B610/12 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
Begründung:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1. Am 15. Februar 2010 (B610/12, B611/12, B612/12, B613/12, B615/12, B616/12, B617/12, B618/12 und B661/12) bzw. am 10. März 2010 (B614/12) erließ der Bürgermeister der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See Rückstandsausweise betreffend offene Abgaben und Gebühren in näher bezeichneter Höhe gegen die Beschwerdeführer. In der Folge erhoben die Beschwerdeführer gegen die in den Rückstandsausweisen angeführten Abgabenbescheide des Bürgermeisters der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See aus den Jahren 2008 und 2009 Berufungen sowie Einwendungen gegen die Aussprüche gemäß §35 EO und beantragten deren Aufhebung und neuerliche Erlassung sowohl in deutscher als auch in slowenischer Sprache. Begründend wurde ausgeführt, dass die Abgabenbescheide mangels antragsgemäßer Zustellung in slowenischer Sprache nicht ordnungsgemäß erlassen worden seien, die in den angefochtenen Bescheiden angeführten Zahlungsverpflichtungen noch nicht fällig seien und die Rückstandsausweise daher zu Unrecht ergangen seien.
Mit - den Beschwerdeführern sowohl in deutscher als auch in slowenischer Sprache zugestellten - Bescheiden vom 10. Oktober 2011 wies der Gemeindevorstand der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See (in der Folge: Gemeindevorstand) die Berufungen der Beschwerdeführer ab, wobei u.a. Folgendes ausgeführt wurde:
"[...] Die bekämpften Abgabenbescheide wurden bereits in den Jahren 2008 bis 2009 erlassen. Ein Zustellnachweis liegt nicht vor, so dass die Berufungsbehörde nicht zu prüfen vermag, ob die Berufung fristgerecht eingebracht wurde. Aus diesem Grund geht die Abgabenbehörde II. Instanz von einer fristgerecht eingebrachten Berufung aus und entscheidet somit in der Sache selbst.
[...]
[...] Die Abgabenbehörde II. Instanz sieht es [...] als erwiesen an, dass unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung [...] die Abgabenbehörde I. Instanz die Abgabenbescheide rechtmäßig in deutscher Sprache erlassen hat [...] und keine gesetzliche Verpflichtung zur Ausführung in slowenischer Sprache bestand[en] hat. Die Abgabenbescheide sind in Rechtskraft erwachsen und daher auch vollstreckbar geworden."
Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer in deutscher und slowenischer Sprache Vorstellungen an die Kärntner Landesregierung, wobei begründend ausgeführt wurde, dass die Angaben des Gemeindevorstandes widersprüchlich seien:
Wenn er einerseits angebe, dass die Berufungen rechtzeitig eingebracht worden seien, könne keine Rede davon sein, dass die Bescheide in Rechtskraft erwachsen seien, da die Berufungen ansonsten eben nicht fristgerecht und daher zurückzuweisen gewesen wären. Die Kärntner Landesregierung gab den Vorstellungen der Beschwerdeführer mit - den Beschwerdeführern sowie der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See als beteiligter Partei im Vorstellungsverfahren gemäß Art119a Abs5 B-VG in deutschsprachiger Ausfertigung am 23. April 2012 zugestellten - Bescheiden vom 20. April 2012 gemäß §95 Abs4 Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung - K-AGO (in der Folge: Krnt. Allgemeine GemeindeO 1998) Folge, hob die angefochtenen Bescheide auf und verwies die Angelegenheiten zur neuerlichen Entscheidung zurück. Begründend führte die Kärntner Landesregierung aus, dass der Gemeindevorstand der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See einerseits dezidiert die Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der in den Jahren 2008 und 2009 erlassenen Abgabenbescheide hervorgehoben habe; damit habe er dem Sinne nach eindeutig dargetan, dass die Prozessvoraussetzungen für die Erhebung einer Berufung gegen die in den angefochtenen Rückstandsausweisen angeführten Abgabenbescheide fehlten. Ungeachtet dessen habe der Gemeindevorstand dem Ergebnis nach trotzdem eine Sachentscheidung getroffen. "Mit dieser widersinnigen und widersprüchlichen [...] Erklärung" werde es den nachprüfenden Stellen unmöglich gemacht, den wahren Willen des Kollegialorganes nachzuvollziehen. Über die Anträge der Beschwerdeführer, dass "die in den Rückstandsausweisen [...] angeführten Bescheide erneut auch in slowenischer Sprache erlassen werden", wurde nicht abgesprochen.
