JudikaturVfGH

U2899/10 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
07. März 2012

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. Nr. 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,-- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer, ein am 1. Jänner 1985

geborener Staatsbürger Guineas, reiste am 1. April 2007 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde vom Bundesasylamt mit Bescheid vom 9. November 2007 gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005 ebenso abgewiesen wie der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 Asylgesetz 2005. Unter einem wurde der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z2 Asylgesetz 2005 nach Guinea ausgewiesen. Der Bescheid erwuchs am 24. November 2007 in Rechtskraft.

2. Am 18. August 2010 stellte der Beschwerdeführer nach erfolgter Rückübernahme von Großbritannien gemäß den Bestimmungen der Dublin II-Verordnung einen zweiten Asylantrag.

3. Am 19. November 2010 hat das Bundesasylamt den Beschwerdeführer zunächst einvernommen. Dabei gab dieser zu seinem Verbleib seit der ersten Asylentscheidung an, er sei im Mai 2007 - also schon vor der Erlassung der ersten Asylentscheidung - über Frankreich nach Senegal legal ausgereist und in der Folge nach Guinea weitergereist. Dort sei er bis Juni 2010 geblieben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Gambia sei er am 11. Juli 2010 per Flugzeug über Belgien nach Großbritannien aufgebrochen. Am 12. Juli 2010 sei er in London angekommen. Weiters gab der Beschwerdeführer an, dass er eine Tochter habe, die am 1. April 2008 geboren worden sei und derzeit in Angola lebe.

Nach der Einvernahme hat das Bundesasylamt am 19. November 2010 mit mündlich verkündetem Bescheid den faktischen Abschiebeschutz gemäß §12a Abs2 AsylG 2005 aufgehoben. In der Begründung des Bescheids wird unter anderem ausgeführt:

"Am 18.08.2010 brachten Sie einen neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des §2 Abs1 Z13 AsylG ein. Anlässlich der niederschriftlichen Einvernahme vor einem Organwalter der Sicherheitsexekutive (Erstbefragung), wurden Sie zu Ihren persönlichen Daten, Ihrem Reiseweg und Ihren Fluchtgründen befragt, wobei Sie die in dieser Niederschrift ersichtlichen Angaben machten. Im Verfahren Sie brachten keine Beweismittel in Vorlage. Zuvor waren Sie im Rahmen eines Dublin Verfahrens aus Großbritannien nach Österreich überstellt worden. In diesem Verfahren machten Sie keine Angaben die den Schluss zuließen, dass sie für mehr als 3 Monate das Gebiet der EU verlassen hätten.

Auf Grund der oben ersichtlichen Angaben ist von

Ihrer völligen Unglaubwürdigkeit auszugehen. Dies wird auch durch die mehrfach völlig abgeänderten Fluchtgründe gestützt. Es wird daher davon ausgegangen, dass die erlassene Ausweisung zwar konsumiert, auf Grund des bekannten und nachvollziehbaren Reiseweges aber nicht länger als 18 Monate zurückliegt und somit iSd §12a AsylG als aufrecht anzunehmen ist. Von einer Rückkehr in Ihre Heimat wird jedenfalls nicht ausgegangen."

4. Mit Beschluss vom 29. November 2010 hat der Asylgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes durch das Bundesasylamt festgestellt. In der Begründung des Beschlusses wird zur Frage der aufrechten Ausweisung ausgeführt:

"2.1. aufrechte Ausweisung

Gegen den Beschwerdeführer besteht gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG BGBl. I Nr. 100/2005 durch den Bescheid des Bundesasylamtes vom 09.11.2007, Zl. 07 03.197-BAL, eine weiterhin aufrechte Ausweisung, zumal der Asylwerber zwar zwischenzeitlich nachweislich das Bundesgebiet verlassen hat, die Ausreise jedoch nicht länger als 18 Monate zurückliegt und somit die Voraussetzung des §10 Abs6 AsylG im gegenständlichen Fall erfüllt ist. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft. Im Sinne des §75 Abs8 AsylG 2005 gilt die seinerzeitige Ausweisung als eine solche nach §10 Abs6 AsylG 2005."

