U2109/11 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I. Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtene Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die Entscheidung wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine am 1. August 1975 geborene Staatsangehörige von Nigeria, reiste zu einem unbekannten Zeitpunkt in das Bundesgebiet ein und stellte am 27. Dezember 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Zu ihren Fluchtgründen befragt gab die Beschwerdeführerin an, sie sei Christin und habe mit ihrem Mann und ihren Kindern im Norden Nigerias gelebt. Im Jahr 2000 seien bewaffnete Moslems im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen Christen und Moslems in das Haus der Beschwerdeführerin eingedrungen und haben ihren Mann getötet sowie das Haus niedergebrannt. Der Beschwerdeführerin selbst sei es gelungen, mit ihren Kindern zu ihrem Vater zu fliehen. Die Kinder habe sie bei ihrem Vater gelassen, sie selbst habe aber aus Angst das Land verlassen. Darüber hinaus gibt die Beschwerdeführerin an, ihr Vater wolle sie zwingen, einen wesentlich älteren Mann zu heiraten. Zu ihrer Reiseroute gab sie an, über Mali, Algerien und Marokko nach Spanien gereist zu sein. Spanien habe sie verlassen, weil sie dort zwar bei einem Mann Unterkunft gefunden habe, dieser aber im Gegenzug sexuelle Leistungen verlangt habe.
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes (im Folgenden: BAA) vom 26. Jänner 2007 wurde der Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen und Spanien für die Prüfung des Antrages zuständig erklärt. Gleichzeitig wurde die Beschwerdeführerin nach Spanien ausgewiesen. Dieser Bescheid wurde mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates (im Folgenden: UBAS) vom 6. Februar 2007 behoben. Mit Bescheid des BAA vom 29. Mai 2007 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin abermals zurückgewiesen, Spanien für die Prüfung des Antrages zuständig erklärt und die Beschwerdeführerin nach Spanien ausgewiesen. Mit Bescheid des UBAS vom 26. Juni 2007 wurde auch dieser Bescheid behoben und die Sache an das BAA zurückverwiesen.
3. Mit Bescheid des BAA vom 21. Juli 2008 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I) und der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II) abgewiesen sowie die Beschwerdeführerin aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria ausgewiesen (Spruchpunkt III).
4. Mit Entscheidung des Asylgerichtshofes (im Folgenden: AsylGH) vom 7. Oktober 2011 wurde die dagegen erhobene Beschwerde gemäß §§3 Abs1, 8 Abs1 und 10 Abs1 Z2 Asylgesetz 2005, BGBl. I 100/2005 idF BGBl. I 38/2011 (im Folgenden: AsylG 2005), abgewiesen. Begründend führt der AsylGH aus, eine mündliche Verhandlung habe gemäß §41 Abs7 AsylG 2005 entfallen können, weil der verfahrensrelevante Sachverhalt als geklärt anzusehen sei. Zu Spruchpunkt I führt der AsylGH Folgendes aus:
"Rechtlich folgt aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin zur lediglich hypothetisch befürchteten Bedrohungssituation ausgehend von diversen radikalen Anhängern des Islam, dass ihre Flüchtlingseigenschaft mangels landesweiter Verfolgungsgefahr nicht festgestellt werden konnte und die Asylgewährung daher nicht statthaft ist. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, als dass die Genannte selbst ausdrücklich angegeben hat, seit jenem eben zitierten Vorfall im Jahre 2000 und ihrer unmittelbar anschließend vollzogenen Übersiedelung in ein kleines Dorf unweit von Kano keinen einzigen Repräsentanten bewaffneter Islamisten jemals wiedergesehen zu haben oder von einem solchen in sonstiger Weise kontaktiert, behelligt oder gar angegriffen worden zu sein (vgl. Seite 689 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). Dieser Umstand wiegt in Übereinstimmung mit der Ansicht der belangten Behörde umso schwerer, zumal die Rechtsmittelwerberin selbst eingeräumt hat, dass ihre in die Obhut ihres eigenen Vaters übergebenen drei minderjährigen Kinder ebenso wie dieser ihr Leben seit nunmehr mittlerweile bereits über ein Jahrzehnt hindurch völlig ungestört von diversen religiös motivierten Unruhen fortsetzen hätten können. Zwar habe ihr alter kranker Vater ihr fernmündlich mitgeteilt, dass im Halbjahresrhythmus immer wieder gewaltsame Konflikte zwischen Moslems und Christen in der Region aufflackern würden, jedoch gehe es ihm und den drei Kindern der Beschwerdeführerin 'gut' und würden letztere auch regelmäßig die Schule besuchen (vgl. insbesondere Seiten 689 und 691 des erstinstanzlichen Verwaltungsaktes). Weshalb sie im Falle ihrer Rückkehr nach Nigeria plötzlich Opfer religiös motivierter Gewalt werden sollte, vermochte die Beschwerdeführerin in ihrem Verfahren nicht schlüssig darzulegen. Dies umso mehr angesichts des völligen Fehlens einer speziell gegen die Person der Rechtsmittelwerberin gerichteten individualisierten Verfolgung von Seiten islamischer Fundamentalisten. Einen greifbaren Hinweis auf tatsächliche Bestrebungen von Vertretern feindselig gesinnter Moslems, die Rechtsmittelwerberin zu finden und gegebenenfalls ebenso wie ihren ermordeten Gatten zu töten, lässt sich den präsentierten Ausführungen nicht entnehmen. Zudem steht es selbiger frei, ihr subjektiv empfundenes Sicherheitsdefizit durch eine schlichte Wohnsitzverlegung in den christlich dominierten Süden des Landes zu reduzieren."