2. Gegen diese - den Beschwerdeführern ausschließlich in deutscher Sprache zugestellten - Bescheide richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Verwendung der slowenischen Sprache als Amtssprache gemäß Art7 Z3 des Staatsvertrages von Wien (in der Folge: StV Wien 1955), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz und die Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung bzw. eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt werden.
Begründend wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die belangte Behörde die angefochtenen Bescheide in slowenischer Sprache hätte zustellen müssen, da es sich um eine Rechtsmittelinstanz handle. Sie habe zur Frage der Bescheiderlassung in slowenischer Sprache willkürlich keine Begründung abgegeben; darüber hinaus lasse sich den angefochtenen Bescheiden auch nicht entnehmen, welche Rechtsansicht die belangte Behörde vertrete. Des Weiteren wird die Verfassungswidrigkeit des Begriffes "Rechtsmittelinstanz" in §4 Abs1 Z2 der Verordnung der Bundesregierung vom 31. Mai 1977 über die Bestimmung der Gerichte, Verwaltungsbehörden und sonstigen Dienststellen, vor denen die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen wird, BGBl. 307/1977, (in der Folge: slowenische Amtssprachen-Verordnung) behauptet.
3. Die Kärntner Landesregierung als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften.
4. In Folge der Mitteilungen des Verfassungsgerichtshofes, dass es der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See als beteiligter Partei freistehe, Äußerungen zu erstatten, legte der Gemeindevorstand - unaufgefordert - Äußerungen vor.
II. Rechtslage
1. §95 Krnt. Allgemeine GemeindeO 1998, LGBl. 66,
lautet:
"§95
Vorstellung
(1) Wer durch einen Bescheid eines Gemeindeorganes in einer Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches aus dem Bereich der Landesvollziehung in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet, kann nach Erschöpfung des Instanzenzuges innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Bescheides dagegen Vorstellung an die Landesregierung erheben.
(2) Die Vorstellung ist schriftlich oder
telegraphisch beim Gemeindeamt einzubringen. Sie hat den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Antrag zu enthalten. Der Bürgermeister ist verpflichtet, die Vorstellung unter Anschluß des Aktes mit einer Gegenäußerung ohne unnötigen Aufschub der Landesregierung vorzulegen.
(3) Rechtzeitig eingebrachte Vorstellungen haben aufschiebende Wirkung. Die Landesregierung kann die aufschiebende Wirkung ausschließen, wenn die vorzeitige Vollstreckung im Interesse einer Partei oder des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug dringend geboten ist.
(4) Die Landesregierung hat den Bescheid, wenn Rechte des Einschreiters durch ihn verletzt wurden, aufzuheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Gemeinde zurückzuweisen. Die Landesregierung hat in diesen Bescheiden ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß die Gemeinde bei ihrer neuerlichen Entscheidung an die Rechtsansicht der Landesregierung gebunden ist (Abs5). Die Landesregierung hat ihre Entscheidung über eine Vorstellung neben den Parteien des Vorstellungsverfahrens auch allen Parteien des gemeindebehördlichen Verfahrens zuzustellen.
