JudikaturVfGH

G8/12 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
20. Juni 2012

Spruch

I. §46 Wiener Pensionsordnung 1995 (Wr. PO 1995), LGBl. für Wien Nr. 67 idF LGBl. für Wien 48/2003, sowie §5 Abs4 Ruhe- und Versorgungsgenußzulagegesetz 1995, LGBl. für Wien Nr. 72 idF LGBl. für Wien Nr. 18/1999, werden als verfassungswidrig aufgehoben.

II. Die Aufhebung tritt mit Ablauf des 31.12.2013 in Kraft.

III. Frühere gesetzliche Bestimmungen treten nicht wieder in Kraft.

IV. Der Landeshauptmann von Wien ist zur unverzüglichen Kundmachung dieser Aussprüche im Landesgesetzblatt für Wien verpflichtet.

Entscheidungsgründe:

I. Anlassverfahren, Prüfungsbeschluss und Vorverfahren

1. Beim Verfassungsgerichtshof ist zur Zahl B826/10 eine Beschwerde gemäß Art144 B-VG anhängig, der im Wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

1.1. Der Beschwerdeführer wurde mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien vom 3. Juli 2000 mit Ablauf des 31. August 2000 in den Ruhestand versetzt, wobei festgestellt wurde, dass dem Beschwerdeführer ein Ruhegenuss und eine Ruhegenusszulage in betragsmäßig bestimmter Höhe gebühren. Die gegen die Festsetzung der Ruhegenusszulage erhobene Berufung wurde vom Dienstrechtssenat der Stadt Wien mit Berufungsbescheid vom 29. Jänner 2001 als unbegründet abgewiesen und die Höhe des dem Beschwerdeführer gebührenden Ruhegenusses und der Ruhegenusszulage ab dem Jahr 2001 festgestellt. Die dagegen erhobene Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wurde abgewiesen (VfSlg. 16.513/2002).

1.2. Mit Schreiben vom 18. Juli 2009 beantragte der Beschwerdeführer, ihm ab dem Jahr 2001 "höhere als die bisher ausgewiesenen Beträge" auszuzahlen. Der Beschwerdeführer begründete das Begehren auf Auszahlung höherer Ruhebezüge u.a. mit der behaupteten Verfassungswidrigkeit der mit "Art III Z3 des Gesetzes LGBl. für Wien Nr. 18/1999" eingeführten Regelung der Pensionsanpassung, durch welche der Wiener Landesgesetzgeber eine unzulässige dynamische Verweisung auf das Allgemeine Sozialversicherungsgesetz (ASVG) vorgenommen habe. Mit Schreiben vom 16. August 2009 beantragte der Beschwerdeführer zusätzlich die Neuberechnung der Ruhegenusszulage bzw. die geänderte Berechnung der Gutschrift.

1.3. Mit Bescheid vom 31. August 2009 des Magistrates der Stadt Wien wurde die sich auf Grund der jährlichen Pensionsanpassung ergebende Höhe des Ruhegenusses und der Ruhegenusszulage ab 1. Jänner 2001 festgestellt (Spruchpunkt 1.), der Antrag auf Auszahlung höherer Beträge abgewiesen (Spruchpunkt 2.) und der Antrag auf Neuberechnung der Ruhegenusszulage bzw. auf geänderte Berechnung der Gutschrift wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt 3.). Mit Bescheid des Dienstrechtssenates der Stadt Wien vom 5. Mai 2010 wurde der dagegen erhobenen Berufung grundsätzlich keine Folge gegeben; Spruchpunkt 1. wurde insbesondere dahingehend geändert, dass die Höhe des Ruhegenusses und der Ruhegenusszulage ab 1. Jänner 2002 festgestellt wurde.

1.4. Gegen diesen Bescheid richtet sich die eingangs genannte, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Unversehrtheit des Eigentums sowie in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

2. Bei der Behandlung dieser Beschwerde sind beim Verfassungsgerichtshof Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit des §46 Wiener Pensionsordnung 1995, LGBl. 67 idF

LGBl. 48/2003, sowie des §5 Abs4 Ruhe- und Versorgungsgenußzulagegesetz 1995, LGBl. 72 idF LGBl. 18/1999, entstanden. Der Verfassungsgerichtshof leitete daraufhin mit Beschluss vom 15. Dezember 2011, B826/10, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen ein Gesetzesprüfungsverfahren hinsichtlich der genannten Bestimmungen ein.

