U695/12 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
I.1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt II. der angefochtenen Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. Nr. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Die Entscheidung wird insoweit aufgehoben.
3. Der Bund (Bundeskanzler) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.400,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.
II. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Entscheidungsgründe:
I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren
1.1. Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger von Pakistan und stellte am 3. Oktober 2011 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dabei gab er hinsichtlich seines Fluchtweges an, von seinem Heimatland über den Iran in die Türkei und weiter nach Griechenland gereist zu sein, wo er sich etwa ein Jahr aufgehalten und keinen Kontakt zu den Behörden gehabt habe. Er sei dann weiter über Mazedonien, Serbien und Ungarn nach Österreich gelangt.
1.2. Auf Grund dieser Angaben stellte das Bundesasylamt am 6. Oktober 2011 ein auf Art10 Abs1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrag zuständig ist (in der Folge: Dublin II-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Ungarn. Mit Schreiben vom 2. November 2011 stimmte Ungarn diesem Ersuchen ausdrücklich zu.
1.3. Mit Bescheid vom 22. Dezember 2011 wies das Bundesasylamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß §5 Abs1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Ungarn gemäß Art10 Abs1 Dublin II-VO zur Prüfung des Antrages zuständig ist. Mit demselben Bescheid wurde der Beschwerdeführer gemäß §10 Abs1 Z1 AsylG 2005 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn ausgewiesen und seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Ungarn gemäß §10 Abs4 AsylG 2005 für zulässig erklärt.
1.4. Am 3. Jänner 2012 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Beschwerdefrist gemäß §71 Abs1 AVG sowie Beschwerde gegen den genannten Bescheid des Bundesasylamtes ein.
1.5. Mit Bescheid vom 12. Jänner 2012 wies das Bundesasylamt den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §71 Abs1 AVG ab.
1.6. Dagegen erhob der Einschreiter mit Schreiben vom 17. Jänner 2012 Beschwerde.
1.7. Mit der angefochtenen Entscheidung gab der Asylgerichtshof der Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Jänner 2012 gemäß §71 Abs1 AVG statt (Spruchpunkt I.) und wies die Beschwerde gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 22. Dezember 2011 gemäß §5 Abs1 iVm §10 Abs1 Z1 und Abs4 AsylG 2005 als unbegründet ab (Spruchpunkt II.).
In dieser Entscheidung stellt der Asylgerichtshof
u. a. Folgendes fest:
"[...] Er [sc. der Beschwerdeführer] gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal aus einem Drittstaat kommend in das österreichische Bundesgebiet und stellte am 03.10.2011 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.
[...]"
In der Beweiswürdigung heißt es folgendermaßen:
"Die Feststellungen zur Asylantragstellung und zum Konsultationsverfahren ergeben sich aus dem Akteninhalt, die zur Reiseroute aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers. Soweit der Beschwerdeführer behauptet, er habe nicht angegeben, über Ungarn gereist zu sein, und sinngemäß ausgeführt wird, der bei der Erstbefragung beigezogene Dolmetscher hätte aus Eigenem diesbezügliche Vermutungen angestellt und zu Protokoll gegeben, wird dem nicht gefolgt:
Abgesehen davon, dass die angeführte Reiseroute plausibel ist, sind die näheren Angaben zum Fluchtweg in einer Weise detailliert, dass ein Anhaltspunkt für die behauptete 'Vermutung' durch den Dolmetscher nicht nahe liegt: So ergibt sich aus dem Erstbefragungsprotokoll, dass der Beschwerdeführer angegeben hat, an die ungarische Grenze gebracht worden zu sein, die Grenze zu Ungarn zu Fuß übersetzt zu haben, an ungarischer Seite von Schleppern in Empfang genommen worden zu sein und dass die weitere Fahrt nur einmal, glaublich auf ungarischem Gebiet, unterbrochen worden sei. Zudem bestätigte der Beschwerdeführer, ohne Einwendungen zu erheben, mit seiner Unterschrift, dass ihm diese Niederschrift rückübersetzt worden sei und somit deren Richtigkeit. Die Angaben des Beschwerdeführers in seiner Erstbefragung sind daher glaubwürdig."