(5) Die Gemeinde ist verpflichtet, bei der
neuerlichen Entscheidung (Abs4 erster Satz) der Rechtsansicht der Landesregierung Rechnung zu tragen. Die Gemeinde hat in dieser neuerlichen Entscheidung auch ausdrücklich anzuführen, daß ihre Entscheidung in Bindung an die Rechtsansicht der Landesregierung ergeht. Trägt die Gemeinde entgegen der Verpflichtung des ersten Satzes bei einer neuerlichen Entscheidung der Rechtsansicht der Landesregierung nicht Rechnung, so ist dieser Bescheid mit Nichtigkeit bedroht.
(6) Die Nichtigerklärung der nach Abs5 mit
Nichtigkeit bedrohten Bescheide der Gemeinde obliegt der Landesregierung. Die Absicht der Nichtigerklärung ist den Parteien des Vorstellungsverfahrens und allfälligen weiteren Parteien des gemeindebehördlichen Verfahrens innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des neuerlichen Bescheides der Gemeinde (Abs4 erster Satz) bekanntzugeben.
(7) Die Gemeinde ist verpflichtet, ihren neuerlichen Bescheid gleichzeitig mit der Zustellung an die Parteien auch der Landesregierung zu übermitteln."
2. Die Z3 des im Verfassungsrang stehenden, mit
"Rechte der slowenischen und kroatischen Minderheiten" überschriebenen Art7 StV Wien 1955 lautet wie folgt:
"3. In den Verwaltungs- und Gerichtsbezirken
Kärntens, des Burgenlandes und der Steiermark mit slowenischer, kroatischer oder gemischter Bevölkerung wird die slowenische oder kroatische Sprache zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache zugelassen. In solchen Bezirken werden die Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer oder kroatischer Sprache wie in Deutsch verfaßt."
3. Rechtslage vor dem 27. Juli 2011:
3.1. §2 Abs1 und 2 und §13 Volksgruppengesetz, BGBl. 396/1976, lauteten in der vor der Novellierung durch BGBl. I 46/2011 geltenden Fassung BGBl. I 35/2002 wie folgt:
"ABSCHNITT I
Allgemeine Bestimmungen
[...]
§2. (1) Durch Verordnungen der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates sind nach Anhörung der in Betracht kommenden Landesregierung festzulegen:
[...]
3. Die Behörden und Dienststellen, bei denen
zusätzlich zur deutschen Amtssprache die Verwendung der Sprache einer Volksgruppe zugelassen wird, wobei jedoch das Recht der Verwendung dieser Sprache auf bestimmte Personen oder Angelegenheiten beschränkt werden kann.
(2) Bei Erlassung der in Abs1 vorgesehenen
Verordnungen sowie bei der Vollziehung des Abschnittes III dieses Bundesgesetzes sind bestehende völkerrechtliche Verpflichtungen zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist auf die zahlenmäßige Größe der Volksgruppe, die Verbreitung ihrer Angehörigen im Bundesgebiet, ihr größenordnungsmäßiges Verhältnis zu anderen österreichischen Staatsbürgern in einem bestimmten Gebiet sowie auf ihre besonderen Bedürfnisse und Interessen zur Erhaltung und Sicherung ihres Bestandes Bedacht zu nehmen. Hiebei sind die Ergebnisse amtlicher statistischer Erhebungen mitzuberücksichtigen.
[...]
ABSCHNITT V
Amtssprache
§13. (1) Die Träger der Behörden und Dienststellen haben sicherzustellen, daß im Verkehr mit diesen Behörden und Dienststellen nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes die Sprache einer Volksgruppe gebraucht werden kann.
(2) Im Verkehr mit einer Behörde oder Dienststelle im Sinne des Abs1 kann sich jedermann der Sprache der Volksgruppe bedienen. Niemand darf sich jedoch einer ihrem Zwecke nach sofort durchzuführenden Amtshandlung eines von Amts wegen einschreitenden Organs einer solchen Behörde oder Dienststelle nur deshalb entziehen oder sich weigern, ihr nachzukommen, weil die Amtshandlung nicht in der Sprache der Volksgruppe durchgeführt wird.