3. Die Wiener Landesregierung erstattete eine Äußerung, in der sie beantragt, der Verfassungsgerichtshof wolle aussprechen, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen nicht als verfassungswidrig aufgehoben werden. Zu den vorgebrachten Bedenken im Hinblick auf das Vorliegen einer dynamischen Verweisung führt die Wiener Landesregierung Folgendes aus:

Der in der Bestimmung des §46 Abs3 Wr. PO 1995

enthaltene Verweis auf §108 Abs5 und §108f ASVG stelle einen statischen Verweis dar, da wegen §74 Abs2 Wr. PO 1995 jeweils auf eine bestimmte, in der Vergangenheit liegende Fassung des ASVG Bezug genommen werde. Gemäß §74 Abs2 Wr. PO 1995 idF LGBl. 50/2002 sei bei Verweisen auf Bundesgesetze deren am 1. September 2002 geltende Fassung anzuwenden; in späteren Novellen seien jeweils Stichtage jüngeren Datums festgelegt worden. Bei der jährlichen Festsetzung des Anpassungsfaktors komme der zuständigen Bundesministerin bzw. dem zuständigen Bundesminister kein Gestaltungsspielraum zu. Sowohl der unter Bedachtnahme auf das Gutachten der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung nach der früheren Rechtslage festzusetzende Anpassungsfaktor als auch der nach der ab 1. Jänner 2005 geltenden Rechtslage von dieser Kommission zu berechnende Richtwert würden reine Rechengrößen zur Valorisierung der Höhe der Ruhe- und Versorgungsgenüsse darstellen. Für die Berechnung des Richtwertes sei ausschließlich die Erhöhung der Verbraucherpreise in einem bestimmten Zeitraum entscheidend. Sowohl der Bundesgesetzgeber als auch der Wiener Landesgesetzgeber hätten mehrmals von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, durch Gesetz eine vom Anpassungsfaktor abweichende Pensionsanpassung vorzunehmen. Mit der Bestimmung des §46 Abs3 Wr. PO 1995 werde nicht die Normsetzungsbefugnis übertragen, sondern ein aus der Wirtschaftslage zu ermittelnder Wert als Grundlage für die Pensionserhöhung herangezogen und damit eine wirtschaftliche Kennzahl als Tatbestandsmerkmal akzeptiert.

4. Der Beschwerdeführer des Anlassverfahrens äußerte sich zur Berechnung des Anpassungsfaktors gemäß §108f ASVG dahingehend, dass sich aus der Formulierung "unter Bedachtnahme" ergebe, dass sich der Bundesminister bei der Festsetzung auch von anderen Gesichtspunkten leiten lassen dürfe.

5. Das Bundeskanzleramt (Verfassungsdienst) teilte mit, dass nach Rücksprache mit dem Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz von einer Äußerung zur Frage der Berechnung des Anpassungsfaktors nach §108f ASVG Abstand genommen werde.

II. Rechtslage

1. Der in Prüfung gezogene §46 Wiener Pensionsordnung 1995 (Wr. PO 1995), LGBl. 67 idF LGBl. 48/2003, lautet wie folgt:

"Pensionsanpassung

§46. (1) Künftige Änderungen dieses Gesetzes gelten für Personen, die am Tag vor dem In-Kraft-Treten der jeweiligen Änderung bereits Anspruch auf Leistungen nach diesem Gesetz haben, nur dann, wenn dies ausdrücklich vorgesehen ist.

(2) Die Ruhe- und Versorgungsbezüge mit Ausnahme der Zulagen gemäß §§29 und 30 sind mit 1. Jänner eines jeden Jahres mit dem jeweils in Betracht kommenden Anpassungsfaktor gemäß Abs3 zu vervielfachen, wenn auf sie bereits

1. vor dem 1. Jänner des betreffenden Jahres ein Anspruch bestanden hat oder

2. sie von Ruhegenüssen abgeleitet werden, auf die vor dem 1. Jänner des betreffenden Jahres ein Anspruch bestanden hat.

(3) Der Anpassungsfaktor entspricht dem für das

jeweilige Kalenderjahr gemäß §108 Abs5 und §108f ASVG festgesetzten Anpassungsfaktor."