4.1. Zu Spruchpunkt II wird ausgeführt, dass keine derart exzeptionellen Umstände festgestellt werden, die der Gefahr der Verletzung von Art3 EMRK gleichzuhalten wären.
4.2. Zu Spruchpunkt III der angefochtenen
Entscheidung führt der AsylGH aus, dass die Beschwerdeführerin keine "integrationsverfestigenden Handlungen" behauptet oder nachgewiesen habe und sich auf Grund des letztlich unberechtigten Asylantrages in Österreich aufhalte.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf
Art144a B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander geltend gemacht wird.
6. Der AsylGH hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, aber keine Gegenschrift erstattet.
II. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Rechtsgrundlagen der angefochtenen Entscheidung werden in der Beschwerde nicht vorgebracht und sind beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass des vorliegenden Beschwerdefalles auch nicht entstanden.
Die Beschwerdeführerin ist daher nicht in Rechten
wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.
2. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,
nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit.
gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Derartige, in die Verfassungssphäre reichende
Fehler sind dem AsylGH vorzuwerfen.
3.1. Die Beschwerdeführerin hat vorgebracht, ihr
Ehemann sei von radikalen Moslems ermordet worden, bei demselben Angriff sei das gemeinsame Haus niedergebrannt worden und der Beschwerdeführerin selbst sei mit den Kindern die Flucht gelungen. Dieses Vorbringen wird vom AsylGH jedenfalls nicht als unglaubwürdig qualifiziert. Aber nach den Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung handle es sich dabei um eine "lediglich hypothetisch befürchtete Bedrohungssituation". Es fehle eine "speziell gegen die Person der Rechtsmittelwerberin gerichtete individualisierte Verfolgung". Begründet wird dies damit, dass die Beschwerdeführerin selbst angegeben habe, nach dem genannten Vorfall keinen Angriffen mehr ausgesetzt gewesen zu sein, und dass ihr Vater und ihre Kinder unbehelligt in Nigeria leben.
3.1.1. Wie der AsylGH selbst ausführt (vgl. S. 37 der angefochtenen Entscheidung), ist die Frage zu beantworten, ob die Beschwerdeführerin einer "begründeten Furcht vor Verfolgung" ausgesetzt ist. Der Vorfall im Jahr 2000, der auch vom AsylGH nicht in Abrede gestellt wird, ist dafür zumindest ein Indiz. Ob die Beschwerdeführerin auch weiterhin einer Furcht vor Verfolgung durch - im konkreten Fall - radikale Moslems ausgesetzt sein könnte, wäre etwa anhand entsprechender Feststellung zur derzeitigen Situation im Norden Nigerias zu beurteilen gewesen. Die angefochtene Entscheidung enthält aber keine solchen Feststellungen, sondern ausschließlich zu anderen ethnischen Konflikten in Nigeria sowie die allgemeine Feststellung, dass es in Nigeria zu Konflikten zwischen den verschiedenen Ethnien kommt. Die Begründung, "eine Bestrebung radikaler Moslems, die Beschwerdeführerin zu finden und ebenfalls umzubringen, lasse sich aus den präsentierten Ausführungen nicht ableiten", ist insofern nicht ausreichend.
3.2. Der AsylGH begründet seine Entscheidung weiters damit, dass der Beschwerdeführerin eine innerstaatliche Fluchtalternative offen stehe und die Umsiedlung in einen anderen Landesteil zumutbar sei. Diese Ausführungen beruhen auf den Feststellungen zur Situation von (alleinstehenden) Frauen in Nigeria. Aus den Länderfeststellungen in der angefochtenen Entscheidung geht zwar hervor, dass es für alleinstehende Frauen möglich ist, in Nigeria ihren Lebensunterhalt zu verdienen, aber auch, dass die Übersiedlung in eine der Großstädte Nigerias zu "wirtschaftlichen und sozialen Problemen" führt. Darüber hinaus seien alleinstehende Frauen besonderer Diskriminierung ausgesetzt und insbesondere Witwen "haben einen schweren Stand in der nigerianischen Gesellschaft". Die vom AsylGH seiner Entscheidung zugrunde gelegten Feststellungen ergeben also kein eindeutiges Bild der Situation alleinstehender Frauen in Nigeria.
Angesichts des differenzierten Bildes zur Situation von alleinstehenden Frauen in Nigeria wäre der AsylGH verpflichtet gewesen, nähere Feststellungen dazu zu treffen, wie sich die Situation für die Beschwerdeführerin darstellt.
Der innerstaatlichen Fluchtalternative wohnt ein Zumutbarkeitskalkül inne (so auch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zB VwGH 26.1.2006, 2005/20/0304), weshalb in der gegebenen Situation die Notwendigkeit bestanden hätte, weitere Feststellungen zur konkreten Lage, die die Beschwerdeführerin im Falle einer Umsiedlung erwartet, zu treffen. Somit ist aber auch die vom AsylGH vorgenommene Eventualbegründung nicht ausreichend. Aus den Ausführungen, der Beschwerdeführerin sei es auf ihrer Flucht auch in islamisch dominierten Ländern gelungen, sich durchzusetzen, ist nichts zu gewinnen.
3.3. Im Sinne der vorstehenden Erwägungen hat der AsylGH Ermittlungstätigkeiten in wesentlichen Punkten unterlassen und somit ein willkürliches Verhalten gesetzt. Die Beschwerdeführerin ist dadurch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
4. Die angefochtene Entscheidung ist daher
aufzuheben.
5. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §88 iVm
§88a VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist Umsatzsteuer in Höhe von € 400,- enthalten.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.