut für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, BGBl. 474/1990 idF BGBl. I 111/2007 (im Folgenden: DSt), die einstweilige Maßnahme der Überwachung der Kanzleiführung des Beschwerdeführers durch den Ausschuss der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer verhängt, weil der Verdacht eines Disziplinarvergehens sowie die Besorgnis der Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens durch den Beschwerdeführer bestehe.

1.1. Zur Verdachtslage führte der Disziplinarrat aus, der Beschwerdeführer habe von einer Versicherung für seinen Mandanten M. J. geltend gemachte Entschädigungsleistungen in der Höhe von € 5.860,- auf sein Kanzleikonto ausbezahlt erhalten. Trotz mehrfacher Aufforderung habe der Beschwerdeführer die vereinnahmten Gelder weder gegenüber seinem Mandanten noch gegenüber dessen neuer Rechtsvertretung abgerechnet oder weitergeleitet. Die vom Beschwerdeführer geltend gemachten Honorarforderungen seien nicht aufgeschlüsselt worden und der Höhe nach nicht nachvollziehbar.

1.2. Weiters habe der Beschwerdeführer für seinen Mandanten C. F. Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall durchgesetzt und einen Betrag von € 8.500,- auf sein Kanzleikonto überwiesen erhalten. Er habe jedoch die Rechnungslegung unterlassen und die dem C. F. zustehenden Klientengelder nicht ausbezahlt.

2. Der gegen den Beschluss des Disziplinarrates erhobenen Beschwerde wurde mit Beschluss der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) vom 7. März 2011 keine Folge gegeben. Begründend führte die OBDK aus, der Disziplinarrat habe zu Recht die Gefahr der Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens angenommen. Bestehe keine Einigkeit über Honoraransprüche eines Rechtsanwalts und wolle dieser den Fremdgeldbetrag seinem Klienten nicht ausbezahlen, sei der Rechtsanwalt verpflichtet, den Betrag sofort gerichtlich zu hinterlegen. Im vorliegenden Fall seien die Beträge teils erst nach gerichtlicher Geltendmachung und erst, nachdem der Kammeranwalt die Verhängung einer einstweiligen Maßnahme beantragt habe, gerichtlich hinterlegt worden. Auch die (hinsichtlich des Klienten J. auf mangelnde Aktivlegitimation gegründete) Bestreitung der Verpflichtung zur Herausgabe des Fremdgeldes vermöge an der Gefahreneinsschätzung des Disziplinarrates nichts zu ändern. Zudem bestehe eine vorangehende Verurteilung des Beschwerdeführers, der ein ähnlich gelagerter Sachverhalt, nämlich die Unterlassung der Auszahlung eines auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs geschuldeten Betrags unter Inkaufnahme einer Exekutionsführung (VfSlg. 19.194/2010), zu Grunde liegt.

3. Gegen diesen als Bescheid zu wertenden Beschluss der OBDK richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht wird.

3.1. Begründend führt der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass die Vorarlberger Rechtsanwaltskammer entgegen den Bestimmungen des DSt keinen eigenen Senat gebildet habe, der sich ausschließlich mit der Verhängung einstweiliger Maßnahmen beschäftige. Weiters verfüge die Vorarlberger Rechtsanwaltskammer nicht über eine Geschäftsverteilung, aus der sich ersehen ließe, welcher Senat für die Behandlung der einzelnen Disziplinarsachen zuständig sei.

3.2. Im Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz erachtet sich der Beschwerdeführer verletzt, weil die Annahme, dass eine Gefährdung fremden Vermögens vorliege, in keiner Weise berechtigt sei, da der Beschwerdeführer sämtliche strittigen Gelder bereits gerichtlich hinterlegt habe. Auch die von der belangten Behörde herangezogene vorangehende Verurteilung sei nicht einschlägig, weil dem Beschwerdeführer im damaligen Verfahren lediglich zur Last gelegt worden sei, dass er eine Aufrechnungserklärung nicht abgegeben habe. Dies habe aber nichts damit zu tun, dass Fremdgelder nicht weitergeleitet worden seien. Der Beschwerdeführer wolle weiters darauf hinweisen, dass beim Bezirksgericht Feldkirch ein Verfahren anhängig sei, in welchem M. J. € 5.860,- wider den Beschwerdeführer geltend mache, wobei vom Beschwerdeführer eingewendet worden sei, dass die aktive Klagslegitimation des M. J. fehle, da es sich der Sache nach um Geld des E. J. handle. Sollte sich herausstellen, dass M. J. gar nicht berechtigt gewesen sei, die Gelder für sich zu fordern, sei schon aus diesem Grund eine Beeinträchtigung fremden Vermögens sowie eine Abrechnungspflicht des Beschwerdeführers zu verneinen gewesen. Schließlich sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer E. J. ein Darlehen von € 2.000,-

zugezählt habe, noch bevor er Fremdgeld ausbezahlt erhalten habe. Bei dieser Konstellation könne wohl nicht ernsthaft von einer Beeinträchtigung fremden Vermögens gesprochen werden.

4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt.

II. Rechtslage

1. §15 DSt, BGBl. 474/1990 idF BGBl. I 141/2009,

lautet auszugsweise:

"§15. (1) Der Disziplinarrat verhandelt und

entscheidet in Senaten, die aus einem Vorsitzenden und, außer im Fall des §29, aus vier weiteren Mitgliedern aus dem Kreis der Rechtsanwälte bestehen. [...]

