JudikaturVfGH

G19/12 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
14. März 2012

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung:

I. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Mit ihrem auf Art140 Abs1 B-VG gestützten Antrag begehrt die Einschreiterin, die Abs1, 3 und 4 des §334 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. 189/1955 idF BGBl. 642/1989, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Einschreiterin, eine Dienstgeberin iSd

§332 ff. ASVG, hat einen Arbeitsunfall verursacht, bei dem ein Beschäftigter schwer verletzt worden ist. Dieser hat von der Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt (im Folgenden: AUVA) neben bestimmten Sachleistungen (Krankentransporte, stationäre Heilbehandlungen, Reha-Kosten, Dienstgeberzuschuss für Umschulung) eine monatliche Dauerrente im Ausmaß von 80% der Vollrente sowie eine Zusatzrente erhalten, obwohl der Geschädigte nach Ansicht der Antragstellerin durch den Arbeitsunfall keinen tatsächlichen Verdienstentgang erlitten hat.

3. In einem zwischen der AUVA als klagender Partei, der Einschreiterin als erstbeklagter Partei und einem (weiteren) Werkunternehmer als zweitbeklagter Partei geführten Gerichtsverfahren wurde rechtskräftig ausgesprochen, dass die Antragstellerin die von der AUVA erbrachten Sachleistungen zu zahlen habe. Ferner wurde festgestellt, dass die Antragstellerin gemäß §334 ASVG für alle zukünftigen Schäden zur Gänze hafte (vgl. OGH 24.3.2010, 9 Ob A52/09 a).

4. Unter Berufung auf diese Entscheidungen verlangt nun die AUVA von der Antragstellerin die Zahlung eines Betrages iHv € 155.405,12 für die von ihr erbrachten Rentenleistungen.

5. Die Antragslegitimation wird von der Einschreiterin insbesondere damit begründet, dass ihr kein anderer zumutbarer Umweg offen stehe, um die im Antrag ausgeführten Bedenken an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Denn zum einen sei es der Antragstellerin unmöglich gewesen, die Verfassungswidrigkeit des §334 Abs1 und 4 ASVG im oben angesprochenen zivilgerichtlichen Verfahren geltend zu machen, da sein Gegenstand lediglich Sach-, nicht aber Rentenleistungen gewesen seien. Zum anderen sei es der Antragstellerin aber auch jetzt unzumutbar, ein (neues) zivilgerichtliches Verfahren dadurch zu provozieren, dass sie entgegen der rechtskräftig festgestellten Haftung für zukünftige Schäden aus dem Arbeitsunfall keine Zahlungen für kausale künftige Schäden leiste.

6. Die Regelung des §334 Abs1 und 4 ASVG wird von der Antragstellerin schließlich deshalb als verfassungswidrig erachtet, weil es nach dieser Vorschrift für die Ersatzpflicht des Dienstgebers gegenüber dem Sozialversicherungsträger nicht darauf ankomme, ob der Geschädigte überhaupt einen Schaden in Höhe der vom Sozialversicherungsträger erbrachten Leistungen erlitten hat. Damit hafte der Dienstgeber jedoch strenger als nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Regeln. §334 ASVG verpflichte den Dienstgeber außerdem dazu, dem Sozialversicherungsträger mehr zu zahlen, als er bei fehlendem Dienstgeberprivileg und Regressanspruch des Sozialversicherungsträgers dem durch den Arbeitsunfall geschädigten Dienstnehmer nach allgemeinen schadenersatzrechtlichen Regeln zu bezahlen gehabt hätte. Damit werde der Dienstgeber ohne sachliche Rechtfertigung schlechter als ein Schädiger gestellt.

II. Rechtslage

1. Die §§333 und 334 ASVG, BGBl. 189/1955 idF

642/1989, lauten wie folgt:

"Einschränkung der Schadenersatzpflicht des Dienstgebers gegenüber dem Dienstnehmer bei Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten)

§333. (1) Der Dienstgeber ist dem Versicherten zum Ersatz des Schadens, der diesem durch eine Verletzung am Körper infolge eines Arbeitsunfalles oder durch eine Berufskrankheit entstanden ist, nur verpflichtet, wenn er den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht hat. Diese Einschränkung gilt auch gegenüber den Hinterbliebenen des Versicherten, wenn dessen Tod auf die körperliche Verletzung infolge des Arbeitsunfalles oder auf die Berufskrankheit zurückzuführen ist.

(2) Hat der Dienstgeber den Arbeitsunfall (die Berufskrankheit) vorsätzlich verursacht, so vermindert sich der Schadenersatzanspruch des Versicherten oder seiner Hinterbliebenen um die Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

(3) Die Bestimmungen der Abs1 und 2 sind, unbeschadet der Bestimmungen des §477, nicht anzuwenden, wenn der Arbeitsunfall durch ein Verkehrsmittel eingetreten ist, für dessen Betrieb auf Grund gesetzlicher Vorschrift eine erhöhte Haftpflicht besteht. Der Dienstgeber haftet nur bis zur Höhe der aus einer bestehenden Haftpflichtversicherung zur Verfügung stehenden Versicherungssumme, es sei denn, daß der Versicherungsfall durch den Dienstgeber vorsätzlich verursacht worden ist.