2. §74 Wiener Pensionsordnung 1995 (Wr. PO 1995), LGBl. 67 idF LGBl. 50/2002, lautete wie folgt:

"Verweisungen auf andere Gesetze

§74. (1) Soweit dieses Gesetz auf andere Wiener Landesgesetze verweist, sind diese, wenn nicht ausdrücklich anderes angeordnet wird, in der jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

(2) Soweit dieses Gesetz auf Bundesgesetze verweist, sind diese in der am 1. September 2002 geltenden Fassung anzuwenden."

§74 Abs2 Wr. PO 1995 wurde seither in Bezug auf den darin genannten Stichtag mehrmals novelliert, wobei immer die an einem bestimmten Stichtag geltende Fassung der verwiesenen Bundesgesetze anzuwenden war.

3. Der in Prüfung gezogene §5 Abs4 Wiener Ruhe- und Versorgungsgenußzulagegesetz 1995 (Wr. RVZG 1995), LGBl. 72 idF LGBl. 18/1999, lautet:

"(4) Die Höhe der Ruhegenußzulage ändert sich gemäß §46 Abs2 der Pensionsordnung 1995."

4. §108 Abs5 und §108f ASVG lauten in der derzeit geltenden Fassung BGBl. I 142/2004:

"§108. (5) Anpassungsfaktor: Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat jedes Jahr für das folgende Kalenderjahr den Anpassungsfaktor (§108f) bis spätestens 30. November eines jeden Jahres durch Verordnung festzusetzen. Die Verordnung ist der Bundesregierung zur Zustimmung vorzulegen. Der Anpassungsfaktor ist, soweit nichts anderes bestimmt wird, für die Erhöhung der Renten und Pensionen und der leistungsbezogenen festen Beträge in der Sozialversicherung heranzuziehen.

Festsetzung des Anpassungsfaktors

§108f. (1) Der Bundesminister für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz hat für jedes Kalenderjahr den Anpassungsfaktor unter Bedachtnahme auf den Richtwert nach §108e Abs9 Z1 festzusetzen.

(2) Der Richtwert ist so festzusetzen, dass die Erhöhung der Pensionen auf Grund der Anpassung mit dem Richtwert der Erhöhung der Verbraucherpreise nach Abs3 entspricht. Er ist auf 3 Dezimalstellen zu runden.

(3) Die Erhöhung der Verbraucherpreise ist auf Grund der durchschnittlichen Erhöhung in zwölf Kalendermonaten bis zum Juli des Jahres, das dem Anpassungsjahr vorangeht, zu ermitteln, wobei der Verbraucherpreisindex 2000 oder ein an seine Stelle tretender Index heranzuziehen ist. Dazu ist das arithmetische Mittel der für den Berechnungszeitraum von der Statistik Austria veröffentlichten Jahresinflationsraten zu bilden."

§108 Abs5 ASVG lautete in der Fassung BGBl. I

92/2000:

"§108. (5) Anpassungsfaktor und Wertausgleich: Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen hat jedes Jahr für das folgende Kalenderjahr

1. den Anpassungsfaktor (§108f) und

2. den Wertausgleich nach §299a durch Einmalzahlung bis spätestens 30. November eines jeden Jahres durch Verordnung festzusetzen. Die Verordnung ist der Bundesregierung zur Zustimmung vorzulegen. Der Anpassungsfaktor ist, soweit nichts anderes bestimmt wird, für die Erhöhung der Renten und Pensionen und der leistungsbezogenen festen Beträge in der Sozialversicherung heranzuziehen."

§108f ASVG lautete in der Fassung BGBl. I 31/2002:

"Festsetzung des Anpassungsfaktors

§108f. (1) Der Bundesminister für soziale Sicherheit und Generationen hat für jedes Kalenderjahr den Anpassungsfaktor unter Bedachtnahme auf das Gutachten nach §108e Abs9 Z2 festzusetzen.

(2) Der Anpassungsfaktor ist unter Bedachtnahme auf den Anpassungsrichtwert für das Anpassungsjahr (§108 Abs6) so festzusetzen, dass die Anpassungsfaktormesszahl (Abs4) für das Anpassungsjahr gleich ist wie die Anpassungsrichtwertmesszahl (Abs5) für das Anpassungsjahr. Der Anpassungsfaktor darf die Zahl 1 nicht unterschreiten.