(2) Der Präsident des Disziplinarrats hat die Senate, die über einstweilige Maßnahmen beschließen (§19), sowie die erkennenden Senate (§30) jährlich nach der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer zu bilden und die Geschäfte unter ihnen im vorhinein zu verteilen. Gleichzeitig ist die Reihenfolge zu bestimmen, in der die weiteren Mitglieder des Disziplinarrats bei Verhinderung eines Senatsmitglieds in die Senate eintreten. Die Geschäftsverteilung ist durch Anschlag in der Rechtsanwaltskammer bekanntzugeben. Die Zusammensetzung der Senate darf nur im Fall unbedingten Bedarfs abgeändert werden.

(3) Alle anderen zu bildenden Senate hat der Präsident des Disziplinarrats unter Bedachtnahme auf eine möglichst gleichmäßige Belastung der einzelnen Mitglieder sowie auf mögliche Ausschließungs- und Befangenheitsgründe zusammenzusetzen.

(4) [...]"

2. §19 DSt, BGBl. 474/1990 idF BGBl. I 111/2007,

lautet auszugsweise:

"Vierter Abschnitt

Einstweilige Maßnahmen

§19. (1) [...]

(1a) Der Disziplinarrat kann weiters gegen einen Rechtsanwalt die einstweiligen Maßnahmen der Überwachung der Kanzleiführung durch den Ausschuß oder der vorläufigen Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft beschließen, wenn vom Ausschuß unter Vorlage der betreffenden Unterlagen bestimmte Tatsachen angezeigt werden, auf Grund derer der Verdacht eines Disziplinarvergehens und die dringende Besorgnis besteht, daß die weitere Berufsausübung zu einer erheblichen Beeinträchtigung anvertrauten fremden Vermögens, insbesondere im Zusammenhang mit der Fremdgeldgebarung des Rechtsanwalts, führen könnte.

(2) - (7) [...]"

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Bedenken gegen die dem Bescheid zu Grunde

liegenden Rechtsvorschriften wurden weder in der Beschwerde vorgebracht noch sind solche beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdefalles entstanden.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den

angefochtenen Bescheid nicht in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

1.2. Die Beschwerde macht eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG geltend, weil der Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer keinen speziellen Senat gebildet habe, der sich ausschließlich mit der Verhängung einstweiliger Maßnahmen beschäftige.

Der in Senaten entscheidende Disziplinarrat wird entweder nach Fassung eines Einleitungsbeschlusses zur Führung eines Disziplinarverfahrens oder zur Verhängung einer einstweiligen Maßnahme gemäß §19 DSt tätig. Dementsprechend regelt §15 Abs2 DSt, dass der Präsident des Disziplinarrates jährlich nach der Vollversammlung der Rechtsanwaltskammer Senate, die über einstweilige Maßnahmen beschließen, sowie erkennende Senate zu bilden und die Geschäfte unter ihnen im Vorhinein zu verteilen hat. Diese Bestimmung normiert demnach das Prinzip der festen Geschäftsverteilung. Sie regelt jedoch nicht, dass die Mitglieder eines erkennenden Senates nicht zugleich auch einem Senat, der über einstweilige Maßnahmen beschließt, angehören können. Auch sonst findet sich keine Bestimmung, nach der ein Spezialsenat im Sinn der Ausführungen des Beschwerdeführers zu bilden wäre.

1.3. Dem Vorbringen, eine Verletzung des Art83 Abs2 B-VG liege auch deshalb vor, weil der Disziplinarrat der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer nicht über eine Geschäftsverteilung verfüge, die festlege, welcher Senat für die Bearbeitung einer Disziplinarrechtssache zuständig sei, ist entgegenzuhalten, dass der Präsident des Disziplinarrates der Vorarlberger Rechtsanwaltskammer entsprechend dem in §15 Abs2 DSt verankerten Grundsatz der festen Geschäftsverteilung mit Wirkung ab 12. November 2009 die Bildung der Senate und eine Geschäftsverteilung festgelegt hat.

Der Beschwerdeführer ist somit nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter gemäß Art83 Abs2 B-VG verletzt.

1.4. Nach den Beschwerdebehauptungen liege ferner

eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz vor, weil die Voraussetzung für die Verhängung einer einstweiligen Maßnahme gemäß §19 Abs1a DSt, nämlich die Annahme, dass eine Gefährdung fremden Vermögens vorliege, aus verschiedenen Gründen nicht berechtigt sei.

Angesichts der verfassungsrechtlichen

Unbedenklichkeit der angewendeten Rechtsvorschriften und des Umstandes, dass kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Behörde diesen Vorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, könnte der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz nur verletzt worden sein, wenn die Behörde Willkür geübt hätte.

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB

VfSlg. 8808/1980 mwN, 14.848/1997, 15.241/1998 mwN, 16.287/2001, 16.640/2002).

Derartiges kann der belangten Behörde nicht

vorgeworfen werden. Der Bescheid ist denkmöglich und schlüssig begründet. Die belangte Behörde hat ausführlich dargelegt, weshalb sie das Vorliegen der Voraussetzungen für die Verhängung einer einstweiligen Maßnahme annimmt. Es ist ihr nicht entgegenzutreten, wenn sie trotz der Tatsache des verspäteten gerichtlichen Erlages weiterhin vom Verdacht der Beeinträchtigung fremden Vermögens ausgeht. Auch ist die Berücksichtigung der vorangehenden Verurteilung, die ebenfalls im Zusammenhang mit der Geldgebarung des Beschwerdeführers erfolgte, nicht zu beanstanden.

Der Beschwerdeführer wurde daher nicht in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

1.5. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer in einem anderen, von ihm nicht geltend gemachten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.

Der Beschwerdeführer ist daher durch den

angefochtenen Bescheid nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.

2. Die Beschwerde war daher abzuweisen.

3. Ob der angefochtene Bescheid auch in jeder

Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002 und 16.795/2003).

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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