Zur Frage der Zuständigkeit eines anderen Staates
führte der Asylgerichtshof in seiner rechtlichen Beurteilung u. a. Folgendes aus:
"[...]
Unter Zugrundelegung des festgestellten
Sachverhaltes, wonach der Beschwerdeführer aus einem Drittstaat kommend illegal nach Ungarn eingereist ist und sich danach weiter nach Österreich begeben hat, das er seither nicht verlassen hat, er weiters auch keine 'Familienangehörigen' (iSd Art7 iVm Art2 liti Dublin II-VO) in Österreich hat, kommt nach der Rangfolge der Kriterien der Dublin II-VO deren Art10 Abs1 als Norm für seine Aufnahme in Betracht. Ungarn hat auch auf Grundlage dieser Bestimmung seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers bereit erklärt. Die Zuständigkeit Ungarns ist daher gegeben.
Der Vollständigkeit halber sei an dieser Stelle zum Beschwerdevorbringen, wonach durch den - hier nicht festgestellten Fall - eines Ersteintrittes des Beschwerdeführers in die EU über Griechenland (ohne erfolgte Asylantragstellung) dieser Staat zuständig wäre, Folgendes angemerkt:
Der Asylgerichtshof hat erstmals in seinem Erkenntnis vom 31.01.2012[...] mit näherer Begründung ausgeführt, warum in einem Fall, in dem die illegale Ersteinreise in die EU im Wege Griechenlands ohne dort erfolgte Asylantragstellung nach Verlassen dieses Staates keine Zuständigkeit Griechenlands ergibt. Eine etwaige Zuständigkeit Griechenlands als jener Mitgliedstaat, über den der Beschwerdeführer vormals das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten betreten hat, wäre nämlich schon ausgehend davon, dass er durch seine nachweislich erfolgte Weiterreise nach Mazedonien das Hoheitsgebiet verlassen hat und über Serbien nach Ungarn eingereist ist, erloschen, da hier die Anknüpfungskette gerissen ist (siehe hierzu Filzwieser/Sprung, Dublin II VO3, K11. zu Art10) und daher wurde die Zuständigkeit Ungarns durch die Wiedereinreise des Beschwerdeführers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten gleichsam neu begründet. Ein etwaiger Erlöschenstatbestand kann hier auch nicht aus Art16 Abs3 Dublin II-VO abgeleitet werden, da Art16 Dublin II-VO ausschließlich Wiederaufnahmeverfahren betrifft (das heißt Fälle, in denen die Zuständigkeit eines Mitgliedstaates zur Prüfung des Asylantrages aufgrund der zuvor erfolgten Asylantragstellung in diesem Mitgliedstaat bereits feststeht), es sich gegenständlich jedoch um ein Aufnahmeverfahren handelt, sodass Art16 leg. cit. zur Begründung eines möglichen Erlöschenstatbestandes bereits von vornherein ausscheidet. Wollte man hier ein Erlöschen der Zuständigkeit ebenfalls erst nach 12 Monaten gemäß Art[.] 10 Abs1 Dublin II-VO annehmen (- wie dies der Fall ist, wenn der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlässt), so ergebe sich ein eklatanter Wertungswiderspruch dahingehend, dass in den Fällen, in denen in einem Mitgliedstaat bereits ein Asylantrag gestellt wurde und damit schon ein besonders starker Anknüpfungspunkt zu diesem Mitgliedstaat - und auch eine besondere Verantwortung dieses Mitgliedstaates - besteht, ein früheres Erlöschen der Zuständigkeit im Fall des Verlassens des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten erfolgen würde, nämlich nach 3 Monaten gemäß Art16 Abs3 Dublin II-VO, als in den Fällen, in denen bloß eine Durchreise (aus einem Drittstaat kommend) durch einen Mitgliedstaat erfolgt und in diesem noch kein Asylantrag gestellt worden ist, diesfalls würde die Zuständigkeit erst nach 12 Monaten gemäß Art10 Abs1 leg.cit. erlöschen. Es erscheint aber nun nicht sachgerecht, im letzteren Fall einer bloßen Einreise von einem Drittstaat in einen Mitgliedstaat und wieder Ausreise aus diesem Mitgliedstaat in einen Drittstaat (möglicherweise ohne jeglichen Behördenkontakt des Betreffenden im Mitgliedstaat), in dem zum einen eine weit geringere Verantwortung des Mitgliedstaates für den Aufenthalt eines Asylwerbers im 'Dublin-Gebiet' besteht und zum anderen dieser Aufenthalt im Dublin-Gebiet bereits wieder beendet ist, (sodass diesen (ersten) Mitgliedstaat an der neuerlichen Einreise eines Antragstellers ins Dublin-Gebiet über einen anderen Mitgliedstaat keinerlei Verantwortung mehr treffen kann), die Zuständigkeit zur Prüfung eines Asylantrages erst nach viel längerer Zeit untergehen zu lassen, als bei einer bereits vormals erfolgten Asylantragstellung. Bei richtiger und der Intention des Dublin-Regelungssystems gerecht werdender Auslegung der zuständigkeitsbegründenden Tatbestände sowie der Erlöschenstatbestände der Dublin II-VO ergibt sich somit, dass eine gemäß Art10 Abs1 Dublin II-VO (abstrakt) begründete Zuständigkeit eines Mitgliedstaates zur Prüfung eines Asylantrages mit der Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten sofort endet.