(4) Die Bestimmungen der Abs1 und 2 gelten auch für Ersatzansprüche Versicherter und ihrer Hinterbliebenen gegen gesetzliche oder bevollmächtigte Vertreter des Unternehmers und gegen Aufseher im Betrieb."

"Haftung des Dienstgebers bei Arbeitsunfällen (Berufskrankheiten) gegenüber den Trägern der Sozialversicherung

§334. (1) Hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß §333 Abs4 Gleichgestellter den Arbeitsunfall oder die Berufskrankheit vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit verursacht, so hat er den Trägern der Sozialversicherung alle nach diesem Bundesgesetz zu gewährenden Leistungen zu ersetzen. Dies gilt nicht in den Fällen von Leistungen nach §213a.

(2) §328 ist auf Ersatzansprüche für

Krankenbehandlung (§§133 bis 137) oder für Unfallheilbehandlung (§§135 bis 137 in Verbindung mit §189) entsprechend anzuwenden.

(3) Durch ein Mitverschulden des Versicherten wird die Haftung gemäß Abs1 weder aufgehoben noch gemindert.

(4) Der Träger der Unfallversicherung kann als Ersatz für eine von ihm zu gewährende Rente deren Kapitalswert (§184) fordern.

(5) Hat der Dienstgeber oder ein ihm gemäß §333 Abs4 Gleichgestellter den Arbeitsunfall nicht vorsätzlich herbeigeführt, so kann der Träger der Sozialversicherung auf den Ersatz ganz oder teilweise verzichten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verpflichteten dies begründen."

III. Erwägungen

1.1. Gemäß Art140 Abs1 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hat seit dem Beschluss VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt vertreten, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG setze voraus, dass durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und dass der durch Art140 Abs1 B-VG dem Einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen verfassungswidrige Gesetze nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.803/1988, 13.871/1994, 15.343/1998, 16.722/2002, 16.867/2003).

1.3. Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren läuft, das dem Betroffenen Gelegenheit zur Anregung einer amtswegigen Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof bietet (VfSlg. 13.871/1994 mwN). Dieser Grundsatz gilt auch für den Fall, dass ein Verfahren anhängig war, in welchem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991). Ein Individualantrag wäre in solchen Fällen nur bei Vorliegen besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (VfSlg. 11.344/1987, 11.823/1988). Man gelangte andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (VfSlg. 15.626/1999 mwN).

2. Auch im konkreten Fall stand der Antragstellerin ein derartiger zumutbarer Weg offen. Wie sie nämlich selbst in ihrem Antrag ausführt, wurde in dem bereits anhängig gewesenen Zivilverfahren (vgl. OGH 24.3.2010, 9 Ob A52/09 a) gestützt auf §334 ASVG festgestellt, dass die nunmehrige Antragstellerin der AUVA die von ihr gewährten Sachleistungen zu ersetzen habe und sie zudem für alle zukünftigen Schäden hafte.

3. Damit stand der Antragstellerin aber schon deshalb ein zumutbarer Weg offen, um ihre Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Rechtsvorschriften vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen, indem ihr dort die Möglichkeit eröffnet gewesen wäre, bei einem Berufungsgericht die Einleitung eines Normenkontrollverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof anzuregen. Zweifel daran, ob das Rechtsmittelgericht oder der Oberste Gerichtshof die Bedenken des Antragstellers hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes teilen würden, machen für sich allein einen Individualantrag noch nicht zulässig (zB VfSlg. 11.889/1988, 14.752/1997, 15.861/2000, 16.870/2003, 18.844/2009).

4. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die AUVA von der beschwerdeführenden Partei zunächst nur den Ersatz für erbrachte Sachleistungen, und erst auf der Grundlage eines rechtskräftigen Feststellungsurteils über den Grund der Haftung der antragstellenden Partei auch einen Ersatz für die erbrachte Unfallrente forderte, da auch ein Irrtum der antragstellenden Partei über die Reichweite einer Haftung nach §334 ASVG kein besonderer, außergewöhnlicher Umstand im Sinne der obzitierten Rechtsprechung ist, der zur ausnahmsweisen Einräumung eines Rechts auf Stellung eines Individualantrages in einer in die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte fallenden Rechtsfrage führen könnte (zur Ablehnung verfassungsrechtlicher Bedenken ob §334 ASVG vgl. im Übrigen OGH 19.12.1989, 2 Ob 118/89).

IV. Ergebnis

Der Antrag war daher als unzulässig zurückzuweisen. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

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