(3) Organe auch anderer als der nach Abs1
bezeichneten Behörden und Dienststellen sollen, sofern sie die Sprache einer Volksgruppe beherrschen, sich im mündlichen Verkehr der Sprache einer Volksgruppe bedienen, wenn dies den Verkehr mit Personen erleichtert.
(4) Die zusätzliche Verwendung der Sprache der Volksgruppe in allgemeinen öffentlichen Kundmachungen von Gemeinden, in denen die Sprache einer Volksgruppe als Amtssprache zugelassen ist, ist zulässig.
(5) Die Regelungen über die Verwendung der Sprache einer Volksgruppe als Amtssprache beziehen sich nicht auf den innerdienstlichen Verkehr von Behörden und Dienststellen."
3.2. §§2 und 4 der - auf Grund der Novellierung durch BGBl. I 46/2011 gemäß §26 Abs6 Z6 VolksgruppenG mit Ablauf des 26. Juli 2011 außer Kraft getretenen - slowenischen Amtssprachen-Verordnung, BGBl. 307/1977, lauteten in der vor der Aufhebung durch BGBl. I 46/2011 geltenden Fassung BGBl. II 428/2000 wie folgt:
"§2. (1) Die slowenische Sprache ist zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache vor den Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen jener Gemeinden zugelassen, in denen nach der Verordnung der Bundesregierung vom 31. Mai 1977, BGBl. Nr. 306, über die Bestimmung von Gebietsteilen, in denen topographische Bezeichnungen in deutscher und slowenischer Sprache anzubringen sind, Bezeichnungen und Aufschriften topographischer Natur sowohl in slowenischer Sprache als auch in deutscher Sprache anzubringen sind, das sind im politischen Bezirk Klagenfurt Land die Gemeinden Ebental, Ferlach, Ludmannsdorf und Zell, im politischen Bezirk Völkermarkt die Gemeinden Bleiburg, Eisenkappel-Vellach, Globasnitz und Neuhaus.
(2) Die slowenische Sprache ist zusätzlich zur
deutschen Sprache als Amtssprache ferner vor den Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen folgender Gemeinden zugelassen:
1. im politischen Bezirk Villach Land: Rosegg und St. Jakob im Rosental;
2. im politischen Bezirk Klagenfurt Land: Feistritz im Rosental und St. Margareten im Rosental;
3. im politischen Bezirk Völkermarkt: [Anm.:
aufgehoben durch VfGH, BGBl. II Nr. 428/2000].
(3) Die slowenische Sprache ist zusätzlich zur
deutschen Sprache als Amtssprache vor den Gendarmerieposten zugelassen, die in den in Abs1 und 2 aufgezählten Gemeinden gelegen sind."
"§4. (1) Vor Behörden und Dienststellen des Bundes und des Landes mit Sitz im Land Kärnten anderer als der im §3 genannten Art, deren Sprengel (Amtsbereich) ganz oder teilweise mit dem Sprengel einer im §3 genannten Behörde zusammenfällt, wird, soweit in dieser Verordnung nicht anderes bestimmt ist, die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen, wenn
1. im Fall der sachlichen Zuständigkeit einer im §3 genannten Behörde in der betreffenden Sache die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen wäre oder
2. die Behörde als Rechtsmittelinstanz in einem Verfahren zuständig ist, das in erster Instanz vor einer Behörde geführt wurde, vor der die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist.
(2) Vor dem Militärkommando in Klagenfurt ist die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache gemäß Abs1 zugelassen, soweit es sich um Angelegenheiten des militärischen Ergänzungswesens handelt."
4. Rechtslage seit dem 27. Juli 2011:
4.1. Der V. Abschnitt des Volksgruppengesetzes, BGBl. 396/1976 idF BGBl. I 46/2011, lautet auszugsweise wie folgt:
"ABSCHNITT V
Amtssprache
§13. (1) (Verfassungsbestimmung) Die Träger der in der Anlage 2 bezeichneten Behörden und Dienststellen haben sicherzustellen, dass im Verkehr mit der jeweiligen Behörde und Dienststelle die kroatische, slowenische oder ungarische Sprache nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache verwendet werden kann.