Selbst wenn man aber - entgegen dieser Auffassung - von einer (nicht untergegangenen) Zuständigkeit Griechenlands nach Art10 Abs1 Dublin II-VO ausginge, wäre für den Beschwerdeführer nichts gewonnen, als wegen der systemischen Mängel[...] im griechischen Asylverfahren und den dortigen schwer mangelhaften Aufnahmebedingungen (für deren Ende gegenwärtig keine überzeugenden Hinweise bestehen) eine Überstellung in diesen Staat ausscheidet und diesfalls - in Aufnahmekonstellationen wie vorliegend - die Prüfung hinsichtlich anderer möglicherweise zuständiger Mitgliedstaaten durch den Aufenthaltsmitgliedstaat fortzusetzen ist, woraus sich wieder die Zuständigkeit Ungarns ergäbe (folgend EuGH 21.12.2011, Rs 411/10 493/10, Rn 96). Diese Auffassung hat der Asylgerichtshof seither wiederholt vertreten [...].
Vor diesem Hintergrund war im Übrigen auch eine
konkrete Feststellung darüber, ob der Beschwerdeführer vor seiner (letzten) Wiedereinreise in den Bereich der Mitgliedstaaten je in Griechenland eingereist ist oder nicht, entbehrlich.
Soweit in der Beschwerde ausgeführt wird, den Asylgerichtshof treffe eine Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof bezüglich der Auslegung des Art10 Dublin II-VO, ist auf [die] soeben erwähnte Entscheidung dieses Gerichtshofs zu verweisen und festzustellen, dass sich ein Auslegungsbedarf im gegenständlichen Fall nicht ergibt.
Die in der Beschwerde angeführten Entscheidungen des Asylgerichtshofes ergingen im Jahr 2009, damals kam eine Überstellung nach Griechenland noch in Betracht, weswegen diese Fälle schon deshalb mit gegenwärtig anhängigen Verfahren nicht vergleichbar sind.
[...]"
2. In der gegen diese Entscheidung gemäß Art144a B-VG erhobenen Beschwerde wird die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG), auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK), auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG BGBl. 390/1973) und darauf, keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), behauptet und (undifferenziert) die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen "Bescheides" beantragt.
2.1. Der Asylgerichtshof habe den Beschwerdeführer durch die rechtliche Beurteilung nach den Bestimmungen der Dublin II-VO in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) und auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) verletzt, indem er von der alleinigen Zuständigkeit Ungarns zur Prüfung des Asylantrages ausgehe, obwohl der Beschwerdeführer erstmals in Griechenland in die Europäische Union eingereist sei und weder die zwölfmonatige Frist des Art10 Abs1 Dublin II-VO noch die dreimonatige Frist des §16 Abs3 Dublin II-VO verstrichen sei. Nach der Rechtsansicht des Beschwerdeführers sei Griechenland für die Prüfung seines Asylantrages zuständig, weil mit seiner illegalen Einreise in Griechenland die Kriterien des Art10 Abs1 Dublin II-VO erfüllt gewesen seien und - trotz seiner Ausreise - die "Anknüpfungskette" nicht gerissen sei.