(3) Aufgehoben.

(4) Für das Kalenderjahr 1992 beträgt die Anpassungsfaktormeßzahl 100,00. Für jedes weitere Kalenderjahr ist die Anpassungsfaktormeßzahl in der Verordnung nach §108 Abs5 festzusetzen. Die Anpassungsfaktormeßzahl ergibt sich aus der Vervielfachung der letzten Anpassungsfaktormeßzahl mit dem Anpassungsfaktor. Werden in einem Jahr die Pensionen nicht ausschließlich mit dem Anpassungsfaktor erhöht, so ist für die Vervielfachung der Anpassungsfaktormesszahl jener Faktor heranzuziehen, der der durchschnittlichen Pensionsanpassung in diesem Jahr entspricht. Die Anpassungsfaktormeßzahl ist auf zwei Dezimalstellen zu runden.

(5) Für das Kalenderjahr 1992 beträgt die Anpassungsrichtwertmesszahl 100,00. Für jedes weitere Kalenderjahr ist die Anpassungsrichtwertmesszahl in der Verordnung nach §108 Abs5 festzusetzen. Die Anpassungsrichtwertmesszahl ergibt sich aus der Vervielfachung der Anpassungsrichtwertmesszahl für das Jahr 1992 mit dem Produkt der Anpassungsrichtwerte für das Kalenderjahr 1993 und die folgenden Jahre bis einschließlich des Anpassungsjahres. Wurde in einem Kalenderjahr nach §108 Abs7 der Anpassungsfaktor durch ein Bundesgesetz beschlossen, so ist bei der Berechnung der Anpassungsrichtwertmesszahl das Produkt der Anpassungsrichtwerte zusätzlich mit dem Faktor zu vervielfachen, der sich durch Teilung der Anpassungsfaktormesszahl für dieses Jahr durch die für dieses Jahr zu Grunde gelegte Anpassungsrichtwertmesszahl ergibt. Die Anpassungsrichtwertmesszahl ist auf zwei Dezimalstellen zu runden."

5. Gemäß §108e Abs1 ASVG idF BGBl. I 142/2004 ist

beim Bundesministerium für soziale Sicherheit und Generationen eine "Kommission zur langfristigen Pensionssicherung" eingerichtet. Diese Kommission hat unter anderem gemäß §108e Abs9 Z1 ASVG folgende Aufgabe: "Berechnung des Richtwertes nach §108f Abs2 für das folgende Kalenderjahr bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres, erstmals für das Jahr 2006". In der davor (bis 31. Dezember 2004) geltenden Fassung war die Kommission dazu berufen, den "Anpassungsfaktor" nach §108f Abs2 ASVG zu berechnen.

III. Erwägungen

1. Das Gesetzesprüfungsverfahren hat nicht ergeben, dass die vorläufigen Annahmen des Verfassungsgerichtshofes, dass die Beschwerde zulässig sei und dass die belangte Behörde bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides ausdrücklich die Absätze 2 und 3 des mit "Pensionsanpassung" übertitelten §46 Abs3 Wr. PO 1995 sowie §5 Abs4 Wr. RVZG 1995 angewendet habe und daher auch der Verfassungsgerichtshof diese Bestimmungen bei der Behandlung der Beschwerde anzuwenden hätte, unzutreffend wären. Ebenso wenig sind im Gesetzesprüfungsverfahren Zweifel daran entstanden, dass §46 Abs2 und 3 Wr. PO 1995 mit §46 Abs1 leg.cit. in einem untrennbaren Zusammenhang stehen.

Mit LGBl. 48/2003 wurde §46 Abs1 Wr. PO 1995

novelliert; diese Änderung trat mit 1. Jänner 2003 in Kraft. Für den Zeitraum ab 1. Jänner 2003, für den die belangte Behörde die Absätze 2 und 3 des §46 Wr. PO 1995 zutreffenderweise in der Fassung LGBl. 50/2002 angewendet hat, war daher bezogen auf die ganze Norm des §46 Wr. PO 1995 die Fassung LGBl. 48/2003 anzuwenden.

Da im Verfahren auch sonst Zweifel am Vorliegen der Prozessvoraussetzungen weder vorgebracht wurden noch entstanden sind, ist das Gesetzesprüfungsverfahren zulässig.