(2) Im Verkehr mit einer Behörde oder Dienststelle im Sinne des Abs1 kann sich jedermann der Sprache der Volksgruppe bedienen. Niemand darf sich jedoch einer ihrem Zwecke nach sofort durchzuführenden Amtshandlung eines von Amts wegen einschreitenden Organs einer solchen Behörde oder Dienststelle nur deshalb entziehen oder sich weigern, ihr nachzukommen, weil die Amtshandlung nicht in der Sprache der Volksgruppe durchgeführt wird.
(3) Organe anderer als der im Abs1 bezeichneten
Behörden und Dienststellen können im mündlichen und schriftlichen Verkehr die kroatische, slowenische oder ungarische Sprache nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Abschnittes zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache verwenden, wenn dies den Verkehr mit Personen erleichtert.
(4) Die zusätzliche Verwendung der Sprache der Volksgruppe in allgemeinen öffentlichen Kundmachungen von Gemeinden, in denen die Sprache einer Volksgruppe als Amtssprache zugelassen ist, ist zulässig.
(5) Die Regelungen über die Verwendung der Sprache einer Volksgruppe als Amtssprache beziehen sich nicht auf den innerdienstlichen Verkehr von Behörden und Dienststellen.
[...]
§15. (1) Beabsichtigt eine Person, in einer Tagsatzung oder mündlichen Verhandlung die Sprache einer Volksgruppe zu verwenden, so hat sie dies unverzüglich nach Zustellung der Ladung der Behörde oder Dienststelle bekanntzugeben; durch schuldhafte Unterlassung einer solchen Bekanntgabe verursachte Mehrkosten können der betreffenden Person auferlegt werden. Diese Verpflichtung zur Bekanntgabe entfällt bei Verfahren, die auf Grund eines in der Sprache einer Volksgruppe abgefaßten Anbringens durchgeführt werden. Die Bekanntgabe gilt für die Dauer des ganzen weiteren Verfahrens, sofern sie nicht widerrufen wird.
(2) Bedient sich eine Person in einem Verfahren der Sprache der Volksgruppe, so ist auf Antrag einer Partei (eines Beteiligten) - soweit das Verfahren den Antragsteller betrifft - sowohl in dieser als auch in deutscher Sprache zu verhandeln. Dies gilt auch für die mündliche Bekanntgabe von Entscheidungen.
(3) Ist das Organ der Sprache der Volksgruppe nicht mächtig, so ist ein Dolmetscher beizuziehen.
(4) Mündliche Verhandlungen (Tagsatzungen), die vor einem der Sprache der Volksgruppe mächtigen Organ durchgeführt werden und an der nur Personen teilnehmen, die bereit sind, sich der Sprache der Volksgruppe zu bedienen, können abweichend von Abs2 nur in der Sprache einer Volksgruppe durchgeführt werden. Dies gilt auch für die mündliche Bekanntgabe von Entscheidungen, die jedoch auch in deutscher Sprache festzuhalten sind.
(5) Ist in den Fällen der Abs1 bis 4 ein Protokoll (eine Niederschrift) aufzunehmen, so ist es sowohl in deutscher Sprache als auch in der Sprache der Volksgruppe abzufassen. Ist der Schriftführer der Sprache der Volksgruppe nicht mächtig, so hat die Behörde oder Dienststelle unverzüglich eine Ausfertigung des Protokolls in der Sprache der Volksgruppe herstellen zu lassen.
§16. Entscheidungen und Verfügungen (einschließlich der Ladung), die zuzustellen sind und die in der Sprache einer Volksgruppe eingebrachte Eingaben oder Verfahren betreffen, in denen in der Sprache einer Volksgruppe bereits verhandelt worden ist, sind in dieser Sprache und in deutscher Sprache auszufertigen.