Der Asylgerichtshof habe die Rechtslage gehäuft
verkannt und seine Vorlagepflicht an den EuGH zur Frage der Auslegung des Art10 Abs1 iVm Art16 Abs3 Dublin II-VO verletzt. Er stütze seine Entscheidung ausschließlich auf eigene Interpretationen und gebe damit implizit zu, dass kein "acte clair" vorliege. Für die Interpretation des Asylgerichtshofes seien keine Anhaltspunkte in der Dublin II-VO oder in der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH zu finden. Eine "Anknüpfungskette" und ein "Abreißen" derselben seien der genannten Verordnung unbekannt und würden eine Konstruktion des Asylgerichtshofes bzw. einschlägiger Literatur eines Richters am Asylgerichtshof darstellen. Auch der EuGH würde die in der Beschwerde vertretene Rechtsansicht teilen, indem er in Bezug auf Art10 Abs1 Dublin II-VO vom "Kriterium der ersten Einreise" spreche. Selbst der Asylgerichtshof sei dieser Judikatur vor der Verurteilung Griechenlands durch den EGMR in gleich gelagerten Fällen gefolgt und habe seine Meinung erst danach wegen den sich aus der Verurteilung ergebenden und vom Asylgerichtshof als nachteilig empfundenen Folgen für das österreichische Fremdenwesen geändert.
Der Asylgerichtshof vertrete die unrichtige Ansicht, dass Art16 Abs3 Dublin II-VO nicht zur Anwendung komme, wenn der Drittstaatsangehörige nach (illegaler) Einreise in einen Mitgliedstaat (zB Griechenland) ohne Asylantragstellung wieder aus dem "Dublin-Gebiet" ausgereist sei, bevor er nach neuerlicher Einreise in das Gebiet der Mitgliedstaaten den ersten Asylantrag stelle.
Der Asylgerichtshof habe unter Hinwegsehen über seine Vorlagepflicht und durch Heranziehen einer unschlüssigen Argumentation die Zuständigkeit Ungarns angenommen und sich "in eventu" auf die Judikatur des EuGH zu einem in diesem Punkt wesentlich anders gelagerten Fall gestützt.
2.2. Die soeben dargestellte Vorgehensweise des Asylgerichtshofes in der angefochtenen Entscheidung stelle zudem eine Verletzung des Beschwerdeführers in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG BGBl. 390/1973) dar.
2.3. Schließlich erachtet sich der Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt, keiner Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden (Art3 EMRK), indem der Asylgerichtshof immer noch an der Judikatur des VfGH (VfSlg. 17.586/2005) zur normativen Vergewisserung der generellen Sicherheit anderer Mitgliedstaaten durch die Verabschiedung der Dublin II-VO festhalte, obwohl dies spätestens seit Entscheidungen des EuGH und des EGMR aus dem Jahr 2011 als überholt zu betrachten sei. Die Länderfeststellungen seien einseitig und unausgewogen, weil teilweise veraltete Berichte aufgenommen worden seien, bestimmte Stellungnahmen keinen Eingang gefunden hätten und andere Quellen tendenziös seien.
3. Der Asylgerichtshof übermittelte die Verfahrensakten, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand und verwies auf die Begründung in der angefochtenen Entscheidung.
II. Rechtslage
Art 3 Abs1 und 2, Art10 sowie Art16 Abs1 und 3
Dublin II-VO lauten (samt den Überschriften der Kapiteln II, III und V):
"Kapitel II
Allgemeine Grundsätze
Artikel 3
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Asylantrag, den ein Drittstaatsangehöriger an der Grenze oder im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Abweichend von Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat einen von einem Drittstaatsangehörigen eingereichten Asylantrag prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist. Der betreffende Mitgliedstaat wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat im Sinne dieser Verordnung und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Gegebenenfalls unterrichtet er den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
[...]
Kapitel III
Rangfolge der Kriterien
[...]
Artikel 10
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 festgestellt, dass ein Asylwerber aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 18 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Asylwerber - der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können - sich zum Zeitpunkt der Antragstellung zuvor während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Asylantrags zuständig.
Hat der Asylwerber sich für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo dies zuletzt der Fall war, für die Prüfung des Asylantrags zuständig.
[...]