5. Gegen diesen Beschluss des Asylgerichtshofes

richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend macht. Die Beschwerde behauptet schwerwiegende Begründungs- und Ermittlungsmängel des Bundesasylamts und wirft dem belangten Asylgerichtshof vor, dass er diese mit keinem Wort aufgegriffen habe. Die Asylgerichtshof beschränke sich in der entscheidungsrelevanten Frage der aufrechten Ausweisung ohne weitere Begründung auf die Wendung "zumal der Asylwerber zwar zwischenzeitlich nachweislich das Bundesgebiet verlassen hat, die Ausreise jedoch nicht länger als 18 Monate zurückliegt". Der Asylgerichtshof habe insbesondere mit keinem Wort die Angaben des Beschwerdeführers gewürdigt, die dieser Feststellung zuwiderliefen. Es wäre aber angesichts der langen Zeit (drei Jahre), die seit der Ausweisung verstrichen seien, geboten gewesen, die Frage der Ausreise und des weiteren Aufenthalts aufzuklären, zumal allein durch die Tatsache der Überstellung des Beschwerdeführers von Großbritannien nach Österreich es klar gewesen sei, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt aus Österreich ausgereist sein musste. Auch habe der Beschwerdeführer angegeben, eine zweijährige Tochter in Afrika zu haben, was nahe lege, dass er sich schon im Jahr 2007 wieder in Afrika aufgehalten habe.

6. Der belangte Asylgerichtshof legte die Gerichts- und Verwaltungsakten vor und nahm von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat zur - zulässigen - Beschwerde erwogen:

1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,

nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit.

gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).

Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).

Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa

VfSlg. 13.302/1992 mit weiteren Judikaturhinweisen, 14.421/1996, 15.743/2000). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.

Wie der Verfassungsgerichtshof weiter zu

Entscheidungen des Asylgerichtshofes ausgesprochen hat, verstößt dieser gegen das aus dem Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander folgende Willkürverbot in Zusammenhalt mit dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen, wenn sich Sachverhalt, Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung nicht aus der Gerichtsentscheidung selbst, sondern erst aus einer Zusammenschau mit der Begründung der Bescheide ergibt. Die für die bekämpfte Entscheidung maßgeblichen Erwägungen müssen aus der Begründung der Entscheidung hervorgehen, da nur auf diese Weise die rechtsstaatlich gebotene Kontrolle durch den Verfassungsgerichthof möglich ist (vgl. VfSlg. 17.901/2006, 18.000/2006, 18.632/2008).

2. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung ist dem belangten Asylgerichtshof ein willkürliches Verhalten vorzuwerfen:

2.1. Gemäß der vom Verfassungsgerichtshof für unbedenklich befundenen Norm (vgl. zu §12a Abs2 in seiner Gesamtheit, VfSlg. 19.215/2010) des §12a Abs2 AsylG 2005 idF BGBl. I 135/2009 kann das Bundesasylamt den faktischen Abschiebeschutz eines Asylwerbers dann aufheben, wenn

"1. gegen ihn eine aufrechte Ausweisung besteht,

2. der Antrag (§2 Abs1 Z23 AsylG 2005)

voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eingetreten ist, und

3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder

Abschiebung keine reale Gefahr einer Verletzung von Art2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."

Gemäß §41a AsylG 2005 hat der Asylgerichtshof eine Entscheidung des Bundesasylamtes über die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes von Amts wegen unverzüglich einer Überprüfung zu unterziehen und über die Rechtmäßigkeit der Aufhebung des Abschiebeschutzes binnen acht Wochen zu entscheiden.

2.2. Aus dem rechtsstaatlichen Gebot der Begründung gerichtlicher Entscheidungen folgt für die Begründung dieser Entscheidung, dass sich aus ihr ergeben muss, ob die Entscheidung des Bundesasylamtes alle Tatbestandselemente erfüllt, die §12a Abs2 AsylG 2005 vorsieht. Aus der Begründung des Asylgerichtshofes muss sich daher ergeben, dass er sich auch vergewissert hat, ob eine aufrechte Ausweisung besteht.

Bei dieser Beurteilung kann sich der Asylgerichtshof - da er die Entscheidung des Bundesasylamtes lediglich zu überprüfen hat - auf das Verfahren des Bundesasylamtes stützen, doch muss sich aus seiner Entscheidung ergeben, dass er diese Überprüfung tatsächlich vorgenommen hat.

3. Das Vorliegen einer aufrechten Ausweisung ist ein notwendiges Tatbestandselement des §12a Abs2 AsylG 2005. Gemäß §10 Abs6 AsylG 2005 bleiben Ausweisungen binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Im vorliegenden Fall beschränkt sich der Asylgerichtshof auf die Feststellung, dass die Ausreise nicht länger als 18 Monate zurückliege. Auf die dieser Feststellung widersprechenden Aussagen des Beschwerdeführers ist er nicht im Rahmen einer Beweiswürdigung eingegangen. Es ergibt sich also aus der Entscheidung nicht, dass der Asylgerichtshof die Frage der aufrechten Ausweisung überprüft hat.

Da insofern ein wesentliches Begründungselement der Entscheidung des Asylgerichtshofes fehlt, wurde der Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt.

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher

aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§88a iVm 88 VfGG; im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer von € 400,-- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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