§17. (1) Wird entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes, und soweit die Abs2 und 3 nichts anderes bestimmen, die deutsche oder die Sprache einer Volksgruppe nicht verwendet oder die Verwendung der Sprache einer Volksgruppe nicht zugelassen, so gilt für den betreffenden Verfahrensschritt der Anspruch derjenigen Partei auf rechtliches Gehör als verletzt, zu deren Nachteil der Verstoß unterlaufen ist.
(2) Ist in einem gerichtlichen Strafverfahren
entgegen dem §15 die Hauptverhandlung nicht auch in der Sprache der Volksgruppe durchgeführt worden, so begründet dies Nichtigkeit im Sinne des §281 Abs1 Z3 der Strafprozeßordnung 1975. Dieser Nichtigkeitsgrund kann nicht zum Nachteil desjenigen geltend gemacht werden, der den Antrag nach §15 Abs2 gestellt hat, zu seinem Vorteil aber ohne Rücksicht darauf, ob die Formverletzung auf die Entscheidung Einfluß üben konnte (§281 Abs3 Strafprozeßordnung 1975).
(3) Die Verletzung des §15 dieses Bundesgesetzes
begründet Nichtigkeit im Sinne des §68 Abs4 Z4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991, in der jeweils geltenden Fassung."
5. Die im Verfassungsrang stehende Anlage 2 zum Volksgruppengesetz in der genannten Fassung lautet auszugsweise:
"II. Slowenisch
A. Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen sowie Polizeiinspektionen, deren örtlicher Wirkungsbereich sich ganz oder teilweise auf das Gebiet folgender Gemeinden erstreckt
[...]
4. ferner Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen folgender Gemeinden für Einwohner folgender Ortschaften in diesen Gemeinden:
[...]
b) St. Kanzian am Klopeiner See im politischen Bezirk Völkermarkt:
Grabelsdorf, Horzach I, Horzach II, Lauchenholz,
Mökriach, Nageltschach, Obersammelsdorf, St. Primus, St. Veit im Jauntal, Unternarrach und Vesielach.
[...]
C. Andere Behörden und Dienststellen des Bundes oder Landes mit Sitz in Kärnten
1. deren Sprengel (Amtsbereich) ganz oder teilweise mit dem Sprengel einer unter B. genannten Behörde zusammenfällt, wenn
a) im Fall der sachlichen Zuständigkeit einer unter
B. genannten Behörde in der betreffenden Sache die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen wäre oder
b) die Behörde als Rechtsmittelinstanz in einem Verfahren zuständig ist, das in erster Instanz vor einer Behörde geführt wurde, vor der die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist
und in dieser Anlage nichts anderes bestimmt ist;
2. das Militärkommando Klagenfurt in Angelegenheiten des militärischen Ergänzungswesens."
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat über die Zulässigkeit der - in sinngemäßer Anwendung der §§187 und 404 ZPO iVm §35 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen - Beschwerden erwogen:
1. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof kann gemäß Art144 Abs1 B-VG nur "gegen Bescheide der Verwaltungsbehörden" erhoben werden, und zwar gemäß §82 Abs1 VfGG "innerhalb einer Frist von sechs Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheides". Eine zulässige Beschwerde setzt daher voraus, dass überhaupt ein Bescheid vorhanden ist, dh. erlassen wurde. Erlassen ist er nach dem - hier anzuwendenden - §62 Abs1 AVG mit seiner Zustellung oder mündlichen Verkündung (vgl. VfSlg. 18.356/2008). Zwar kann eine Beschwerde gegen einen Bescheid bereits erhoben werden, bevor er dem Beschwerdeführer zugestellt oder verkündet wurde (vgl. VfSlg. 9068/1981, 10.637/1985), doch muss er überhaupt erlassen, dh. einer (anderen) Partei zugestellt oder verkündet worden sein (vgl. etwa VfSlg. 13.850/1994).