Kapitel V
Aufnahme und Wiederaufnahme
Artikel 16
(1) Der Mitgliedstaat, der nach der vorliegenden Verordnung zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, ist gehalten:
a) einen Asylwerber, der in einem anderen
Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 17 bis 19 aufzunehmen;
b) die Prüfung des Asylantrags abzuschließen;
c) einen Antragsteller, der sich während der Prüfung seines Antrags unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikles 20 wieder aufzunehmen;
d) einen Asylwerber, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen;
e) einen Drittstaatsangehörigen, dessen Antrag er abgelehnt hat und der sich unerlaubt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe des Artikels 20 wieder aufzunehmen.
[...]
(3) Die Verpflichtungen nach Absatz 1 erlöschen, wenn der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen hat, es sei denn, der Drittstaatangehörige ist im Besitz eines vom zuständigen Mitgliedstaat ausgestellten gültigen Aufenthaltstitels.
[...]"
III. Erwägungen
Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Die Beschwerde ist, soweit sie sich gegen
Spruchpunkt II. der angefochtenen Entscheidung richtet, zulässig und begründet:
1.1. Nach der mit VfSlg. 13.836/1994 beginnenden,
nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s. etwa VfSlg. 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg. 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein - auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes - Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit.
gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl. zB VfSlg. 16.214/2001), wenn der Asylgerichtshof dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der - hätte ihn das Gesetz - dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl. 390/1973, stehend erscheinen ließe (s. etwa VfSlg. 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn er bei Fällung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg. 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
Ein willkürliches Verhalten liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (s. etwa VfSlg. 13.302/1992 mwN, 14.421/1996, 15.743/2000). Schließlich ist von einem willkürlichen Verhalten auch auszugehen, wenn die Behörde die Rechtslage gröblich bzw. in besonderem Maße verkennt (zB VfSlg. 18.091/2007, 19.283/2010 mwN, 19.475/2011). Für Entscheidungen des Asylgerichtshofes gelten sinngemäß dieselben verfassungsrechtlichen Schranken.
1.2. Ein solches willkürliches Vorgehen ist dem Asylgerichtshof vorzuwerfen:
1.2.1. Der Asylgerichtshof stellt in der
angefochtenen Entscheidung zunächst fest, dass der Beschwerdeführer unter Umgehung der Grenzkontrollen illegal aus einem Drittstaat kommend in das österreichische Bundesgebiet gelangt sei. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt er aus, dass sich die Feststellungen zur Reiseroute aus den eigenen Angaben des Beschwerdeführers ergeben würden und hält zumindest den letzten Teil der vom Beschwerdeführer bei der Erstbefragung angegebenen Reiseroute von Ungarn nach Österreich für plausibel. Seiner rechtlichen Beurteilung legt der Asylgerichtshof den festgestellten Sachverhalt zugrunde, "wonach der Beschwerdeführer aus einem Drittstaat kommend illegal nach Ungarn eingereist ist und sich danach weiter nach Österreich begeben hat [...]".
Die Entscheidung des Asylgerichtshofes ist damit
jedoch in sich widersprüchlich, weil seine Feststellung, dass der Beschwerdeführer aus einem Drittstaat kommend nach Österreich gelangt sei, weder mit der Beschreibung der Reiseroute des Einschreiters im Rahmen der für plausibel erachteten Erstbefragung noch mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegten Sachverhalt in Einklang zu bringen ist. Zudem ist er bei der zitierten Feststellung vom Akteninhalt leichtfertig abgegangen und hat dabei den konkreten Sachverhalt außer Acht gelassen.
1.2.2. Im Rahmen der Erstbefragung hat der Beschwerdeführer u.a. angegeben, dass er sich "etwa ein Jahr" in Griechenland aufgehalten habe, bevor er über Mazedonien, Serbien und Ungarn weiter nach Österreich gereist sei.
Der Asylgerichtshof hat insofern jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen, als er keine Feststellung darüber getroffen hat, ob der Beschwerdeführer sich länger oder kürzer als ein Jahr in Griechenland aufgehalten hat. Dies wäre für die Beurteilung der Zuständigkeit für die Prüfung des Asylantrages gemäß Art10 Abs1 Dublin II-VO aber entscheidend gewesen, da nach dem letzten Satz der zitierten Bestimmung diese Zuständigkeit zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts endet.
