JudikaturVfGH

U52/12 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
15. Juni 2012

Spruch

I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.

Die Entscheidung wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und amtswegiges Gesetzesprüfungsverfahren

1.1. Die Beschwerdeführerin, eine mongolische Staatsangehörige, reiste am 1. April 2009 unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz. Ihren Antrag begründend führte die Beschwerdeführerin aus, in der Mongolei in einer Apotheke als Lagerarbeiterin beschäftigt gewesen zu sein. Da sie sich geweigert hätte, dem stellvertretenden Polizeichef mangels Zuständigkeit Medikamente für dessen Vater auszufolgen und dieser daraufhin verstorben wäre, wäre sie fälschlicherweise beschuldigt worden, Medikamente illegal verkauft zu haben. Während der Anhaltung in Untersuchungshaft wäre sie von anderen Frauen geschlagen worden. Im Laufe ihres Asylverfahrens brachte die Beschwerdeführerin ergänzend vor, in der Haft auch vergewaltigt worden zu sein.

1.2. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 29. September 2009 gemäß §3 Abs1 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005, in der Fassung BGBl. I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005), ab, erkannte der Beschwerdeführerin gemäß §8 Abs1 Z1 AsylG 2005 den Status einer subsidiär Schutzberechtigten nicht zu und wies sie gemäß §10 Abs1 Z2 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet in die Mongolei aus.

1.3. Die dagegen erhobene Beschwerde vom 7. Oktober 2009 wies der Asylgerichtshof mit der angefochtenen Entscheidung vom 28. Dezember 2011 gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 Z1 und 10 Abs1 Z2 AsylG 2005 ab. Unter einem wurde der am 10. November 2011 beim Asylgerichtshof eingelangte Antrag auf Beigebung eines Rechtsberaters "gemäß §75 Abs16 iVm. §66 AsylG 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 38/2011, als verspätet zurückgewiesen". In seiner Entscheidung führt der Asylgerichtshof im Wesentlichen aus, dass das Vorbringen der Beschwerdeführerin völlig unplausibel, mit Widersprüchen behaftet und überdies in der Beschwerde gesteigert worden sei. Auch aus ihrer Stellung als allein stehende Frau in der Mongolei könne nicht auf eine asylrelevante Verfolgungswahrscheinlichkeit geschlossen werden. Es seien weiters keine exzeptionellen Umstände zutage getreten, die im Rahmen einer Abschiebung der Beschwerdeführerin eine Verletzung der Art2 oder 3 EMRK bedeuten würden, zumal sie gesund sei und sowohl über eine überdurchschnittliche Bildung als auch über langjährige Berufserfahrung verfüge. In Österreich führe die Beschwerdeführerin kein Familienleben; auf Grund vorhandener Bindungen zu ihrem Herkunftsstaat sowie mangels Vorliegens überwiegender Integrationsmerkmale sei der durch die Ausweisung erfolgende Eingriff in ihr Privatleben als statthaft zu erachten. Die Beschwerdeführerin habe erst mit Schreiben vom 8. November 2011, welches am 10. November 2011 am Asylgerichtshof eingelangt sei, die Beistellung eines Rechtsberaters beantragt. Gemäß §66 iVm §75 Abs16 AsylG 2005, BGBl. I 38/2011, hätte sie diesen Antrag aber bloß bis zum 31. Oktober 2011 stellen können, weshalb er als verspätet zurückzuweisen sei.

1.4. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte nach Art3, 6 und 8 EMRK geltend gemacht sowie die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Entscheidung beantragt. Hinsichtlich des im Asylverfahren gestellten Antrages auf Beigebung eines Rechtsberaters wird "die Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art140 B-VG" angeregt, weil die Beschwerdeführerin auf die nur bis zum 31. Oktober 2011 laufende Frist zur Stellung eines derartigen Antrages nicht hingewiesen worden sei und "sich eine Frist von lediglich einem Monat (gerechnet ab 1.10.2011) bei einem mehrjährigen Verfahren ohnehin als zu kurz bemessen" erweise.

2. Aus Anlass dieser Beschwerde leitete der Verfassungsgerichtshof am 2. März 2012 gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Wortfolge "bis spätestens 31. Oktober 2011" in §75 Abs16 AsylG 2005, BGBl. I 100/2005, in der Fassung BGBl. I 38/2011, ein. Mit Erkenntnis vom 15. Juni 2012, G41/12, wurde die genannte Wortfolge als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist begründet.

Die belangte Behörde hat eine verfassungswidrige Gesetzesbestimmung angewendet. Es ist nach Lage des Falles nicht ausgeschlossen, dass ihre Anwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war (vgl. VfSlg. 19.188/2010).

2. Die Beschwerdeführerin wurde somit durch die angefochtene Entscheidung wegen Anwendung einer verfassungswidrigen Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt (ständige Rechtsprechung beginnend mit VfSlg. 10.404/1985).

III. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die angefochtene Entscheidung ist daher

aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§88a iVm 88

VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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