2. In der Sache äußerte der Verfassungsgerichtshof im Prüfungsbeschluss folgende Bedenken:

"[...] Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen die in Prüfung gezogenen Bestimmungen das Bedenken, dass diese in unzulässiger Weise auf eine Bestimmung eines anderen Gesetzgebers verweisen.

[...] Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes liegt eine verfassungswidrige dynamische Verweisung (zB VfSlg. 6290/1970, 7085/1973, 7241/1973, 17.479/2005 mwN) dann vor, wenn der Gesetzgeber des Bundes oder des Landes nicht selbst den Inhalt der Normen festlegt, sondern dies einem anderen Gesetzgeber überlässt, indem er für die Zukunft die jeweiligen Gesetzesbefehle des anderen Gesetzgebers als eigene Gesetzbefehle erklärt, obwohl ihr Inhalt noch gar nicht feststeht und daher nirgends umschrieben ist; der zuständige Gesetzgeber gebe damit auch seine ihm zukommende Kompetenz auf. Keinem Gesetzgeber ist es aber verfassungsrechtlich verwehrt, an die von einer anderen Rechtssetzungsautorität geschaffene Rechtslage anknüpfend, diese Rechtslage oder die darauf gestützten Vollzugsakte zum Tatbestandselement seiner eigenen Regelung zu machen. Entscheidendes Kriterium einer derartigen - verfassungsrechtlich zulässigen - tatbestandlichen Anknüpfung an fremde Normen oder Vollzugsakte ist, dass die zum Tatbestandselement erhobene (fremde) Norm nicht im verfassungsrechtlichen Sinn vollzogen, sondern lediglich ihre vorläufige inhaltliche Beurteilung dem Vollzug der eigenen Norm zugrunde gelegt wird (vgl. VfSlg. 8161/1977, 9546/1982, 12.384/1990).

[...] Auf Grund dieser Rechtsprechung liegt eine verfassungsrechtlich verpönte sogenannte dynamische Verweisung dann vor, wenn ein zur Regelung zuständiger Gesetzgeber seine Befugnis einem anderen Gesetzgeber überlässt und somit dessen (zukünftige) Regelungen als seine eigenen erklärt. In gleicher Weise dürfte es auch unzulässig sein, wenn der zur Regelung zuständige Gesetzgeber zwar nicht auf einen 'Gesetzesbefehl' selbst, sondern auf einen diesen Gesetzesbefehl ausführenden Vollzugsakt einer Verordnung abstellt. §46 Abs3 Wr. PO 1995 idF LGBl. 50/2002 normiert, dass der für das jeweilige Kalenderjahr nach §108 Abs5 und §108f ASVG vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz festgesetzte Anpassungsfaktor dem nach §46 Abs2 Wr. PO 1995 festzulegenden Anpassungsfaktor entspricht. Den Erläuterungen zufolge soll der Anpassungsfaktor nach der Wr. PO 1995 dem Anpassungsfaktor des ASVG entsprechen (vgl. EB 18/2002 BlgLT 17. GP). Demnach dürfte der Landesgesetzgeber für die Zukunft die auf einer gesetzlichen Regelung des Bundes basierenden - jährlichen - Verordnungen als eigenen Gesetzesbefehl erklärt und sie zum eigenen Norminhalt gemacht haben. §46 Abs3 Wr. PO 1995 idF LGBl. 50/2002 dürfte somit schlechthin einen Verweis auf den nach den Bestimmungen des ASVG vom Bundesminister festzusetzenden Anpassungsfaktor beinhalten und nicht einen - zulässigen - statischen Verweis auf einen bestimmten Anpassungsfaktor darstellen. Der Landesgesetzgeber dürfte - obwohl er zwischenzeitig den Anpassungsfaktor für bestimmte Jahre anders geregelt hat - weiters davon ausgegangen sein, dass der Anpassungsfaktor des ASVG auch dann anzuwenden sei, wenn sich die verwiesenen Bestimmungen des ASVG über die Festsetzung dieses Faktors ändern (vgl. EB 18/2002 BlgLT 17. GP).