Dies dürfte dem Asylgerichtshof auch bewusst gewesen sein, weil er - nachdem er die Zuständigkeit Ungarns bejaht hat (siehe dazu gleich unten Punkt III.1.2.3.) - "[d]er Vollständigkeit halber" Anmerkungen zum Beschwerdevorbringen macht, wonach durch den Ersteintritt des Beschwerdeführers in die Europäische Union über Griechenland (ohne erfolgte Asylantragstellung) dieser Staat zuständig sei, wobei der Asylgerichtshof in einer Parenthese betont, dass gerade dieser Fall nicht festgestellt worden sei. Außerdem hält der Asylgerichtshof eine konkrete Feststellung darüber, ob der Beschwerdeführer vor seiner (letzten) Wiedereinreise in den Bereich der Mitgliedstaaten je in Griechenland eingereist sei oder nicht, vor dem Hintergrund der genannten Anmerkungen und der Ausführungen danach, dass aus einer (nicht untergegangenen) Zuständigkeit Griechenlands für den Beschwerdeführer nichts gewonnen wäre, weil sich wieder die Zuständigkeit Ungarns ergebe, für entbehrlich.
Sowohl hinsichtlich der Anmerkungen des Asylgerichtshofes zum "Reißen der Anknüpfungskette" als auch hinsichtlich seiner Ausführungen zur Zuständigkeit Ungarns trotz nicht untergegangener Zuständigkeit Griechenlands wird auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. Juni 2012, U330/12, verwiesen.
1.2.3. Der Asylgerichtshof begründet die Zuständigkeit Ungarns für die Prüfung des Asylantrages damit, dass dieser Mitgliedstaat auf der Grundlage des Art10 Abs1 Dublin II-VO seine Zuständigkeit bejaht und sich zur Übernahme des Beschwerdeführers bereit erklärt habe.
Damit verkennt der Asylgerichtshof die Rechtslage gröblich, weil er sich für eine Entscheidung nach §5 Abs1 AsylG 2005 nicht allein auf die Zustimmung eines Mitgliedstaates zur Übernahme eines Asylwerbers berufen darf (vgl. VfSlg. 18.752/2009).
1.2.4. Der Asylgerichtshof hat durch sein
willkürliches Vorgehen den Beschwerdeführer in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG BGBl. 390/1973) verletzt.
2. Die vorliegende Beschwerde ist, soweit sie sich gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Entscheidung richtet, nicht zulässig:
2.1. Der Verfassungsgerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt eingenommen, dass die Beschwerdelegitimation nach Art144 Abs1 B-VG nur dann gegeben ist, wenn durch den bekämpften Bescheid irgendein subjektives Recht der beschwerdeführenden Partei verletzt worden sein kann, das heißt, wenn die bescheidmäßigen Anordnungen oder Feststellungen die subjektive Rechtssphäre des Beschwerdeführers berühren, der Bescheid demgemäß subjektive Rechte begründet (verändert) oder feststellt (vgl. VfSlg. 15.398/1999 und die dort zitierte Vorjudikatur). Dies gilt mutatis mutandis auch für die Beschwerdelegitimation nach Art144a Abs1 B-VG.
2.2. Mit Spruchpunkt I. der angefochtenen
Entscheidung hat der Asylgerichtshof der Beschwerde des Einschreiters gegen den seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes gemäß §71 Abs1 AVG stattgegeben. Der Beschwerdeführer ist somit nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. wiederum VfSlg. 15.398/1999 und die dort zitierte Vorjudikatur) durch diesen Teil der angefochtenen Entscheidung nicht beschwert, weshalb die Beschwerde insoweit mangels Legitimation zurückzuweisen ist.
IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen
1. Der Beschwerdeführer ist durch Spruchpunkt II. der angefochtenen Entscheidung in dem durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
Die angefochtene Entscheidung war daher insoweit aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88a iVm §88
VfGG. Die teilweise Erfolglosigkeit der Beschwerde kann dabei außer Betracht bleiben, da dieser Teil keinen zusätzlichen Prozessaufwand verursacht hat (vgl. VfSlg. 16.760/2002). In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 400,- enthalten.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite und Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Damit erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.