2. Wie den von der Kärntner Landesregierung
vorgelegten Verwaltungsakten zu entnehmen ist, wurden die hier angefochtenen Vorstellungsbescheide ausschließlich in deutschsprachiger Ausfertigung jeweils der in den Zustellverfügungen entsprechend vermerkten Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See - als Partei im aufsichtsbehördlichen Verfahren gemäß Art119a Abs5 B-VG - im Wege des zuständigen Gemeindeamtes und den Beschwerdeführern am 23. April 2012 zugestellt.
2.1. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes gilt ein Bescheid gegenüber einer Partei, die im Verfahren zum Ausdruck bringt, sich der slowenischen Sprache bedienen zu wollen und der auf Grund (verfassungs-)gesetzlicher Bestimmungen auch ein subjektives öffentliches Recht zukommt, in Verfahren vor Behörden die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zu verwenden, erst mit der Zustellung von Ausfertigungen in beiden Sprachen als erlassen (vgl. VfSlg. 9744/1983; s. auch VfSlg. 13.850/1994, 15.582/1999). Dies trifft auch in den vorliegenden Fällen zu, weil den hier zu beurteilenden Vorstellungsverfahren Abgabenverfahren vor den Gemeindebehörden zugrunde liegen, bei denen es sich um Einparteienverfahren handelt und deren Adressaten demnach ausschließlich die jeweiligen Beschwerdeführer sind.
2.2. Die belangte Behörde ist zur Ausfertigung der angefochtenen Bescheide auch in slowenischer Sprache verpflichtet:
2.2.1. Die slowenische Amtssprachen-Verordnung, BGBl. 307/1977 idF BGBl. II 428/2000, ist auf Grund der Novellierung durch BGBl. I 46/2011 gemäß §24 Abs6 Z6 VolksgruppenG mit Ablauf des 26. Juli 2011 außer Kraft getreten. Die Zustellung eines Bescheides im Vorstellungsverfahren ist nach jenen verfahrensrechtlichen Vorschriften vorzunehmen, die im Zeitpunkt seiner Erlassung in Kraft stehen; die angefochtenen Bescheide vom 20. April 2012 wurden den Parteien in den Vorstellungsverfahren (in deutscher Sprache) jeweils am 23. April 2012 zugestellt, weshalb die belangte Behörde die zu diesem Zeitpunkt geltende Rechtslage anzuwenden hatte.
2.2.2. Am 27. Juli 2011 ist das Bundesgesetz
BGBl. I 46/2011 in Kraft getreten, mit dem das VolksgruppenG geändert wurde. Gemäß der im Verfassungsrang stehenden Regelung des §13 Abs1 iVm Anlage 2 Pkt. II. C. Z1 litb VolksgruppenG ist die Verwendung der slowenischen Sprache vor Behörden und Dienststellen des Bundes oder Landes mit Sitz in Kärnten zulässig, wenn die Behörde als Rechtsmittelinstanz in einem Verfahren zuständig ist, das in erster Instanz vor einer Behörde geführt wurde, vor der die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist. Dies trifft auf die vorliegenden Fälle zu: Der Bürgermeister der Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See, der die dem Vorstellungsverfahren zugrunde liegenden erstinstanzlichen Abgabenbescheide erlassen hat, ist als Gemeindeorgan der in Anlage 2 Pkt. II. A. Z4 litb VolksgruppenG genannten Gemeinde St. Kanzian am Klopeiner See tätig geworden; bei allen Beschwerdeführern handelt es sich um Einwohner der in dieser Bestimmung ausdrücklich angeführten Ortschaften St. Veit im Jauntal (B610/12, B618/12), St. Primus (B611/12, B616/12), Horzach II (B612/12), Vesielach (B613/12, B614/12), Obersammelsdorf (B615/12), Nageltschach (B617/12) und Unternarrach (B661/12). Die belangte Behörde ist daher als Vorstellungsbehörde - somit als Rechtsmittelinstanz (vgl. zB VfSlg. 17.322/2004, 17.927/2006 mwH) - gemäß Anlage 2 Pkt. II. C. Z1 litb VolksgruppenG in einem Verfahren zuständig gewesen, das in erster Instanz vor einer Behörde geführt wurde, vor der (nach Maßgabe der nunmehr geltenden Rechtslage) die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache zugelassen ist. Eine Übergangsbestimmung für zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Novelle BGBl. I 46/2011 offene Verfahren ist nicht vorgesehen, sodass die neue Regelung auch in den vorliegenden Vorstellungsverfahren mit ihrem Inkrafttreten Anwendung findet. Es kommt nämlich bei derartigen (Verfahrens )Regelungen nicht auf den Zeitpunkt der Verwirklichung der den Bescheiden zugrunde liegenden Sachverhalte an, sondern auf die Rechtslage, die zum Zeitpunkt der Erlassung der Bescheide durch die belangte Behörde bestanden hat.