Auch dürfte §46 Abs3 Wr. PO 1995 keine zulässige tatbestandsmäßige Anknüpfung vorsehen, weil sich der Anpassungsfaktor nicht nach rein rechnerischen Formeln oder wirtschaftlichen Kennzahlen zu bestimmen scheint, sondern dieser Faktor - wenn auch unter Bedachtnahme auf bestimmte (wirtschaftliche) Kennzahlen - letztendlich vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz festzusetzen sein dürfte. Auf Grund der Bestimmung des §46 Abs3 leg.cit. dürfte somit der Anpassungsfaktor nicht nur als Sachverhaltselement anzusehen sein; vielmehr scheint sich die Anpassung des Ruhebezuges und der Ruhegenusszulage jeweils unmittelbar aus dem vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz festgesetzten Anpassungsfaktor nach dem ASVG zu ergeben.

Es wird im Gesetzesprüfungsverfahren auch zu prüfen sein, ob überhaupt ein Gestaltungsspielraum des genannten Bundesministers als Normsetzer der verwiesenen Norm vorliegt, sodass es sich - für den Fall, dass diese Frage zu verneinen ist, - im Ergebnis möglicherweise nur um eine Anknüpfung an einen Sachverhalt handelt."

3. Die im Prüfungsbeschluss geäußerten Bedenken

treffen zu:

3.1. Nach §46 Abs2 Wr. PO 1995 sind unter näher abgegrenzten Voraussetzungen die Ruhe- und Versorgungsbezüge mit 1. Jänner eines jeden Jahres "mit dem jeweils in Betracht kommenden Anpassungsfaktor gemäß Abs3 zu vervielfachen". Dieser "Anpassungsfaktor" gemäß §46 Abs2 Wr. PO 1995 "entspricht" gemäß Abs3 dieser Bestimmung "dem für das jeweilige Kalenderjahr gemäß §108 Abs5 und §108f ASVG festgesetzten Anpassungsfaktor". Eben solches, nämlich eine entsprechende Vervielfachung, ordnet §5 Abs4 Wr. RVZG 1995 durch Verweis auf §46 Abs2 Wr. PO 1995 auch für die Ruhegenusszulage an.

§108 ASVG idF BGBl. I 142/2004 regelt die Grundlagen der Aufwertung und Anpassung in der Sozialversicherung. Darunter bestimmt für den "Anpassungsfaktor" der hier maßgebliche §108 Abs5 ASVG, dass der zuständige Bundesminister diesen Anpassungsfaktor jedes Jahr bis spätestens 30. November für das folgende Kalenderjahr durch Verordnung festzusetzen und diese Verordnung der Bundesregierung zur Zustimmung vorzulegen hat. Für den Inhalt dieses Anpassungsfaktors verweist §108 Abs5 ASVG auf §108f ASVG, der in seinem ersten Absatz den Bundesminister dahingehend bestimmt, dass der Anpassungsfaktor "unter Bedachtnahme auf den Richtwert nach §108e Abs9 Z1" ASVG festzusetzen ist. Diese Bestimmung macht es der gemäß §108e Abs1 ASVG eingerichteten "Kommission zur langfristigen Pensionssicherung" zur Aufgabe, einen Richtwert nach den Regeln des Abs2 des §108f ASVG jeweils für das folgende Kalenderjahr bis zum 31. Oktober eines jeden Jahres zu berechnen. Nach §108f Abs2 ASVG ist dieser Richtwert "so festzusetzen, dass die Erhöhung der Pensionen auf Grund der Anpassung mit dem Richtwert der Erhöhung der Verbraucherpreise nach Abs3 entspricht" und auf 3 Dezimalstellen zu runden.

3.2. In VfSlg. 6290/1970 hatte der Verfassungsgerichtshof jene Bestimmung des damaligen Kärntner Landesdienstrechts-Überleitungsgesetzes zu beurteilen, die die für das Dienstrecht einschließlich des Besoldungs- (Pensions-) und Disziplinarrechtes sowie für die Personalvertretung maßgebenden Bundesgesetze und im Bundesgesetzblatt kundgemachten Verordnungen in der jeweils geltenden Fassung mit gewissen Modifikationen für anwendbar erklärte. Diese Regelung war dem Verfassungsgerichtshof Anlass, seine seitdem in ständiger Rechtsprechung (vgl. VfSlg. 7085/1973, 7241/1973, 17.479/2005 mwN) aufrechterhaltene Aussage zu entwickeln, dass es mit der Verfassung unvereinbar ist, "dass der Gesetzgeber des Bundes oder eines Landes nicht selbst den Inhalt der Norm festlegt, sondern dies einem anderen Gesetzgeber überlässt, indem er für die Zukunft die jeweiligen Gesetzesbefehle des anderen Gesetzgebers als eigene Gesetzesbefehle erklärt, obwohl ihr Inhalt noch gar nicht feststeht und daher auch nirgendwo umschrieben ist" (VfSlg. 6290/1970, S 705 f). Diese Rechtsprechung ist anhand des Verhältnisses von Bundes- zu Landesgesetzen entwickelt worden und sie ist, ohne "dies ausdrücklich zu benennen, [...] insbesondere von der Überlegung der Exklusivität der Kompetenzordnung und dem - grundsätzlichen - Fehlen konkurrierender Zuständigkeiten geleitet" (VfSlg. 17.479/2005). Daher hat der Verfassungsgerichtshof die verfassungsrechtliche Unzulässigkeit dieser als "dynamische Verweisung" bezeichneten Gesetzgebungstechnik von allem Anfang an damit begründet, dass in concreto der in den Fällen am Beginn der Rechtsprechungskette in Rede stehende Landesgesetzgeber (VfSlg. 6290/1970, 7085/1973, 7241/1973) damit in verfassungswidriger Weise "seine Kompetenz aufgegeben habe" (vgl. auch VfSlg. 17.335/2004).

In ebenso ständiger Rechtsprechung hält der Verfassungsgerichtshof aber auch fest, dass es keinem Gesetzgeber verfassungsrechtlich verwehrt ist, "an die von einer anderen Rechtsetzungsautorität geschaffene Rechtslage (oder erst recht an bereits vorliegende Vollzugsakte) anknüpfend, diese Rechtslage oder die darauf gestützten Vollzugsakte zum Tatbestandselement seiner eigenen Regelung zu machen" (VfSlg. 12.384/1990). Daher darf die Gewerbeordnung des Bundes gewerbliche Tätigkeit an einem Standort verbieten, an dem die Tätigkeit bereits durch andere, landesrechtliche Rechtsvorschriften verboten ist (VfSlg. 12.384/1990), oder darf ein Bundesgesetz eine Gebührenbefreiung von der landesgesetzlich geregelten Erteilung einer baupolizeilichen Erlaubnis zur Ingebrauchnahme des bebauten Grundstückes abhängig machen (VfSlg. 8161/1977). Ganz allgemein hat der Verfassungsgerichtshof zu verwaltungsrechtlichen Eigentumsbeschränkungen ausgeführt, dass selbst wenn dem Eigentümer oder sonst privatrechtlich Berechtigten im öffentlichen Interesse Pflichten auferlegt werden, seine privatrechtliche Stellung regelmäßig nur der Anknüpfungspunkt und nicht ihr Gegenstand ist (VfSlg. 9580/1982). Der Verfassungsgerichtshof betont in diesem Zusammenhang auch, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, wenn die eine Gesetzgebungsautorität an Rechtsinstitute anknüpft und auf Lebenssachverhalte Bedacht nimmt, die von der anderen Gesetzgebungsautorität zu regeln sind, "sofern das Anknüpfen und die Bedachtnahme sachlich gerechtfertigt sind" (s. VfSlg. 8161/1977).

Dass §212 Abs2 erster Satz BAO (in der damals relevanten Fassung) die Höhe der Stundungszinsen mit 3 % über dem vom Generalrat der Österreichischen Nationalbank festgelegten sogenannten Eskontzinssatz bestimmte, hat der Verfassungsgerichtshof schließlich in VfSlg. 11.281/1987 mit der Begründung, dass diese Gesetzesbestimmung "an keine Norm anknüpft", sondern "die Anknüpfung an eine Tatsache des Wirtschaftslebens enthält", weder als "dynamische Verweisung" noch als "Anknüpfen an Normen einer fremden Rechtsetzungsautorität" gesehen und verfassungsrechtlich nicht beanstandet.