2.3. Soweit in den Beschwerden behauptet wird, dass die - nicht näher bezeichnete - verfassungsgesetzliche Regelung im VolksgruppenG, wonach in der Gemeinde St. Kanzian die slowenische Sprache nur für die Bewohner einzelner Ortschaften als Amtssprache zugelassen sei, nicht aber für die gesamte Gemeinde, "trotz ihres Verfassungsranges verfassungswidrig ist, weil sie mit den Grundprinzipien der österreichischen Verfassungsordnung nicht vereinbar ist", ist dem Folgendes zu entgegnen:
§13 Abs1 sowie die Anlage 2 zum VolksgruppenG, in der die zur Verwendung der Minderheitensprachen verpflichteten Behörden aufgezählt werden, stehen ebenso wie der Staatsvertrag von Wien im Verfassungsrang und sind daher ungeachtet der sich aus diesem ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen nicht (mehr) - wie dies bei der vor dem 27. Juli 2011 geltenden Rechtslage der Fall war - am Maßstab des Art7 StV Wien 1955 zu messen. Aus diesem Grund ist es unerheblich, ob die neue Regelung von der vor dem 27. Juli 2011 geltenden - vom Verfassungsgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen konkretisierten - Verfassungsrechtslage bzw. von Verfassungswidrigkeiten bereinigten Rechtslage (s. insbesondere VfSlg. 15.970/2000, 16.404/2001) abweicht oder in einigen Gemeinden eine Gesamtregelung, in anderen dagegen eine an den Ortschaften orientierte Regelung vorsieht: Einen Verstoß gegen die Grundprinzipien der Bundesverfassung, wie dies die Beschwerdeführer behaupten, vermag der Verfassungsgerichtshof in der geltenden Regelung - nämlich, dass nach Anlage 2 Pkt. II. A. zum VolksgruppenG Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen teilweise im gesamten Gemeindegebiet, teilweise aber nur in bestimmten Ortschaften zur Verwendung der slowenischen Amtssprache verpflichtet sind - nicht zu erkennen (vgl. zu den leitenden Grundprinzipien der Bundesverfassung VfSlg. 2455/1952; zum Gleichheitssatz s. VfSlg. 15.373/1998; zum rechtsstaatlichen Prinzip s. VfSlg. 16.327/2001; vgl. auch VfSlg. 15.938/2000, 18.449/2008).
3. Mangels Zustellung von Ausfertigungen in
slowenischer Sprache sind die angefochtenen Bescheide als nicht erlassen zu betrachten und die Vorstellungen noch nicht erledigt.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Die Beschwerden waren daher mangels tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen.
2. Der beteiligten Partei waren für die von ihr eingebrachten, vom Verfassungsgerichshof aber nicht abverlangten Schriftsätze Kosten nicht zuzusprechen (zB VfSlg. 13.847/1994, 15.300/1998, 15.818/2000, 16.037/2000).
3. Dieser Beschluss konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefasst werden.