3.3. Im vorliegenden Fall erklärte der Landesgesetzgeber für die Zukunft die auf einer gesetzlichen Regelung des Bundes basierenden - jährlichen - Verordnungen des Bundesministers als eigenen Gesetzesbefehl und machte sie zum eigenen Norminhalt. Wie in den - ebenso Regelungen im Landesdienstrecht betreffenden - Ausgangsfällen zur Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes zur dynamischen Verweisung enthält §46 Abs3 Wr. PO 1995 eine Delegation einer Befugnis, nämlich der Festsetzung des Anpassungsfaktors, mit dem die Ruhe- und Versorgungsbezüge der Landesbediensteten jährlich zu valorisieren sind, die der Landesgesetzgeber selbst wahrzunehmen hätte. §46 Wr. PO 1995 idF LGBl. 48/2003 beinhaltet schlechthin einen Verweis auf den nach den Bestimmungen des ASVG vom Bundesminister durch Verordnung festzusetzenden Anpassungsfaktor. Der nach Auffassung der Wiener Landesregierung statische Verweis auf die Bestimmungen des ASVG ändert daran nichts, denn das dynamische Element liegt nicht in der Verweisung auf die §§108 und 108f ASVG, sondern in der Bezugnahme auf die auf deren Grundlage jährlich erlassene Verordnung des Bundesministers.

Bliebe der Bundesminister als Verordnungsgeber

untätig oder wiche er bei der Festsetzung des Anpassungsfaktors vom Richtwert der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung ab, was nach dem Gesetzeswortlaut (arg.: "unter Bedachtnahme") zumindest nicht ausgeschlossen scheint, würde dies vorläufig unmittelbar auf die landesgesetzliche Rechtslage durchschlagen. Der Inhalt eines Landesgesetzes, nämlich der Wr. Pensionsordnung, hängt somit vom Handeln eines Organs der Bundesvollziehung, nämlich des Bundesministers für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz, ab.

§46 Abs3 Wr. PO 1995 nimmt nicht nur auf eine Rechengröße Bezug (etwa, indem angeordnet würde, der Anpassungsfaktor entspreche dem von der Kommission zur langfristigen Pensionssicherung gemäß §108f Abs2 und 3 ASVG festgesetzten Richtwert), sondern bezieht sich auf eine Verordnung des zuständigen Bundesministers, mit der dieser den für die Erhöhung der Renten und Pensionen in der Sozialversicherung maßgeblichen Anpassungsfaktor mit Verordnung "unter Bedachtnahme" auf den genannten Richtwert festsetzt.

3.4. Ebenso wie die dargelegte Verfassungswidrigkeit der in §46 Wr. PO 1995 vorgenommenen Verweisung auf die Verordnungen des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen, die sich auf §§108 und 108f ASVG in der Fassung BGBl. I 142/2004 stützen, war die landesrechtliche Verweisung auf die Verordnungen des Bundesministers verfassungswidrig, soweit sich diese nach §46 Wr. PO 1995 idF LGBl. 48/2003 iVm §74 Abs2 Wr. PO 1995 auf frühere Fassungen der §§108 und 108f ASVG stützten.

3.5. Da §5 Abs4 Wr. RVZG 1995 auf §46 Abs2 Wr. PO

1995 und damit letztlich ebenso auf die Verordnung des Bundesministers für soziale Sicherheit und Generationen gemäß §108 Abs5 ASVG verweist, treffen die dargestellten Erwägungen auch auf ihn zu.

4. Der Verfassungsgerichtshof bleibt daher bei seiner im Prüfungsbeschluss ausgesprochenen Auffassung, dass die in Prüfung gezogenen Bestimmungen in unzulässiger Weise auf eine Bestimmung eines anderen Normgebers verweisen und somit verfassungswidrig sind.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. §46 Wr. PO 1995, LGBl. 67 idF LGBl. 48/2003, und §5 Abs4 Wr. RVZG 1995, LGBl. 72 idF LGBl. 18/1999, sind daher als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Die Bestimmung einer Frist für das Außerkrafttreten der aufgehobenen Gesetzesstellen gründet sich auf Art140 Abs5 dritter und vierter Satz B-VG.

3. Der Ausspruch, dass frühere gesetzliche

Bestimmungen nicht wieder in Kraft treten, beruht auf Art140 Abs6 erster Satz B-VG.

4. Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur unverzüglichen Kundmachung der Aufhebung und der damit im Zusammenhang stehenden sonstigen Aussprüche erfließt aus Art140 Abs5 erster Satz B-VG und §64 Abs2 VfGG iVm §138 Abs2 Z7 Wiener Stadtverfassung.

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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